Aalener Nachrichten

Vom DDR-Star zum Weltbürger

Armin Mueller-Stahl wird 90 – Aktuell liegt er mit Herzproble­men in der Klinik

- Von Bettina Thienhaus

Eine Schauspiel­karriere in beiden deutschen Staaten und auch in Hollywood – das ist selten. Armin Mueller-Stahl, weiße Schläfen, wacher Blick aus markanten blauen Augen, hat das geschafft. Und er machte sich einen Namen als Musiker, Maler und Schriftste­ller, führte auch Regie, bei „Gespräch mit dem Biest“(1996) mit ihm selbst in der Hauptrolle. Vor der Kamera stand er in weit über 100 Filmen, und natürlich ist er auf der Theaterbüh­ne zu Hause. Nun wird er 90 Jahre alt. Am Mittwoch wurde bekannt, dass er wegen Herzproble­men ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurde. Nähere Informatio­nen lagen bis Redaktions­schluss nicht vor.

Zur Welt kam Mueller-Stahl am 17. Dezember 1930 in Ostpreußen, in Tilsit, dem heutigen russischen Sowetsk. Die Mutter, eine Ärztin, spielte Klavier, der Vater war ein theaterint­eressierte­r Bankkaufma­nn. Die Eltern begeistert­en ihre fünf Kinder für die Künste. 1938 siedelte die Familie ins brandenbur­gische Prenzlau um. Armin studierte Musikwisse­nschaften und Geige, wurde dann Schauspiel­er. 1952 stand er im Berliner Theater am Schiffbaue­rdamm erstmals auf der Bühne. Drei Jahre später debütierte er im Film, in Gustav von Wangenheim­s „Heimliche Ehen“.

Bald war Armin Mueller-Stahl der beliebtest­e Darsteller der DDR, populärer noch als sein Freund und Kollege Manfred Krug. Zum Star machten ihn Filme wie Kurt Maetzigs auf Kuba angesiedel­ter Spionagefi­lm „Preludio11“(1964). Doch MuellerSta­hl wurde auch im Westen bekannt, vor allem durch Filme wie Frank Beyers „Nackt unter Wölfen“(1963), der im KZ Buchenwald spielt, und das Ghetto-Drama „Jakob der Lügner“(1975). In dem Fernsehfil­m „Die letzte Chance“(1962) beeindruck­te er als Pianist, der sich nach dem Krieg überrasche­nd mit seinem Peiniger aus dem KZ konfrontie­rt sah.

Doch Mueller-Stahl rieb sich zunehmend an der SED-Politik. 1976 protestier­te er gegen die Ausbürgeru­ng von Wolf Biermann – und bekam keine Rollen mehr. „Lieber einen Knick in der Karriere als im Rückgrat“, definiert der Schauspiel­er seine Grundhaltu­ng. 1980 wurde sein Ausreisean­trag genehmigt. Mit seiner zweiten Frau, der Hautärztin Gabriele Scholz, und Sohn Christian ging er nach Westberlin.

In seinen ersten „West“-Rollen spielte er Männer, die sich in einer fremden Umgebung unsicher fühlen, melancholi­sch wirken. In Rainer

Werner Fassbinder­s „Lola“(1981) war er ein Bauingenie­ur aus dem Osten, der in der westdeutsc­hen Provinz der 50er-Jahre mit schmutzige­n Geschäftsp­raktiken der Branche in Konflikt gerät. In Niklaus Schillings „Der Westen leuchtet“(1982) verkörpert­e er einen Ostagenten, der sich mit den Spielregel­n der westlichen Gesellscha­ft vertraut machen muss.

Dem Schauspiel­er gelang es immer wieder, überzeugen­d und nuanciert seelische Abgründe zum Ausdruck zu bringen. Schlicht gestrickte Helden waren nie sein Ding. Internatio­nal startete er mit Großproduk­tionen wie Bernhard Wickis „Das Spinnennet­z“(1989) durch, die Hollywood aufhorchen ließen. Auch da waren die ersten Rollen – Fremde, Zugewander­te – perfekt auf ihn zugeschnit­ten. In CostaGavra­s’ „Music Box“(1989) spielte er einen alten ungarische­n Nazi, der lange unbehellig­t in den USA lebte, in „Avalon“(1990) einen polnischen Juden, der 1914 in die USA einwandert­e. Eine ungewohnt komische Rolle hatte er als New Yorker Taxifahrer in Jim Jarmuschs „Night on Earth“(1991): Der Typ namens Helmut spricht kaum Englisch und kann eigentlich auch nicht Auto fahren.

Für seine Rolle in „Shine“(1997) wurde er schließlic­h für den Oscar als bester Nebendarst­eller nominiert. 1999 glänzte er dann neben Robin Williams in der Hollywoodv­erfilmung von „Jakob der Lügner“. Und in Heinrich Breloers Fernseh-Dreiteiler „Die Manns – Ein Jahrhunder­troman“(2001) spielte er Thomas Mann so treffend, dass viele ihn noch heute mit dieser Rolle identifizi­eren.

Mueller-Stahl zeichnet und malt auch mit Begeisteru­ng, zeigt seine Werke in Ausstellun­gen. „Die Malerei macht mich frei“, sagte er einmal in einem Interview. Und er schreibt, Erzählunge­n, Romane und Tagebücher wie „Drehtage“, entstanden während der Arbeit an „Music Box“und „Avalon“. Sein Buch „Der wien Vogel fliegen kann“kombiniert Bilder und Gedichte. Zuletzt erschien „Im Herzen ein Gaukler“mit Frank-Burkhard Habel. 2010 brachte er eine CD heraus „es gibt tage …“mit Songs, die er einst in der DDR geschriebe­n hatte, poetische, skurrile und satirische Lieder.

2006 zog sich Mueller-Stahl aus dem Filmgeschä­ft zurück. „Zu anstrengen­d, immer das Warten auf den nächsten Dreh“, sagte er 2019 dem „Handelsbla­tt“. Er hat mehrere Wohnsitze, lebt vorwiegend in Pacific Palisades in Kalifornie­n bei Los Angeles und im schleswig-holsteinis­chen Sierksdorf an der Ostsee. Selbst hat er sich einmal als „Weltbürger aus Überzeugun­g“bezeichnet. (epd)

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Der Schauspiel­er und Künstler Armin Mueller-Stahl in einer Ausstellun­g seiner Bilder. Seit er sich aus dem Filmgeschä­ft zurückgezo­gen hat, beschäftig­t er sich vor allem mit der Malerei.

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