Debatte um Lockerungen bei Gentechnik
Baden-Württembergs Agrarminister Hauk lässt Freilandversuche prüfen
- Der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk (CDU) wünscht sich mehr Offenheit für bestimmte gentechnisch veränderte Produkte. Pflanzen, die mit der Genschere Crispr/Cas verändert würden, seien ungefährlich für Mensch und Umwelt. Er forderte, die Vorgaben dafür zu lockern. „In diesem Fall besteht keine Kennzeichnungspflicht der Produkte. Ich verändere den Organismus, aber das tue ich bei der Züchtung auch“, sagte Hauk der „Schwäbischen Zeitung“. Dies sei keine Gentechnik, sondern eine beschleunigte Art der Züchtung. Die EU-Richtlinien dazu seien veraltet und müssten angepasst werden.
Konkret geht es um Methoden, mit denen Wissenschaftler Teile des genetischen Codes mit einer Genschere bearbeiten. Dabei werden kleinere Teile der DNA ausgeschnitten oder hinzugefügt, allerdings in der Regel keine artfremden Gene. Dieses Verfahren gilt unter Befürwortern als effizienter als herkömmliche Methoden. Kritiker halten es für unzureichend erforscht und warnen vor unvorhersehbaren Folgen.
Die Methode dient dazu, Pflanzen bestimmte Eigenschaften zu verleihen – etwa Widerstandskraft gegen Dürre oder Hitze. Hauk begründete seine Haltung vor allem mit dem Klimawandel: „Die zehn Milliarden Menschen, die in ein paar Jahren auf der Erde leben werden, wollen alle etwas zu essen haben. Wir müssen der Landwirtschaft also Pflanzen bieten, die unter klimatisch schwierigen Bedingungen gute Erträge liefern.“
Hauk lässt daher prüfen, ob die Landwirtschaftlichen Versuchsanstalten im Südwesten solche gentechnisch veränderten Pflanzen auf Forschungsäckern anbauen dürfen. „So etwas kann man nur im Freilandversuch erforschen, das geht nicht im Gewächshaus.“Es gehe nicht darum, den flächendeckenden Anbau zu ermöglichen, die Forschung aber sei notwendig.
Ein ähnlicher Vorstoß von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hatte zuletzt für heftigen Streit bei ihrer Partei, den Grünen, gesorgt.
Dort fürchten viele GentechnikSkeptiker, bei Versuchen im Freiland könnten sich die veränderten Organismen ausbreiten – mit unabsehbaren Folgen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wies Bauer an, das Programm auf Eis zu legen. Es gelte zunächst die Grundlagen zu klären.
Minister Hauk warf den Grünen vor, sich bei dem Thema ihrer Verantwortung zu entziehen. Die neuen Methoden der Gentechnik könnten helfen, die Folgen des Klimawandels einzudämmen. „Ich bin in dieser Frage auf der Seite von Frau Bauer. Es stellt sich die Frage, ob ein Verbot nicht in die Freiheit von Forschung und Lehre eingreift“, erklärte Hauk.
- Keine Gentechnik auf den Äckern: Das gilt sowohl in Bayern als auch in Baden-Württemberg. Selbst für Forschungszwecke genehmigten Behörden keine Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen mehr. Doch das soll sich ändern, wenn es nach Agrarminister Peter Hauk (CDU) geht. Er lässt prüfen, ob Freilandversuche auf Forschungsäckern der landwirtschaftlichen Versuchsanstalten möglich sind.
Was ist die „neue“Gentechnik?
Damit ist vor allem das „Genome Editing“, das Bearbeiten vorhandener Gene, und besonders die Genschere Crispr/Cas gemeint. Wissenschaftler können damit in den genetischen Code von Organismen eingreifen. Bestimmte Gene können abgeschaltet werden, andere hinzugefügt werden. So lassen sich Eigenschaften etwa von Pflanzen verändern. Der Prozess und seine Wirkungen sind hochkomplex. Das MaxPlanck-Institut schreibt deshalb, selbst nach 30 Jahren Forschung sei Crispr/Cas noch immer nicht vollständig verstanden. Im Gegensatz zu herkömmlicher Gentechnik halten Wissenschaftler die Genschere für exakter und schneller wirksam. Man könne relativ genau vorhersagen, wo diese wie wirkt.
Welche Chancen sehen Befürworter?
Sie verweisen auf enorme Potenziale, sowohl in der Medizin als auch in der Landwirtschaft. So könnten zum Beispiel Erbkrankheiten besiegt werden, wenn es gelingt, die dafür verantwortlichen Abschnitte im DNA-Code eines Menschen „auszuschneiden“. Erste klinische Versuche bei solchen Patienten, aber auch bei HIV- und Krebskranken, gibt es bereits, sie zeigen laut Max-Planck-Institut bereits Erfolge. Forscher setzen außerdem bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten auf Crispr/Cas. In der „grünen“Gentechnik könnte man mit Crispr/Cas Pflanzen resistenter gegen Hitze, Dürre oder bestimmte Schädlinge machen. Anders als bei bisherigen Methoden sei der Eingriff in das Erbgut so gezielt, dass keine unkontrollierten Mutationen, also Veränderungen, möglich seien. Es würden keine fremden Gene eingeschleust, sondern lediglich vorhandene Eigenschaften verstärkt oder ausgeschaltet. Mit diesen Argumenten appellierten Wissenschaftler von knapp 120 renommierten Forschungseinrichtungen in ganz Europa im Jahre 2019, die entsprechenden EU-Vorgaben
für die Pflanzenzüchtung zu lockern. Denn in der EU unterliegen auch nur minimal veränderte Organismen den strengen Vorgaben für Gentechnik. Diese Produkte werden streng geprüft und müssen gekennzeichnet werden.
Wovor warnen Kritiker?
Auch unter Wissenschaftlern gibt es gegen einige Einsatzmöglichkeiten der Genschere ethische Bedenken. Besonders umstritten sind Eingriffe in die menschlichen Keimbahnen – also das Genom menschlicher Embryonen oder Keimzellen. Die Geburt eines gentechnisch veränderten Babys in China sorgte 2017 für weltweite Empörung. Der Deutsche Ethikrat lehnte in einer Stellungnahme 2019 solche Experimente nicht per se ab, fordert aber eine gründlichere Forschung zu Nutzen und Risiken. Etwas weniger konfliktbehaftet, aber ebenfalls heiß diskutiert sind die Möglichkeiten in der Pflanzenzüchtung. Kritiker halten auch diese Eingriffe in das Genom der Pflanzen für unkalkulierbar. Es sei nicht ausreichend erforscht, wie sich die veränderten Organismen weiterentwickelten. Außerdem stellten Agrarindustrie und Befürworter die Chancen viel zu positiv dar. Noch, das geben zum Beispiel auch Forscher zu, bedarf es vieler weiterer Versuche, um so komplexe Eigenschaften wie die Resistenz gegen Trockenheit wirksam zu beeinflussen.
Warum tun sich die Grünen so schwer mit dem Thema?
Weil die Ablehnung der Gentechnik zu ihren Kerninhalten gehört. Seit Jahren setzt sich Südwest-Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) aber mit anderen prominenten Parteifreunden für eine Neubewertung der modernen Gentechnik ein. Sympathie dafür äußerten die Bundeschefs Robert Habeck und Annalena Baerbock. Bauer plädiert unter anderem dafür, die Forschung zu erleichtern, um sowohl Chancen als auch Risiken bewerten zu können. Dafür wären Freilandversuche nötig – also auf Forschungsäckern auch in Baden-Württemberg. Diese unterliegen so strikten Auflagen, dass sie so gut wie nie genehmigt werden. Zuletzt untermauerte die Gruppe um Bauer und die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank ihre Positionen noch einmal – vor allem, weil sich die Grünen ein neues Grundsatzprogramm geben wollen. In diesem soll eine offenere Haltung zur Gentechnik festgeschrieben werden, so die Hoffnung. Doch sowohl die Grünen-Abgeordneten im EU-Parlament als auch im Bundestag schließen sich diesem Kurs nicht an. Viele führende Grüne fürchten, das Thema sei in den kommenden Wahlkämpfen Gift für die Grünen. Denn die Ablehnung der Gentechnik reicht weit über ihre Kernklientel bis hinein in die vor allem in Baden-Württemberg so wichtigen konservativen Wählerkreise.
Was tut sich im Süden in Sachen neue Gentechnik?
In Bayern steht weiter fest: keine Gentechnik, auch nicht auf Forschungsäckern. Südwest-Ministerin Bauer hatte dagegen ein fünf Millionen Euro schweres Forschungsprogramm zur neuen Gentechnik ausgeschrieben. Teil sollten auch Freilandversuche auf Forschungsäckern in Baden-Württemberg sein. Dabei werden gentechnisch veränderte Pflanzen ausgesät. Gegen solche Versuche gibt es europaweit immer wieder massiven Widerstand. Kritiker fürchten, die gentechnisch veränderten Organismen könnten sich versehentlich vom Forschungsfeld ausbreiten. Darüber und über Bauers Alleingang stritten die Südwest-Grünen heftig. Am Ende musste Bauer das Programm stoppen – auf Wunsch von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Das Thema sei komplex und konfliktbehaftet, es bedürfe einer gründlichen Prüfung und Debatte, beschied Kretschmann seiner Parteifreundin. In einem offenen Brief an den Regierungschef fordern 100 Wissenschaftler aus ganz Deutschland jedoch, das geplante Programm durchzuführen.