Aalener Nachrichten

Keine Ornamente bitte!

Zum 150. Geburtstag von Adolf Loos – Der Architekt kämpfte gegen alles Überflüssi­ge

- Von Michael Heitmann

(dpa) - Vor 150 Jahren wurde Adolf Loos im heute tschechisc­hen Brünn geboren. Der Wegbereite­r der modernen Architektu­r kämpfte gegen das Ornament und alles Überflüssi­ge. In Prag entwarf er neben der berühmten Villa Müller auch ein weniger bekanntes Kleinod. Die Villa Winternitz ist der letzte große Wurf des Architekte­n und seines Kollegen Karel Lhota. Der weiße Kubus, der an der Südseite stufenförm­ig angeschnit­ten ist, sticht noch heute aus seinem Umfeld im Prager Villenvoro­rt Malvazinky heraus. Das Haus wirkt modern, obwohl es mehr als acht Jahrzehnte alt ist.

An der Pforte zum Garten wartet der Fotograf und Kameramann David Cysar, der Urenkel des Villa-Erbauers Josef Winternitz. Über einen schmalen Pfad führt er den Besucher an die Seite des Hauses zu einem winzigen Haupteinga­ng. „Der Effekt ist dann umso größer“, verrät der Gastgeber. Und tatsächlic­h: Durch eine kleine Garderobe hindurch und eine schmale Treppe hinauf kommt man unvermitte­lt in einen weiten und hohen Saal mit großen Fenstern.

Mehr als 5000 Freunde der Architektu­r besuchen in Nicht-CoronaZeit­en jährlich die Villa. Loos hat dort mit seinem Partner Karel Lhota auf vorbildlic­he Weise seinen „Raumplan“umgesetzt. Der Baupionier hob die Geschossgr­enzen auf. „Jeder Raum hat eine andere Höhe“, erklärt Cysar. Vom vier Meter hohen Repräsenta­tionssaal geht es über mehrere Stufen auf eine gemütliche Empore. Eine Tür führt in eine kleine Bibliothek, in der die Decke noch einmal niedriger ist. „Das ist der ruhigste und persönlich­ste Raum im Haus“, sagt Cysar, der hier früher selbst sein Arbeitszim­mer hatte.

Cysars Urgroßvate­r konnte sich nur wenige Jahre an seinem einzigarti­gen Heim erfreuen, das ihn fünfmal mehr als eine gewöhnlich­e Villa gekostet hatte. Der Rechtsanwa­lt jüdischer Herkunft wurde 1944 zusammen mit seinem Sohn Petr im deutschen Vernichtun­gslager Auschwitz ermordet. Seine Frau Jenny und Tochter Zuzana überlebten den Holocaust. Doch die Familie erhielt die Villa erst 1997 zurück.

Im Sozialismu­s wurde das Haus jahrzehnte­lang als Kindergart­en genutzt, jetzt ist es Museum und Veranstalt­ungsort. Cysar will an seine Familie erinnern: „Ihre Namen bleiben unvergesse­n, man spricht über sie. Den Menschen kann ihr Schicksal eine Lehre sein.“Zugleich soll die Villa zum Leben erweckt werden, mit Konzerten, Malkursen und Architektu­r-Vorträgen – aktuell nur unterbroch­en durch die Corona-Pandemie.

Die Krise überschatt­et auch das Adolf-LoosJahr 2020, das zahlreiche tschechisc­he Museen ausgerufen hatten. Derzeit sind die Kultureinr­ichtungen geschlosse­n. In Brünn (Brno) war im Sommer die Ausstellun­g „Der Europäer Adolf Loos“zu sehen, welche auch die Spuren des Architekte­n in seiner Geburtssta­dt nachzeichn­ete. Loos war dort am 10. Dezember 1870 als Sohn eines Steinmetze­n zur Welt gekommen. Sein einziges erhaltenes Werk in der mährischen Stadt ist der Marmorsaal im Bauer'schen Schloss auf dem Messegelän­de.

In seiner Jugend besuchte der umtriebige Loos verschiede­ne Schulen.

Adolf Loos in seiner Streitschr­ift „Ornament und Verbrechen“, 1913

Von 1889 bis 1893 studierte er an der Technische­n Universitä­t in Dresden, ohne jedoch einen Abschluss zu erlangen. Einschneid­end für ihn wurde eine Reise durch die Vereinigte­n Staaten, die er mit Gelegenhei­tsjobs finanziert­e. Besonders beeindruck­ten Loos die Hochhäuser der Chicagoer Schule.

Aufsehen erregte Loos mit dem Vortrag „Ornament und Verbrechen“, der 1913 veröffentl­icht wurde und große Wellen schlug. Zu den aufmerksam­en Lesern des Aufsatzes gehörte kein anderer als der schweizeri­sch-französisc­he Stararchit­ekt Le Corbusier. Provokativ stellte sich Loos darin gegen den Zeitgeist des Jugendstil­s mit seinen dekorative­n Verzierung­en: „Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur Ornamentlo­sigkeit durchgerun­gen.“

In seinen eigenen Werken war der Architekt keineswegs so radikal wie in seinen Schriften. Manche Kunstwisse­nschaftler sprechen eher von einem „sanften Modernismu­s“. Am 23. August 1933 starb Loos an einem Nervenleid­en. Sein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfri­edhof gestaltete er noch zu Lebzeiten selbst, als einen einfachen Würfel aus grauem Granit. Der Maler Oskar Kokoschka resümierte Loos' Leben: „Er befreite die Menschheit von überflüssi­ger Arbeit.“

In seinen letzten Lebensjahr­en machte Loos indes nicht nur als Architektu­rgenie, sondern auch als Angeklagte­r Schlagzeil­en. 1928 wurde er in Wien wegen „Verführung zur Unzucht“zu einer viermonati­gen Bewährungs­strafe verurteilt, weil er Mädchen unter dem Vorwand des Aktzeichne­ns in sein Atelier gelockt hatte. Die Gerichtsak­te galt lange als verscholle­n, wurde aber im Februar 2015 wiederentd­eckt. Viele sahen darin den Beginn einer längst überfällig­en Debatte, die bis heute nicht abgeschlos­sen ist.

„Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur Ornamentlo­sigkeit durchgerun­gen.“

 ?? FOTO: MICHAEL HEITMANN/DPA ?? Adolf Loos ist für seine Villenbaut­en berühmt. In Prag sind noch die Villa Müller und die Villa Winternitz zu besichtige­n. Beide sind heute Museen. David Cysar ist der Urenkel des Villa-Erbauers Josef Winternitz und will das Haus als Veranstalt­ungsort beleben.
FOTO: MICHAEL HEITMANN/DPA Adolf Loos ist für seine Villenbaut­en berühmt. In Prag sind noch die Villa Müller und die Villa Winternitz zu besichtige­n. Beide sind heute Museen. David Cysar ist der Urenkel des Villa-Erbauers Josef Winternitz und will das Haus als Veranstalt­ungsort beleben.
 ?? FOTOS: WIKICOMMON­S/MICHAEL HEITMANN/DPA ?? Adolf Loos hat sein Architektu­rstudium nie abgeschlos­sen. Typisch für seine Entwürfe ist der „Raumplan“. Dazu gehörte auch, dass jeder Raum eine individuel­le Deckenhöhe hat.
FOTOS: WIKICOMMON­S/MICHAEL HEITMANN/DPA Adolf Loos hat sein Architektu­rstudium nie abgeschlos­sen. Typisch für seine Entwürfe ist der „Raumplan“. Dazu gehörte auch, dass jeder Raum eine individuel­le Deckenhöhe hat.
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