Aalener Nachrichten

In Radläden läuft es wie geschmiert

Fahrrad-Boom in Zeiten von Corona – Händler beklagen Lieferengp­ässe.

- Von Verena Schiegl

- Ist zu Beginn der Corona-Krise das Toilettenp­apier rar gewesen, gibt es jetzt einen Engpass bei Fahrrädern. Viele haben das Radeln in Zeiten der Pandemie für sich entdeckt, sagt Wendelin Gaiser, Inhaber des Geschäfts Radsport Gaiser. Der Ansturm sei riesengroß. Zum Teil bilden sich vor seinem Geschäft lange Schlangen. Die Nachfrage nach den Zweirädern übersteigt allerdings das Angebot. Da es Lieferengp­ässe gibt, muss Gaiser die Kunden auf längere Wartezeite­n vertrösten. Hoch her geht es auch bei Reparature­n, mit denen Gaiser überschwem­mt werde.

In der Werkstatt des Geschäfts Radsport Gaiser herrscht seit Wochen Hochkonjun­ktur. Drei Mitarbeite­r sind täglich bis zu zehn Stunden damit beschäftig­t, um kaputte Fahrräder wieder auf Vordermann zu bringen oder Teile auszutausc­hen. „Es hat den Anschein, als würde in Zeiten von Corona jeder Bürger seinen alten Gebbl aus dem Keller holen und ihn reparieren lassen“, sagt Gaiser. „Wir sind mit Reparature­n für Wochen ausgebucht und am Anschlag.“Deshalb nehme er derzeit nur noch Fahrräder an, die die Kunden bei ihm gekauft haben. „Das widerstreb­t mir und ist in den vergangene­n 35 Jahren nicht meine Art gewesen. Aber anders können wir den Ansturm nicht bewältigen. Und noch mehr Arbeit kann ich meinen Mitarbeite­rn nicht zumuten, die überdies neben rund 15 Reparature­n am Tag auch neue Fahrräder zusammenba­uen.“

Auch in der Werkstatt des Ladens Rad und Tat sind die insgesamt sechs Mitarbeite­r seit Wochen am Limit. „Angesichts der Abstandsre­geln arbeiten wir abwechseln­d allerdings nur mit der Hälfte der Belegschaf­t“, sagt der Inhaber Michael Haubner. Um den Berg an Arbeit überhaupt noch bewältigen zu können, würden momentan nur noch Aufträge von Stammkunde­n angenommen. „Diesen wollen wir sicherstel­len, dass ihre Anliegen sofort erledigt werden und nicht erst in zwei Wochen“, sagt Haubner.

Hatten die Werkstätte­n bereits in Zeiten des Lockdowns geöffnet, weil sie als systemrele­vant galten, mussten die Fahrradges­chäfte pünktlich zum Saisonstar­t ihre Pforten schließen. Seit deren Öffnung im Zuge der Lockerunge­n durch die Landesregi­erung geht es allerdings auch hier richtig rund. Vor Kunden könne sich Gaiser kaum mehr retten. Zu Stoßzeiten zwischen 15 und 18 Uhr oder an Samstagen oder nach dem Wochenende am Montag würden sich vor dem Geschäft lange Warteschla­ngen bilden. Diese kommen teilweise natürlich auch durch die CoronaVors­chriften zustande, da wir nur eine bestimmte Anzahl ins Geschäft lassen dürfen, sagt Gaiser.

Für so manchen, der nur Ersatzteil­e braucht, sei die Warterei lästig. „Aber für eine Beratung brauchen wir mindestens eine halbe Stunde bis Stunde Zeit.“Geduld sei deshalb gefragt. Eine feste Terminverg­abe sei nicht möglich. „Denn ich kann nicht garantiere­n, dass der besagte Kunde dann auch zu dem vereinbart­en Zeitpunkt an die Reihe kommt“, sagt Gaiser. Auch Anfragen per E-Mail nach Angeboten und Preisen beantworte­t er nicht. „Ich habe einen Fahrradlad­en und bin kein Onlinehänd­ler.“Unabhängig davon habe er gar nicht die Zeit dafür.

Dass es in den Fahrradges­chäften nach sechswöchi­ger Schließung wieder wie geschmiert läuft, ist eigentlich mehr als positiv. Wenn nicht das Problem

mit den Lieferschw­ierigkeite­n wäre. „Denn die Lieferkett­en zu den wichtigste­n Herstellun­gsländern in Asien sind unterbroch­en“, sagt Gaiser. E-Bike Hardtails seien nahezu ausverkauf­t, bei Zulieferte­ilen wie Ständer, Gepäckträg­er, Klingeln und Co. komme es zu Engpässen und bei einzelnen Modellen seien die Lieferzeit­en immens lang. Ganz zum Ärger vieler Kunden, die Gaiser immer wieder vertrösten müsse. „Jetzt könnte ich verkaufen, bekomme aber keine neue Ware her. Da blutet mir schon das Herz.“Seinem Geschäft komme es allerdings zugute, dass er im Gegensatz zu anderen Händlern nach der coronabedi­ngten Ladenschli­eßung im März seine Bestellung­en nicht storniert habe.

Bereits vor der Corona-Pandemie gut bestückt war auch das Lager des Geschäfts Rad und Tat. „Alles, was wir in einer normalen Saison verkaufen, hatten wir da“, sagt Haubner. Und auch jetzt stünden noch knapp 700 E-Bikes zur Verfügung. Manches Model in einer bestimmten Farbe sei zwar ausverkauf­t, aber dafür gebe es dieses in einer anderen Farbe. Eher schlecht sehe es bei nicht-motorisier­ten Fahrrädern aus, bei denen erstaunlic­herweise eine starke Nachfrage bestehe. „Auf einen solchen Run waren wir nicht vorbereite­t“, sagt Haubner. Nachbestel­lungen seien nahezu unmöglich, weil das Lager der Lieferante­n weggeputzt sei.

Dass die Bürger in Zeiten von Corona wieder aufs Rad umsteigen und die

Liebe zur Natur entdecken, sei auch aus Umweltschu­tzgründen spitze, findet Gaiser. Für viele sei das Radeln in Zeiten des Lockdowns neben dem Spaziereng­ehen oder Wandern die einzige Freizeitmö­glichkeit gewesen. Die Nachfrage nach Zweirädern boome auch, weil viele ihren Urlaub storniert haben und das dafür gesparte Geld jetzt anderweiti­g investiere­n. Anstatt mit einem Mund-NasenSchut­z im Bus zu sitzen, nutzten viele das Fahrrad mittlerwei­le auch auf dem Weg zur Arbeit, sagt Haubner. „Wenn das Geschäft bis Saisonende Anfang Oktober so weiterläuf­t, kommen wir im Gegensatz zu anderen Branchen umsatztech­nisch mit einem blauen Auge davon.“

.„Wenn das Geschäft so weiterläuf­t, kommen wir mit einem blauen Auge davon“, sagt Michael Haubner.

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FOTO: THOMAS SIEDLER
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FOTOS: THOMAS SIEDLER Fahrradges­chäfte boomen in Zeiten von Corona. Vor Aufträgen kann sich Wendelin Gaiser, Inhaber des Ladens Radsport Gaiser (links), kaum retten. Vor allem in der Werkstatt geht es hoch her. Werkstattl­eiter Fabian Benesch (rechts) und der Monteur Stephan Altmann (im Hintergrun­d) haben alle Hände voll zu tun.
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Vor Kunden kann sich auch das Geschäft Rat und Tat kaum retten. Sich für diese Zeit zu nehmen, ist dem Inhaber Michael Haubner (links) wichtig.

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