Aalener Nachrichten

Eine Klamm in der Klemme

Die Marienschl­ucht ist nach einem tödlichen Erdrutsch seit fünf Jahren gesperrt – Wann und wie das beliebte Ausflugszi­el am Bodensee wieder eröffnet werden kann, ist umstritten

- Von Uwe Jauß

- Die Botschaft ist eindeutig: „Lebensgefa­hr“steht auf den Schildern rund um die wildromant­ische Marienschl­ucht am westlichen Bodensee. „Zugang gesperrt“heißt es im Weiteren. Bauzäune und ein Metallgitt­ertor riegeln die Wege zum einst so beliebten Ausflugszi­el ab. Da hilft es nichts, dass Mitarbeite­r des Internatio­nalen Bodenseeto­urismus die Klamm nach wie vor als „schönste Schlucht“rund um das Schwäbisch­e Meer herum bezeichnen.

Einst sollen jährlich bis zu

150 000 Menschen die verwunsche­n wirkende, rund 100 Meter ins Gestein eingeschni­ttene Klamm durchwande­rt haben. Seit fünf Jahren darf aber niemand mehr hinein. Im Mai 2015 war in der von einem Bächlein durchfloss­enen Schlucht eine Frau bei einem Erdrutsch umgekommen. Ihr Begleiter wurde schwer verletzt. Doch dies soll nicht der Schlussstr­ich unter die Ausflügler-Geschichte der Marienschl­ucht sein, heißt es vor allem in den nahe gelegenen Gemeinden Allensbach und Bodman-Ludwigshaf­en.

Angestreng­t wurde an Plänen für eine Wiedereröf­fnung gearbeitet. Noch dieses Jahr sollen erste konkrete Schritte erfolgen. Das zentrale Problem bleibt jedoch: Die Hänge der Marienschl­ucht inklusive des umliegende­n Waldes sind in Bewegung – und zwar hinab in Richtung des angrenzend­en Bodenseeuf­ers. Dies liegt am Untergrund des als Bodanrück bekannten Landstrich­s: wenig stabile Molassesed­imente, in diesem Fall Sandsteine. Überlagert sind sie von Lehmschich­ten, die wiederum bei anhaltende­m Regen gerne ins Rutschen geraten – meist zusammen mit ausgewasch­enem, weichen Gestein. Selbst Teile der über der Schlucht gelegenen, einst stolzen Burg Kargegg sind im Laufe der Zeit in die Tiefe gepurzelt.

Sogar der geologisch­e Laie kann die Gefahr in den Hängen rasch entdecken. Bäume wachsen nicht sofort senkrecht in die Höhe, sondern machen von den Wurzeln ausgehend auf dem ersten Meter einen Bogen Richtung abfallende­m Gelände – die Folge von Rutschunge­n, durch die das Wachstum aus der vertikalen Richtung gekommen ist. Zudem werden unter dem vermodernd­en Laub Hanganriss­e sichtbar. Eine teure Sache, dieses Gelände zu sichern, denkt man sich.

Die Kosten sind in der Tat eine Hürde, die es bei einer Wiedereröf­fnung der Marienschl­ucht erst einmal zu überwinden gilt. Es existiert nämlich ein ehrgeizige­r Projektans­atz: neben neuen Stegen in der Klamm, die Sicherung anschließe­nder, kilometerl­anger Uferwege, ein neuer Landungsst­eg für Ausflugsbo­ote, ein Kiosk und eine Schutzhütt­e. Rund sechs Millionen Euro sind veranschla­gt. „Das wird nicht reichen“, glaubt Allensbach­s Bürgermeis­ter Stefan Friedrich. Um dies zu unterstrei­chen, nennt er eine Summe, die alleine für das Verhindern von Steinschla­g am sogenannte­n Mondfelsen nötig sei: zwei Millionen Euro.

Wobei die höchst eindrucksv­olle, klippenart­ig aufragende Gesteinsfo­rmation noch nicht einmal in der Marienschl­ucht liegt. Sie befindet sich etwas davon entfernt am Uferweg zum Dörfchen Bodman. Die beschaulic­he Spazierstr­ecke gehört aber zum Ausflugsen­semble Marienschl­ucht. Das gilt auch für ihre

Fortsetzun­g weiter östlich Richtung Wallhausen. Die Krux der Uferwege wird aber an jenen Stellen deutlich, wo sie zwischen Felsen und dem Ufer eingezwäng­t sind, ständig bedroht von herabfalle­nden Steinen. An einer Stelle hat dazu noch der See genagt. Jedenfalls stößt der Wanderer einmal mehr auf Absperrung­en und die Warnung „Lebensgefa­hr“.

Am Beispiel des Mondfelsen­s will Bürgermeis­ter Friedrich deutlich machen, dass bei einer Sicherung neben der Geldfrage noch ein weiterer Aspekt tritt: der Naturschut­z. „Wir können nicht einfach wie entlang von Hochgebirg­sstraßen Steinschla­gzäune in den Fels bauen“, erklärt er. Beim Mondfelsen durften noch nicht einmal Kletterer für die Gesteinsun­tersuchung in die Wand steigen. Naturschüt­zer hatten offenbar die Sorge, dass seltene Moose beschädigt werden könnten.

Dies bedeutet: Brachiallö­sungen scheiden aus. „Aber wir wollen ja auch äußerst sensibel vorgehen. Die Natur soll so wenig wie möglich beeinträch­tigt werden“, sagt Friedrich. Beim Mondfelsen könnte dies bedeuten, dass erst oberhalb von ihm im Waldhang Fangzäune für lockeres Gestein errichtet werden.

Das letzte Wort ist dabei längst nicht gesprochen – weder planerisch noch finanziell. Mit Blick aufs Geld sieht die Rechnung gegenwärti­g so aus: Ein Marienschl­uchtbündni­s aus Allensbach, BodmanLudw­igshafen und der nahen Stadt Konstanz will sich die Kosten teilen. Zur Freude des Trios trägt das Land Baden-Württember­g dabei über die Tourismusf­örderung 50 Prozent der Kosten. Schön, könnte man meinen. Für Allensbach bedeutet jedoch jegliche Investitio­n in das Marienschl­ucht-Areal einen Kraftakt. Durch die Corona-Krise habe auch seine Gemeinde Einnahmen verloren, etwa an Gewerbeste­uern, sagt der Bürgermeis­ter. Im zweiten Ort des Marienschl­ucht-Bündnisses, dem ähnlich überschaub­aren Bodman-Ludwigshaf­en, ist die Kassenlage vergleichb­ar.

Nur das große Konstanz als Dritter im Bunde dürfte finanziell bewegliche­r sein. Wobei die Marienschl­ucht dort neben Konzilgebä­ude, Bodenseesc­hifffahrt, Münster, Uni und Einkaufsze­ntren touristisc­h nur ein Randaspekt ist. Anders bei den beiden kleinen Gemeinden. Sie haben außer viel Landschaft, Dorfidylle oder einem Wildtier- und Freizeitpa­rk kaum etwas zu bieten. Die Marienschl­ucht ist hier das Highlight. Zusammen mit den Uferwegen wäre sie bei einer Öffnung Teil eines regionalen Premiumwan­derwegs.

„Über die Autobahn sind sogar die Stuttgarte­r regelmäßig für Tagesausfl­üge hergefahre­n“, erinnert sich mancher Einheimisc­he an bessere Zeiten. Freizeitka­pitäne von Lindau oder Friedrichs­hafen seien mit ihren Booten zur Anlegestel­le unterhalb der Marienschl­ucht gekommen, um die bizarre Klamm zu bestaunen.

Seinen Anfang hatte alles bereits im Jahre 1897 genommen. Dabei spielte auch das Adelsgesch­lecht derer zu Bodman eine Rolle, ihm gehört der Grund. Die Erschließu­ng der teilweise nur einen Meter breiten Schlucht sollte den damals beginnende­n Tourismus weiter ankurbeln. Es war die

Zeit der begüterten Sommerfris­chler. Was fehlte, war noch ein gut klingender Name. Da ergab sich, dass sich im selben Jahr Othmar von Bodman mit Maria von Walderdorf­f verlobte. Nach ihr wurde die Schlucht schließlic­h benannt. Über zwei Generation­en hinweg haben sich die Bodmans selber um ihre Klamm gekümmert. Hangrutsch­ungen gab es auch zu jenen Zeiten, auch Verletzte, wie sich in alten Berichten nachlesen lässt. „Wenn aber etwas kaputt war, wurde es einfach wieder gerichtet“, erinnert man sich im Allensbach­er Rathaus.

Einen Einschnitt brachte aber dann der Erdrutsch am Gründonner­stag 2005, verursacht durch Starkregen. Die Schlucht war unpassierb­ar. Drei Jahre lang wurde fortan unter Federführu­ng des geologisch­en Landesamte­s das Gelände aufwendig gesichert – sogar mit Felsankern. Im Jahr 2008 war wieder alles offen – sieben Jahre lang bis zum Unglück 2015. Um die drückende Verkehrssi­cherungspf­licht vom Hals zu haben, verpachtet­e die Adelsfamil­ie aber Schlucht und Uferwege an die Gemeinden Allensbach und BodmanLudw­igshafen. „Ohne tatsächlic­h eine Pacht zu verlangen“, betont Freiherr Johannes. Er führt die Geschäfte der Bodmans für seinen Vater Graf Wilderich und betont: „Ich freue mich, wenn die Marienschl­ucht wieder eröffnet wird.“Letztlich hält er dies auch für unbedingt notwendig. Ähnlich wie andere Anlieger hat nämlich Freiherr Johannes alarmieren­de Beobachtun­gen gemacht: „Wir müssen die Masse der Erholungss­uchenden dringend auf gesicherte­n Wegen kanalisier­en. Viele laufen kreuz und quer – vor allem auf den gesperrten Wegen.“Und dies sei schließlic­h lebensgefä­hrlich.

Um die Aussage von wild umherstreu­nenden Zeitgenoss­en bestätigt zu bekommen, braucht es bloß einige Blicke zu den Absperrung­en: beiseitege­schobene Gitter, Reifenspur­en von Mountainbi­kes, die von erlaubter Stelle bis weit ins Risikogebi­et hinein sichtbar sind. Stiefelabd­rücke

„Wir müssen die Masse der Erholungss­uchenden dringend auf gesicherte­n Wegen kanalisier­en.“

selbst da, wo es direkt in den Gefahrenbe­reich der Schlucht geht. Das Betreten ist zwar bei Strafe verboten, aber offenbar schreckt manche nicht einmal ab, dass die Spuren des Erdrutschs von 2015 nach wie vor zu erkennen sind.

Besonders tragisch bei dem tödlichen Unglück 2015: Das Schicksal schlug an unerwartet­er Stelle zu – nicht am gefährlich eingeschät­zten und deshalb stark verbauten Westhang der Schlucht mit dem Steg, sondern am flacheren Osthang. Das geologisch­e Landesamt schreibt, es habe sich um „eine spontan ablaufende, murgangart­ige Massenbewe­gung“gehandelt. Sie sei trotz aller Überprüfun­gen vor Ort „nicht vorhersehb­ar“gewesen. Theoretisc­h hätte der Erdrutsch glimpflich ausgehen können, wenn er einfach im Bachgrund liegen geblieben wäre. Aber es waren geschätzte 100 Tonnen Gestein, Erde und Bäume. Sie rauschten den Osthang herunter und wegen der Masse ein Stück weit den Gegenhang wieder hinauf. Dort verlief in geringer Höhe der alte Steg. Ihn drückte es samt den beiden Opfern weg.

Womit dem von Allensbach, BodmanLudw­igshafen und Konstanz für die Wiedereröf­fnung der Schlucht beauftragt­en Ingenieurb­üro klar war: Sollte nochmals ein Weg an dieser Stelle hindurch führen, müsste er nicht nur am bereits gesicherte­n Westhang liegen, sondern auch wesentlich höher befestigt sein – mindestens zehn Meter über dem Talgrund, am besten auf Stahlträge­rn verlaufend. Der höher gelegte Weg hätte damit wohl neben der Sicherheit auch einen gewissen Sightseein­g-Charme: Die Übersicht wäre besser als früher auf dem vermoosten Talgrund.

Schon vom Zeitplan her wird die Neuerschli­eßung der Schlucht aber noch dauern. Und zwar wohl bis 2022, wie die drei beteiligte­n Kommunen verlautbar­en. 2023 und 2024 solle der komplette Uferweg instand gesetzt werden. Den Anfang macht hingegen die Sanierung der alten Schiffsanl­egestelle. „Wir warten nur noch auf die wasserrech­tliche Genehmigun­g“, sagt Matthias Weckbach, Bürgermeis­ter von Bodman-Ludwigshaf­en. Seine Gemeinde hat bei diesem Teilprojek­t die Federführu­ng übernommen. Er geht von einem Abschluss im Herbst aus. Wenigstens ein Stück Uferweg soll dann auch hergericht­et werden, damit der neue Bootssteg nicht isoliert in der Landschaft steht.

Wen es dann gleich im Anschluss daran dorthin zieht, muss sich mit Blick in Richtung Marienschl­ucht aber noch mit Verbotssch­ildern samt ihrer schaurigen Warnung begnügen: „Lebensgefa­hr.“Sollten neue Sicherheit­sbedenken aufkommen, bleiben die Schilder vielleicht auch für immer dort. Zumindest steht das geologisch­e Landesamt dem gesamten Projekt Wiedereröf­fnung eher distanzier­t gegenüber. Nötige Eingriffe müssten aus Sicherheit­sgründen so massiv sein, dass sie dem „Naturerleb­nis in der Marienschl­ucht entgegenst­ehen dürften“, glaubt man dort.

Freiherr Johannes von Bodman, Eigentümer des Geländes

 ?? FOTO: PATRICK SEEGER/DPA ?? Beliebt und viel begangen war die Klamm am westlichen Bodensee bis zum Jahr 2015. Nach einem Erdrutsch, bei dem eine Wanderin ums Leben kam und ein Mann schwer verletzt wurde, musste die Marienschl­ucht gesperrt werden. Inzwischen sind die Holzstege marode, es besteht Lebensgefa­hr beim Betreten.
FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Beliebt und viel begangen war die Klamm am westlichen Bodensee bis zum Jahr 2015. Nach einem Erdrutsch, bei dem eine Wanderin ums Leben kam und ein Mann schwer verletzt wurde, musste die Marienschl­ucht gesperrt werden. Inzwischen sind die Holzstege marode, es besteht Lebensgefa­hr beim Betreten.
 ?? FOTO: JAUSS ?? Mit Schildern und Metallgitt­ern werden Ausflügler davon abgehalten, die Schlucht zu betreten. Nicht alle halten sich daran.
FOTO: JAUSS Mit Schildern und Metallgitt­ern werden Ausflügler davon abgehalten, die Schlucht zu betreten. Nicht alle halten sich daran.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany