Die Suche nach dem Alltag
Juan Manuel Correa hat noch immer alle Details des schweren Unfalls in der Formel 2 vor Augen
(SID) - Es ist immer da. Alles. Glasklar und unverstellt. Der Lärm beim Aufprall, die tödliche Stille danach. Juan Manuel Correa kann die Emotionen dieses fatalen Sommertages am 31. August 2019 im belgischen Spa-Francorchamps jederzeit abrufen. Diesen Moment, als er über die Kuppe flog und wusste, dass er dem vor ihm quer stehenden Wagen nicht ausweichen konnte. Diesen Moment, der seinen Freund Anthoine Hubert, der in jenem Wrack eingeklemmt war, das Leben kostete.
„Ich hatte weit mehr als 200 Sachen drauf, wir hatten beide keine Chance“, sagt Correa knapp zehn Monate später. Nicht nur durch seine bisweilen düsteren Gedanken wird er an den Schrecken von Spa erinnert, auch durch seine eigene körperliche Verfassung, die wohl nie wieder so sein wird, wie sie vorher war. Sein rechtes Bein, das bei dem Unfall völlig zertrümmert wurde, steckt nach wie vor in einem massiven Metallgestänge, erst seit Kurzem wagt er zaghafte Gehversuche.
Dennoch fühlt sich der 20-Jährige gut. Sagt er zumindest: „Physisch spüre ich, wie meine Kräfte jeden Tag ein bisschen mehr zurückkehren, und das gibt mir dann auch mental viel Energie.“Im Moment sei er sogar so gut drauf, dass „ich mir durchaus vorstellen kann, irgendwann wieder in einem Rennwagen zu sitzen. Aber erst mal muss ich laufen lernen.“Ende des Jahres soll das Metall aus seinem Bein entfernt werden, „dann beginnt erst die richtige harte Arbeit“. Die Ärzte haben ihm jedenfalls Mut gemacht, dass er wieder ohne Hilfsmittel laufen wird, ob es zum Rennfahren irgendwann reicht, „muss ich selber entscheiden.
Ich allein spüre, wie viel Kraft in meinen Beinen ist, aber im Moment glaube ich, dass ich es schaffen könnte.“
Der Unfall hat das Leben von „JM“komplett auf den Kopf gestellt, und es hat eine Weile gedauert, bis Correa das akzeptieren konnte. „Ich habe zwei Monate im Krankenhaus zwischen Leben und Tod geschwebt“, sagt er: „Damals war ich ein toptrainierter Athlet auf dem Weg an die Spitze einer Sportart, heute bin ich ein Rekonvaleszent, der immer noch viel Zeit in Krankenhäusern und Arztpraxen verbringt und um eine Rückkehr in einen normalen Alltag kämpft.“Dennoch bleibt sein Glas immer halb voll. An manchen Tagen, sagt er, komme es ihm so vor, als sei alles gestern passiert, „und manchmal fühlt es sich an wie ein ganzes Leben“. Im Haus seiner Eltern in Florida wird ihm jedenfalls in jeder Hinsicht sämtliche Unterstützung zuteil: „Alle machen alles für mich.“
Zur Not springen seine YorkshireTerrier Kike und Koko ein: „Sie haben mir oft den Therapeuten ersetzt.“Gegen schlimme Gedanken hilft eben auch mal wortlose Stille.