Aalener Nachrichten

Früher Schund, heute Kunst

Taschen entführt in die Welt der EC Comics

- Von Christof Bock

Sabbernde Zombies, radioaktiv­e Mutanten und kernige Helden: Das Werk der Comic-Pioniere des Verlages EC war in den Augen von Moralapost­eln nichts als Schund. Erst heute wird die Kunst darin sichtbar. Bestseller­autor Stephen King, Skandal-Zeichner Robert Crumb, „Krieg der Sterne“-Erfinder George Lucas und viele andere USProminen­te hatten als Kind dieselbe Leidenscha­ft. Sie alle liebten Comics aus dem Verlag EC. Bis Mitte der 1950er-Jahre erschienen hier Kultreihen mit so sprechende­n Titeln wie „Tales from the Crypt“(„Geschichte­n aus der Gruft“), „The Vault of Horror“(„Das Gewölbe des Grauens“) und „Weird Science“(„Seltsame Wissenscha­ft“), deren Einfluss auf die Popkultur im Rückblick als immens anzusehen ist.

Dennoch sind EC Comics heute den wenigsten Menschen ein Begriff. Nur ein einziger Titel des einstigen Bilderbuch-Imperiums überlebte unter neuem Dach bis heute: das Satiremaga­zin „Mad“. Der Taschen Verlag hat EC Comics dem Vergessen entrissen und in diesem Herbst einen sechs Kilo schweren, englischsp­rachigen Prachtband auf den Markt gebracht.

„The History of EC Comics“von Grant Geissman zeichnet in Texten und mehr als 1000 Bildern Aufstieg und Fall des bemerkensw­erten Verlages nach und liefert obendrein ein Panoptikum der reißerisch­sten Titel. Voller sabbernder Riesenechs­en, blutgierig­er Zombies, grimmiger Atommutant­en, Fäuste schwingend­er Helden und ängstlich blickender

Blondinen. Dabei liefern die 592 großformat­igen Seiten auch recht versierten Comic-Liebhabern viele überrasche­nde Erkenntnis­se: So zeigt Geissman auf, dass die Entstehung von EC Comics sehr eng mit der Geburtsstu­nde des modernen Comics überhaupt verbunden ist.

Der New Yorker Maxwell Charles Gaines ist ein verkrachte­r Mittdreißi­ger, der aus Geldnot wieder bei seiner Mutter eingezogen ist, als ihm 1933 eine geniale Idee kommt. Er schlägt seinem Arbeitgebe­r, einer Druckerei, vor, ein eigenes Heft nur mit Comics zu drucken. Das hat bis dahin noch keiner gemacht. Comicstrip­s sind zu diesem Zeitpunkt nur als Wochenendb­eilage zu Zeitungen erschienen.

Der Band „Famous Funnies“, ein zusammenge­schusterte­s Recyclingp­rodukt älterer Zeichnunge­n, soll als

Gratis-Werbegesch­enk für eine Kosmetikfi­rma fungieren. Bald ist klar: Für so was kann man auch Geld nehmen. Gaines hat sich schon als Lehrer, Hausmeiste­r, Fabrikarbe­iter, Schneider und Vertreter versucht. Nun hat er mit einem Mal nicht nur ein neues Buchgenre erfunden, sondern auch zugleich das Größenform­at von US-Comics bis heute gesetzt.

Die Druckerei macht mit der Idee Kasse, setzt deren Erfinder aber bald vor die Tür. Gaines sucht sein Glück woanders. Er treibt die Idee des Comichefte­s mit einigen Partnern voran, ist Miterfinde­r von „Wonder Woman“und gründet schließlic­h seinen eigenen Verlag EC. Das E steht für Educationa­l. Und tatsächlic­h setzt der Gründer auf erzieheris­ch angehaucht­e Stoffe aus der Bibel. Die Glanzzeit von EC beginnt jedoch erst nach seinem Tod bei einem Motorbootu­nfall 1947.

Sein Sohn Bill muss den Traum von einer Laufbahn als Chemielehr­er begraben und übernimmt stattdesse­n den EC Verlag. Bill erfindet das „Mad“-Magazin und gibt auch dem Comic-Sortiment eine völlig neue Richtung, den „New Trend“. Die neuen reißerisch­en Serien unter seiner Ägide fallen nicht nur sehr oft durch ein besonders schockiere­ndes Ende auf. Sie greifen auch soziale Themen auf: Rassismus, Korruption bei der Polizei oder die Gefahren von Atomenergi­e und Krieg.

Die Episode „Child of Tomorrow“(1951) ist hier ein gutes Beispiel. Forscher Jerry lässt seine schwangere Braut zurück und erforscht für die UN den südamerika­nischen Urwald. Währenddes­sen bricht in den USA ein Atomkrieg aus. Jerry kehrt zurück und findet nur noch Mutanten vor. Daheim greift ihn ein Geschöpf mit zwei Köpfen an – sein Kind. Die EC-Storyboard­s hatten einen ungewöhnli­ch hohen Anspruch. Manche Geschichte­n sind Adaptionen des Science-Fiction-Autors Ray Bradbury.

Dennoch gerät EC wie andere Comic-Verlage Mitte der 1950er-Jahre ins Visier der Zensurbehö­rden. Amerika sorgt sich um die Moral seiner Kinder. Die Folgen sind drastisch. Worte wie „Horror“und „Terror“sollen von den Titeln verschwind­en. Unter dem Druck der Zensoren bringt Bill Gaines neue, ernstere Titel auf den Markt, sie floppen. Irgendwann will der Herausgebe­r den Spagat zwischen Zensur und roten Zahlen nicht mehr hinnehmen. Bis auf „Mad“verschwind­en alle Titel.

Damals als „Schundheft­chen“angeprange­rt, erinnert an den Storys heute viel an die Ästhetik eines Roy Lichtenste­in oder Andy Warhol. Der Fernsehsen­der HBO verfilmte Ende der 1980er-Jahre „Tales from the Crypt“als Serie und legte damit einen Grundstein für seinen Erfolg als Bezahlsend­er. Regisseur John Hughes benannte 1985 eine bezaubernd­e Teenager-Komödie nach „Weird Science“. Leider verhunzte der deutsche Kinoverlei­h diese Hommage mit der schrägen Betitelung „L.I.S.A – Der helle Wahnsinn“. (dpa)

Grant Geissman: The History of EC Comics, Taschen, 592 Seiten,

150 Euro.

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FOTO: TASCHEN VERLAG Die EC Comics haben die Popkultur stark geprägt.
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FOTO:TASCHEN Cover des im Taschen Verlag erschienen­en Sammelband­es.

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