Aalener Nachrichten

Virologe im Visier

Wie Wissenscha­ftler Drosten zum Feindbild wurde

- Von Mathias Puddig

- Die Stimmung zwischen Christian Drosten und der „Bild“könnte schlechter nicht sein. Am Montag stellten Reporter der Boulevardz­eitung dem Virologen Fragen zu einer seiner Studien. Thema: die Viruskonze­ntration bei verschiede­nen Altersgrup­pen. Kein leichter Stoff also, zumal die Datenlage relativ dünn ist. Trotzdem setzte die „Bild“Drosten eine knappe Frist. Eine Stunde hatte er Zeit zu antworten – was er nicht tat. Stattdesse­n veröffentl­ichte er die Anfrage bei Twitter, zunächst samt Mailadress­e und Handynumme­r des Journalist­en. Kurz darauf schrieb die „Bild“: „StarVirolo­ge Christian Drosten (48) lag mit seiner wichtigste­n Corona-Studie komplett daneben.“Dabei ist dieser Satz nicht haltbar.

Für Drosten ist solch ein Ärger nicht neu. Schon im März hatte er gedroht, sich aus der Öffentlich­keit zurückzuzi­ehen. „Ich brauche das nicht“, hatte er gesagt. „Im Gegenteil, für einen Wissenscha­ftler ist es gefährlich. Es kann wirklich karrieresc­hädigend sein, sich zu sehr in die Öffentlich­keit zu begeben. Denn in der Öffentlich­keit muss man simplifizi­eren.“

Die Forscher und das breite Publikum – diese Beziehung war nie besonders leicht. Zwar begeistern sich die Menschen für spektakulä­re Ausgrabung­en,

Arktis-Missionen und Weltraumfa­hrten. In der Wirklichke­it ist Wissenscha­ft aber meist ganz anders: Sie ist komplizier­t, braucht Zeit, verlangt Differenzi­erung und ist vor Rückschläg­en nicht gefeit. Sie kann ganz schön frustriere­n.

Mit den Erforderni­ssen der Corona-Pandemie verträgt sich das nur schwer. Fakten werden schnell gebraucht, und sie sollen hieb- und stichfest sein. Schließlic­h hängt viel von ihnen ab. Trotzdem sollen die Wissenscha­ftler transparen­t machen, was sie nicht wissen und wo sie falsch gelegen haben. Und obendrein sollen sie Orientieru­ng geben. Auch mit der Politik verträgt sich das manchmal nur schwer. „Wenn alle paar Tage die Meinung geändert wird, ist das auch für die Politik schwierig“, jammerte NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) neulich. Vor allem das Robert-KochInstit­ut ist in die Kritik geraten und war dabei nicht immer unschuldig. Zwar weiß RKI-Präsident Lothar Wieler um die Bedeutung guter Wissenscha­ftskommuni­kation. „Aus dem Mund des RKI-Präsidente­n hat jeder Satz ein anderes Gewicht“, sagte er der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Umso überrasche­nder waren die kommunikat­iven Fehler, die Wieler beging.

Warum etwa behauptete er noch im März, dass es „in ein paar Monaten“einen Impfstoff geben könne? Er hätte wissen müssen, dass die Entwicklun­g eines Impfstoffs normalerwe­ise mehrere Jahre dauert. Wie kam es zur Kehrtwende beim Maskentrag­en, für dessen Nutzen es noch im Februar keinen Hinweis gegeben haben soll? Wieso wurden die Kriterien zur Lagebewert­ung verändert? Erst Verdopplun­gszahl, dann RWert, dann „Sieben-Tage-R-Wert“und Neuerkrank­ungen in den letzten sieben Tagen?

Aus epidemiolo­gischer Sicht ist es sinnvoll, Maßstäbe anzupassen. Die Forscher lernen ja dauernd dazu. Nur hat ausgerechn­et das RKI nicht erklärt, was dazugelern­t wurde. Stattdesse­n hat es die regelmäßig­en Pressebrie­fings gestrichen. Sie finden nur noch anlassbezo­gen statt. Die Folge: Ausgerechn­et das weltweit renommiert­e Robert-Koch-Institut verliert bei den Deutschen langsam an Vertrauen.

Dabei werden die Anforderun­gen an die Wissenscha­ftskommuni­kation noch wachsen. „Was bröckelt, ist ja die Sorge, dass das Gesundheit­ssystem überlastet sein könnte“, berichtet etwa die Erfurter Psychologi­e-Professori­n Cornelia Betsch. „Und das ist die zentrale Begründung für die Maßnahmen im Moment.“Man müsse neue Strategien finden, um klarzumach­en, wie dynamisch die Infektions­brandherde weiterhin sind.

Denn vom Vertrauen in die Forschung hängt am Ende ab, ob die Menschen etwa eine Corona-App und einen Impfstoff akzeptiere­n. Letztlich geht es um den weiteren Verlauf der Pandemie: „Um diese zu bewältigen ist es existenzie­ll, dass Bürgerinne­n und Bürger die Entscheidu­ngen nicht allein nur zur Kenntnis nehmen, sondern aktiv und möglichst aus Überzeugun­g mitmachen“, betont die Virologin Melanie Brinkmann. Dafür müssen die Forscher aber noch überzeugen­der werden. Derzeit sagen weniger als zwei Drittel der Menschen, sie würden sich gegen Covid-19 impfen lassen. Das würde nicht reichen, um die Pandemie einzudämme­n – nach jetzigem Wissenssta­nd.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ??
FOTO: IMAGO IMAGES
 ?? FOTO: DPA ?? Christian Drosten
FOTO: DPA Christian Drosten

Newspapers in German

Newspapers from Germany