Gymnasien sind zuversichtlich: „Wir kriegen das hin“
Elternvertreter im Land sehen Probleme beim Präsenz- und Distanzunterricht – HG und PG präsentieren Lösungen
- Geharnischte Kritik an der Schulsituation in BadenWürttemberg in Zeiten von Corona ist den Eltern von Gymnasiasten kürzlich ins Haus geflattert. In einer Presseerklärung prangern die Arbeitsgemeinschaften (Arge) Stuttgart und Karlsruhe, das sind Zusammenschlüsse der Elternvertreter an den Gymnasien, viele Probleme beim Distanz- und Präsenzunterricht an. Es fehlten Konzepte. Gilt das auch in Ellwangen? „Für uns ist das nur bedingt relevant“, beurteilt Martin Ries, der Leiter des HariolfGymnasiums, das Schreiben. Er sieht seine Schule auf gutem Weg. Ebenso wie Stella Herden, die das PeutingerGymnasium leitet.
Die Liste an Vorwürfen der Arge ans Kultusministerium ist lang. Es fehlten dafür, wie man vom Not- wieder zu einem geregelten Schulbetrieb kommt und wie die Schüler mit ihren „extrem unterschiedlichen Lernerfolgen im Distanzunterricht“wieder auf ein gemeinsames Lernniveau gebracht werden könnten. Es sei unklar, wie möglichst viel Präsenzunterricht stattfinden und der noch nötige Distanzunterricht gestaltet sein sollte. Außerdem geht es um die digitale Ausstattung – vor Corona „miserabel“. Ohne Konzepte werde sich das Chaos „weder bis zu den Sommerferien noch danach auflösen“, so die Elternvertreter. Der Situation am Hariolf-Gymnasium entspreche dies wenig, betont Schulleiter Martin Ries. „Wir sind im digitalen Bereich gut aufgestellt“, freut er sich. Und es finde bereits viel Unterricht wieder an der Schule statt. „Wir fahren mit fünf Jahrgängen bereits vollständig im Präsenzunterricht“, so der Schulleiter. Ein Glück müsse man dabei auf keinen einzigen Lehrer verzichten. Um die Abstandsregeln einzuhalten, würden die meisten Klassen dazu auf zwei Räume verteilt. Dem Lehrer verlange das viel ab: „Er muss in zwei Räumen parallel unterrichten“, so Ries, „beide Gruppen beschäftigen, zweimal möglichst exakt das Gleiche sagen.“Für die übrigen drei Jahrgänge gelte bis zu den Sommerferien noch ein rollierendes System aus Präsenz- und Distanzunterricht mit halbierten Klassen. Die fünften, sechsten und neunten Klassen seien damit immerhin insgesamt drei Wochen lang am HG präsent.
Mehr sei im Moment nicht möglich. Denn am Hariolf-Gymnasium fordern nicht nur die CoronaSchutzmaßnahmen Platz, sondern auch die Bauarbeiten an den neuen naturwissenschaftlichen Fachräumen. Trotzdem hofft der Schulleiter, ab Juli auch die Fünfer und Sechser möglichst ganz in den Präsenzunterricht zurückholen zu können. „Ich habe meine Fühler ausgestreckt, wo außerhalb der Schule Räume zur Verfügung stehen könnten.“Wenn dann im September die Abstandsregelungen wegfallen sollten und später auch die Umbauphase ende, sehe es richtig gut aus: „Mein großes Ziel ist, ab den Herbstferien alle Schüler wieder täglich voll und ganz da zu haben“, so Ries.
Digital sei das HG auch vor Corona schon gut aufgestellt gewesen. Von Eltern wisse er, dass zu viele Kanäle für den Datenaustausch zu Unzufriedenheit führen. Am HG konzentriere man sich mit E-Mail und dem Messengerdienst Stashcat auf zwei Kanäle. Die Schüler seien zuhause digital gut ausgestattet. Und die Ausstattung der Schule mit WLan, digitalen Tafeln und vielem mehr manage die Stadt Ellwangen hervorragend, auch personell. „Das ist außergewöhnlich. Die meisten Kommunen tun das nicht. Ellwangen ist eine herausragende Schulstadt“, lobt der Schulleiter.
In einem aber gibt er den Eltern der Arbeitsgemeinschaft recht: „Es gibt im Land keine einheitliche digitale Struktur.“Jede Schule solle
selbst festlegen, was sie braucht. „Welche große Firma würde es sich erlauben, an jedem Standort ein anderes System laufen zu lassen?“fragt Ries rhetorisch. Dazu komme noch etwas: „Es gibt keinen Content.“Wenn Lehrer Unterrichtsinhalte digital vermitteln wollen, müssten sie sie selbst erstellen – ein Riesenaufwand, der nicht ständig geleistet werden könne. Auch deshalb, sagt der Leiter des Hariolf-Gymnasiums würde er es mit der Digitalisierung „auch nicht übertreiben“.
Am Peutinger-Gymnasium hat der Präsenzunterricht ebenfalls gut an Fahrt aufgenommen. „Zum Glück haben wir an unserer Schule mit den Turnhallen, der Mensa und dem Musiksaal große räumliche Kapazitäten“, berichtet Schulleiterin Stella Herden. Die fünften und sechsten Klassen können dort im Klassenverband mit bis zu 30 Schülern unterrichtet werden, Mindestabstand inklusive. Gerade für die unteren Jahrgänge findet die Schulleiterin den gemeinsamen Unterricht besonders wichtig. Eine Woche lang sind die Fünfer dran, in der nächsten die Sechser, dazwischen gibt’s Homeschooling. Die Kursstufe war bereits vor den Pfingstferien wieder an der Schule. „Die elften Klassen hatten regulären Unterricht in so gut wie allen, die zwölften Klassen in den Prüfungsfächern“, so Stella Herden. Seit dem Ferienende gibt es nun auch für die Zwölfer noch ein letztes Mal das volle Programm am PG – bis zur Eröffnung der schriftlichen Abiturergebnisse am 14. Juli. Bleiben die Klassen sieben bis zehn. „Sie sind so aufgeteilt, dass immer die halbe Klasse zur Schule kommt und die andere Hälfte zuhause lernt“, erklärt Stella Herden. Zu vertiefen, was die Jugendlichen in der Coronazeit selbstständig gelernt haben, gelinge in diesen Jahrgängen besser, wenn der Lehrer mit weniger Schülern arbeite. Möglich sei dies auch, weil bis auf zwei Lehrer alle an Bord sein könnten. Herden: „Da bin ich riesig froh drüber.“
Aus den bisherigen Erfahrungen mit dem Homeschooling zieht die Schulleiterin zwei Lehren: „Erstens müssten alle Schüler mit der gleichen Technik ausgestattet sein. Ein Handy ist kein Zustand, alle brauchen ein Tablet. Zweitens müssten sie alle über WLan verfügen. Einige Prozent sind zuhause noch ohne Breitband, das macht es schwierig.“Das Land oder die Schule selbst müsse hier eine Cloud-Lösung finden. Bei den Kanälen für den Datenaustausch fährt das PG eine klare Linie: „Es ist ein Kanal geöffnet“, erklärt Stella Herden: die EMail. Genutzt werde sie für ein „gut funktionierendes Elternverteilersystem“. Von der fünften bis zur zehnten Klasse gelte, dass ein Lehrer die Aufgaben
in allen Fächern von den Kollegen einsammle und sie zweimal wöchentlich gesammelt den Eltern als pdf schicke. In der Oberstufe erhalten die Schüler die Sammel-Mail selbst. Natürlich sei es sehr aufwendig für die Lehrer, sowohl den Distanz- als auch den Präsenzunterricht vorzubereiten. „Aber es hat in der Regel funktioniert.“
Eine große Sorge nicht nur der Argen Stuttgart und Karlsruhe, sondern auch vieler Eltern sei es, dass der Schulstoff aus der Coronakrisenzeit nicht mehr aufzuholen sei. Doch die ersten Rückmeldungen von Kollegen, die seit Ende der Pfingstferien wieder vor ihren Schülern stehen, fielen positiv aus, freut sich Stella Herden. „Sie sind erstaunt, wie gut viele Schüler doch lernen konnten.“Deshalb ist sie zuversichtlich: „Wir kriegen das mit dem Aufholen gut hin, vielleicht nicht in diesem, dann aber im neuen Schuljahr.“
Welche Vorzüge aus dem digitalen Unterricht man in der Zukunft übernehmen könnte? „Die digitalen Plattformen könnten eine gute Ergänzung für Vertretungsstunden und für Hausaufgaben sein“, findet Stella Herden. An ihre Grenzen stießen sie aber beim Unterricht per Video. „Da fehlt etwas, es fehlt die direkte Interaktion.“Lehrer und Schüler, die direkt miteinander umgehen, „kann man durch nichts ersetzen“.