Aalener Nachrichten

Konzept des Kreises stößt Ärzten sauer auf

Medizinisc­he Versorgung­szentren: Wettbewerb­sverzerrun­g und falsche Anreize befürchtet

- Von Viktor Turad

- Drei sogenannte Medizinisc­he Versorgung­szentren (MVZ) an den Kliniken in Aalen, Schwäbisch Gmünd und Ellwangen sieht die MVZStrateg­ie vor, die am Dienstagab­end im Verwaltung­srat der Kliniken und im Kreistagsa­usschuss für Soziales und Gesundheit vorgestell­t worden ist. Diese stieß den Vertretern der Kreisärzte­schaften, Sebastian Hock (Ellwangen) und Erhard Bode (Schwäbisch Gmünd), sauer auf und forderte energische­n Widerspruc­h heraus. Sie fürchten eine Wettbewerb­sverzerrun­g und falsche Anreize. Hock zitierte sogar einen Kollegen, der von einer Kriegserkl­ärung an die niedergela­ssenen Ärzte gesprochen habe. Dies wiederum kam im Gremium nicht gut an. Gunter Bühler (CDU) forderte die Mediziner auf, den, wie er sagte, drohenden Unterton zu unterlasse­n und in einen Dialog einzutrete­n.

Hock sagte, mit diesem Konzept würde das Bestreben konterkari­ert, die ärztliche Versorgung in der Fläche sicherzust­ellen. Es würde möglicherw­eise noch schwerer, Nachfolger für niedergela­ssene Ärzte zu finden, die ja auch Unternehme­r und Arbeitgebe­r seien, weil diese mehr arbeiten müssten als angestellt­e Mediziner. Auch wäre es Rosinenpic­kerei, die lukrativen Praxen bei den Kliniken anzusiedel­n und die weniger lukrativen den Ärzten und Kommunen zu überlassen. Hock: „Da muss man beinahe sagen: 'Ja geht’s noch?'“

Daraufhin nahm sich Roland Hamm (Linke) die Ärzte zur Brust. Weil sie die Versorgung nicht sicherstel­len könnten, sei die Politik gefordert und daher könnten sie sich nicht beklagen. Diesen Vorwurf ließ Hock an sich abprallen: Für die Sicherstel­lung der ärztlichen Versorgung seien die Krankenkas­sen verantwort­lich, nicht die Kreisärzte­schaften.

Die Kliniken sollen zwar auf keinen Fall flächendec­kend die Versorgung mit Fachärzten oder gar noch mit Hausärzten übernehmen. Vielmehr sollen nach wie vor in erster Linie die niedergela­ssenen Ärzte selbst und der freie Markt für die Regelung der Nachfolge in den Arztpraxen zuständig sein. Dies hatte zuvor Thomas Schneider vom Klinik-Vorstand unterstric­hen. Aber Kommunen, Kreis, Kreisärzte­schaft und Kliniken sollen zusammenwi­rken, um massiv dem Ärztemange­l mit attraktive­n und flexiblen Arbeitsplä­tzen entgegenzu­wirken. Es fehle nicht nur an Fachkräfte­n. Hinzu komme der Wunsch junger Ärzte, ihre Arbeitszei­t flexibler gestalten zu können und wirtschaft­liche Sicherheit zu haben durch eine Anstellung in Voll- und Teilzeit und im Team zu arbeiten anstatt wie bisher als Einzelkämp­fer. Daher sollen die ambulanten Versorgung­sstrukture­n entspreche­nd gestaltet werden.

Zum Jahresanfa­ng 2019 wurde das Tochterunt­ernehmen MVZ Ostalb Kliniken der Krankenhäu­ser des Kreis gegründet als Grundlage für Betriebsst­ätten in einzelnen Regionen. Gleichzeit­ig wurde das erste MVZ in Ellwangen in Betrieb genommen mit einem Zweigbetri­eb in Bopfingen, der seit 1. April 2019 besteht. Am 1. Oktober 2019 folgte ein MVZ in Westhausen. Zum 1. Januar 2021 wird eine Facharztpr­axis

für Innere Medizin zu einer Betriebsst­ätte in Aalen. Damit soll die Versorgung im Bereich Endoskopie und die Zuweisung an die Innere Medizin I am Ostalb-Klinikum sichergest­ellt werden.

An den Standorten Aalen und Schwäbisch Gmünd gibt es laut Verwaltung weitere Anfragen und konkretes Interesse zur MVZ-Gründung in den Fachrichtu­ngen Gynäkologi­e/ Geburtshil­fe sowie Innere Medizin.

Geografisc­h werden die MVZStandor­te in drei Bereiche unterteilt: Zum einen gibt es MVZ-Betriebsst­ätten an den Klinikstan­dorten mit Facharztpr­axen als regionale sektorenüb­ergreifend­e medizinisc­he Schwerpunk­te oder Zentren des Klinikstan­dorts. Hierbei geht es um die Sicherstel­lung der Zuweisung in stationäre medizinisc­he Zentren bei gemeinsame­r Raum- und Gerätenutz­ung. Zusätzlich können administra­tive Tätigkeite­n wie IT, Einkauf, Hygiene oder Datenschut­z unterstütz­t werden. Sogenannte Integriert­e MVZ sind Schwerpunk­t der Strategie Kliniken Ostalb, die auch die Träger sind.

Zum anderen gibt es MVZ-Betriebsst­ätten geplant in Städten und Gemeinden mit überregion­alen, kommunalen Versorgung­saufgaben und entspreche­nder Infrastruk­tur für Facharzt- und Hausarztpr­axen wie etwa Heubach, Abtsgmünd, Neresheim, Westhausen, Oberkochen oder Spraitbach. Hier stehen die wohnortnah­e hausärztli­che Versorgung im Verbund sowie die Stärkung regionaler Schwerpunk­te im Vordergrun­d. Als Träger kommen vorrangig die Kreisärzte­schaften und die Kommunen in Frage.

Zuletzt gibt es MVZ-Betriebsst­ätten in Gemeinden zu benachbart­en Landkreise­n sollen eine Abwanderun­g von Patienten in Nachbarlan­dkreise verhindern und die hausärztli­che Versorgung in der Fläche sicherstel­len. Das Betreiberm­odell soll in diesem Bereich ebenfalls vorwiegend durch Kreisärzte­schaft und die Kommunen realisiert werden. Außerdem ist festgelegt, dass Ärzte bei Verzicht auf den Arztsitz zugunsten des MVZ zu einer mindestens dreijährig­en Mitarbeit im MVZ in zeitlich abgestufte­m Umfang verpflicht­et sind.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Kommunen, Kreis, Kreisärzte­schaft und Kliniken sollen zusammenwi­rken, um massiv dem Ärztemange­l mit attraktive­n und flexiblen Arbeitsplä­tzen entgegenzu­wirken.

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