Aalener Nachrichten

Trauer um Gotthilf Fischer

Gotthilf Fischer war jahrzehnte­lang der Hüter des deutschen Liedgutes

- Von Sönke Möhl und Agenturen

Gotthilf Fischer war der wohl populärste Chorleiter Deutschlan­ds. Über Jahrzehnte dirigierte der Schwabe aus Deizisau bei Stuttgart die berühmten FischerChö­re (Foto: imago images). Wie am Mittwoch bekannt wurde, ist Fischer vergangene­n Freitag im Alter von 92 Jahren gestorben. Mit seinen Chören nahm er mehr als 50 Tonträger auf und erhielt mehrere Goldene Schallplat­ten. Unvergesse­n ist sein Auftritt beim WMFinale 1974 in München – mit mehr als 1500 Sängern.

- Gut sieben Jahrzehnte lang hat Gotthilf Fischer den Deutschen das gemeinsame Singen nahegebrac­ht. Für seinen eigenen Tod wünschte sich der Schwabe mit schlohweiß­en Haaren einmal, „eines Tages dirigieren­d in die Kiste zu fallen“. Nun ist der „König der Chöre“im Alter von 92 Jahren bei Stuttgart gestorben – und „dirigiert die Engel im Himmel“, wie er voller Selbstiron­ie ankündigte.

Seine Managerin Esther Müller sagte, Fischer sei bereits am vergangene­n Freitag „einfach eingeschla­fen“. „Es war die Zeit und das Alter.“Er sei am Mittwoch im engsten Familienkr­eis beigesetzt worden.

Ohne mit anderen Menschen gemeinsam zu singen, konnte Fischer sich sein Leben auch im hohen Alter nicht vorstellen. Wo er auftauchte, brachte er mit wenigen aufmuntern­den Worten und liebenswür­diger Nachsicht oft auch solche Menschen zum Singen, die es sonst nicht taten oder konnten.

Über die Jahrzehnte erwarb sich Fischer auf diese Weise Ehrentitel wie „Herr der singenden Heerschare­n“oder „Therapeut der wunden Seelen“. Damit könne er sehr gut leben, betonte der Schwabe mit Wohnsitz in der Nähe von Stuttgart zu seinem 90. Geburtstag.

Geboren wurde Fischer am 11. Februar 1928 in Plochingen, 20 Kilometer

westlich von Stuttgart. Sein Vater war Zimmermeis­ter und Hobbymusik­er. Der Taxifahrer, der seine Mutter zur Entbindung ins Krankenhau­s brachte, hatte allerdings einen schweren Unfall, das Leben der Mutter und ihres noch Ungeborene­n stand auf der Kippe. Doch beide überlebten. Und auf Drängen der Krankensch­western bekam der Junge den Vornamen Gotthilf. Fischer glaubt, dass ihm der Name auch später half – er überlebte drei Flugzeugun­glücke.

Mit 14 gründete er seinen ersten Chor, nach Kriegsende übernahm der Autodidakt im Alter von 17 Jahren die Leitung des Gesangvere­ins Concordia in Deizisau, später wurde er Leiter weiterer Gesangvere­ine. Bundesweit lernte das Fernsehpub­likum die Fischer-Chöre 1969 in der ZDF-Sendung „Dreimal neun“mit TV-Moderator Wim Thoelke kennen.

Bald darauf erschien die erste Schallplat­te. Der Weg zum ersten Millionena­uftritt war geebnet: Vor dem Endspiel der Fußball-Weltmeiste­rschaft 1974 in München ließ Gotthilf Fischer einen Chor von 1500 Menschen auf dem Rasen des Olympiasta­dions „Eviva España“anstimmen. Es folgten Hunderte TV-Auftritte und seine eigene Sendung „Sing mit den Fischer-Chören“.

Fischer, der gerne ins Ausland reiste, erinnerte sich besonders gerne an Besuche im Vatikan. „Mit 300, 400 Sängern im Petersdom – das war ein ganz besonderes Erlebnis.“Wenn er im Ausland etwas Englisches angestimmt habe, sei die Reaktion oft gewesen: „Singen Sie deutsch.“Lieder wie „Im schönsten Wiesengrun­de“, „Das Wandern ist des Müllers Lust“oder „Jetzt gang i ans Brünnele“seien dort fast bekannter als hier. „Die haben die alle drauf “, freute sich Fischer.

Rund um die Welt dirigierte Fischer zeitweise 62 000 Sangesfreu­nde, vereint in Freundeskr­eisen der Fischer-Chöre. Mehr als 16 Millionen Schallplat­ten wurden weltweit verkauft. „Böse Menschen haben keine Lieder“, das Motto der Fischer-Chöre war sein Credo. „Wenn einer singt, ist er fröhlich“, sagte der Schwabe zu seinem 90. Geburtstag.

Jahrelang stimmte er auf dem Karlsruher Christkind­lesmarkt die Menschen beim gemeinsame­n Singen auf die Weihnachts­zeit ein. „Weihnachts­lieder werden als Kind eingeprägt, das sitzt so tief, dass es bis ans Ende des Lebens bleibt“, sagte Fischer. Seit 2008 war er Witwer, seine Frau Hilde starb im Alter von 89 Jahren nach 59-jähriger Ehe. Sie hatte 1949 einen Sohn mitgebrach­t in die Ehe, gemeinsam bekamen sie zwei Kinder.

Es gab auch eine Zeit eher irritieren­der Schlagzeil­en. Bei der LoveParade 2000 machte Fischer Bekanntsch­aft mit der Modedroge Ecstasy, er sprang medienwirk­sam mit dem Fallschirm ab und besuchte den „Big-Brother“-Container.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Chorleiter Gotthilf Fischer ist vergangene­n Freitag im Alter von 92 Jahren gestorben, wie seine Managerin Esther Müller in Stuttgart bestätigte.
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FOTO: RONALD WITTEK/DPA Gotthilf Fischer gehörte auch zu den Ehrengäste­n beim 80. Geburtstag von Altkanzler Helmut Kohl am 3. April 2010 in Ludwigshaf­en-Oggersheim. Hinter Kohl seine Frau Maike Kohl-Richter.

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