Keine Angst vor der Zukunft
Ulms Sportdirektor Thorsten Leibenath traut Trainer Jaka Lakovic Großes zu
- Wer drei Wochen lang in einer Art Quarantäne oder Parallelwelt lebt, der dürfte sich am Ende jener Zeit vorkommen wie ein Astronaut nach der Landung. Er hat Probleme, in den Alltag zurückzukehren. Vielleicht meinte Ulms Basketball-Trainer Jaka Lakovic das, als er am Donnerstag in einer Videokonferenz seine Gefühlslage nach dem Finalturnier in München beschrieb, das sein Team mit dem Aus am Dienstag gegen Ludwigsburg verlassen hat. „Ich muss mich erst noch an das normale Leben gewöhnen. Die Erinnerungen sind noch sehr frisch, und natürlich frustriert mich die Niederlage im Halbfinale“, sagte der 41 Jahre alte Slowene.
Lakovic hat schon viel in seinem Sportlerleben gesehen, er war in Athen, Istanbul oder Barcelona, wo er die Euroleague gewann, außerdem lange Jahre Kapitän der Nationalmannschaft. Aber eine Saison wie diese, die durch das Coronavirus eine völlig neue Wendung bekam, war auch für ihn neu – und dies in seinem ersten vollständigen Jahr als Cheftrainer eines Clubs. Dass die Ulmer es durch glänzende Leistungen bis zum Halbfinale schafften – trotz des Abgangs der Stars Zoran Dragic und Killian Hayes –, Fans der Sportart clubübergreifend zu begeistern, erfüllte Lakovic mit Stolz. „Ich bin nicht nur stolz, wie die Mannschaft gespielt hat, sondern auch, wie sie im Hotel oder im Training aufgetreten ist. Wir waren immer ein Team. Die Jungs haben es genossen, zusammen zu sein. Und das ist einer der Gründe, warum sie so gut gespielt haben. Sie haben gezeigt, dass sie ein großartiges Team waren.“
Dass im Sport nichts so alt ist wie der Erfolg von gestern, wissen die Ulmer allerdings. Im Basketball, wo sich die Kader in jedem Jahr teils zu 80 Prozent ändern, ist die Lage eigentlich schon speziell genug, durch die Folgen der Pandemie und die finanziellen
Einbußen der Clubs könnte die Fluktuation noch zunehmen. Folge: Sportdirektor Thorsten Leibenath, Manager Thomas Stoll und Lakovic werden es sehr schwer haben, einen Kader zu planen. „Ich glaube, dass zum Zeitpunkt Ende Juni noch nie so wenig Bewegung im Markt war, und das dürfte sich in den nächsten Wochen auch nicht ändern. Klar, in Spanien und Israel wird noch gespielt, die NBA geht erst in einem Monat wieder los“, sagt Leibenath. Wer vom Ulmer 12er-Kader im Herbst noch da ist, könne er deswegen nicht sagen. Klar ist: Center Dylan Osetkowski, Derek Willis, in den Duellen gegen Ludwigsburg bester Mann, Nationalspieler Florian Obst und Patrick Heckmann haben noch Verträge bis 2021, der Rest ist offen – auch die Zukunft des langjährigen Kapitäns und Publikumslieblings Per Günther. Klar ist auch: Der Etat der Ulmer wird wie jener der Ligarivalen aufgrund des Wirtschaftseinbruchs schmelzen, Leibenath schätzt das Minus auf 20 Prozent. „Wir kalkulieren als Club natürlich defensiv. Ich gehe zwar fest davon aus, dass wir bald wieder Zuschauer in der Halle haben, aber wie viele, ist die Frage.“
Dennoch ist Leibenath vor der Zukunft nicht bang. „Wir gehen mit einer gehörigen Portion Kreativität, Optimismus und Durchsetzungskraft an die Sache heran. Die neue Saison wird Herausforderungen bereithalten, die wir jetzt noch gar nicht kennen, aber wir haben Leute, die schon gezeigt haben, dass sie überragende Arbeit leisten.“Seinen Coach hob er dabei hervor: „Ich traue Jaka zu, dass er als Trainer genauso erfolgreich wird, wie er es als Spieler war. Er ist unglaublich professionell und hat die Spieler weiterentwickelt. Unsere Reputation hat weiter zugenommen.“
Lakovic nimmt das Lob nicht als Last: „Thorsten kann nicht so viel Druck auf mich ausüben, wie ich das selbst tue“, sagte er lächelnd und nannte die Entscheidung für Ulm „eine der besten meiner Karriere. Der Club hat all die guten Sachen, die ich über ihn gehört hatte, bestätigt. Wir haben in diesem Jahr alles erlebt. Am Anfang war es schwierig, dann wurden wir immer besser, bis uns Zoran Dragic, der damals beste Spieler der Liga, verlassen hat. Als wir Archie Goodwin verpflichtet haben, mussten wir wieder neu anfangen.“
Der Neustart endete auf Platz vier und mit der erneuten Europacup-Teilnahme, die Ulm im Gegensatz zu Vechta und Frankfurt auch wahrnehmen wird. „Wir haben uns im oberen Drittel der BBL etabliert und trotz des Wechsels auf der Trainerbank das fortgesetzt, was wir hier begonnen haben“, sagte Leibenath, Lackovics Vorgänger. Und auf eines freuen sie sich in Ulm ganz besonders – auf den Einzug ins neue Leistungszentrum OrangeCampus, die Geschäftsstelle ist bereits umgezogen. „Wir werden uns dort in puncto Infrastruktur noch mal auf ein anderes Level bringen“, sagt Leibenath. Ein Level, das dann eines Tages auch Titel bringen könnte.