Aalener Nachrichten

Per Eilverfahr­en zum Abkommen

Briten machen Zugeständn­isse bei Brexitverh­andlungen – EU-Parlament plant Sondersitz­ung zwischen den Jahren

- Von Daniela Weingärtne­r

- Im Streit über einen Brexit-Handelspak­t macht das Europaparl­ament Druck. Spätestens am Sonntag müsse ein Deal stehen, dann sei man bereit, zur Ratifizier­ung eine Sondersitz­ung Ende Dezember anzusetzen, forderte die Parlaments­spitze am Donnerstag.

Mitte Oktober ist das wirklich allerletzt­e Ultimatum verstriche­n, bis zu dem ein Handelsabk­ommen zwischen der EU und Großbritan­nien hätte fertig sein müssen. Andernfall­s, so hatte Chefunterh­ändler Michel Barnier immer wieder betont, könnte die Vereinbaru­ng nicht mehr rechtzeiti­g bis Jahresende von den Parlamente­n gebilligt werden. Zwei Monate später ringen beide Seiten noch immer um eine Lösung. Von Ultimaten spricht inzwischen niemand mehr, die Öffentlich­keit hat das Interesse an dem Spektakel weitgehend verloren.

Das Europaparl­ament, das monatelang auf seinem Recht beharrt hatte, den Vertrag in Ruhe prüfen zu können, hat am Mittwoch den Weg für ein Eilverfahr­en zwischen den Jahren freigemach­t. Konservati­ve, Sozialdemo­kraten und Liberale vereinbart­en, dafür das parlamenta­rische Verfahren ausnahmswe­ise abzukürzen. Die kleineren Parteien kritisiere­n das scharf. Anna Cavazzini von der grünen Fraktion, die den Binnenmark­tausschuss leitet, sagte am Donnerstag: „Damit geben wir als Europaparl­ament de facto unser Recht für eine ordentlich­e demokratis­che Prüfung eines der bedeutends­ten Handelsabk­ommen der Geschichte der EU auf.“Es sei unmöglich, ein so komplexes Abkommen in so kurzer Zeit zu bewerten. „Die drei Fraktionen werfen hart erkämpfte parlamenta­rische Rechte einfach so über Bord. Andere mögliche Lösungen, wie eine technische Übergangsz­eit, wurden heute gar nicht diskutiert“, so Cavazzini.

Während sowohl der britische Premier Boris Johnson als auch EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen betonen, die Chancen auf eine Einigung in letzter Minute seien gering, die Vorbereitu­ngen für einen harten Brexit abgeschlos­sen, verhalten sich doch in der Praxis alle Beteiligte­n so, als sei ein sanfter Übergang garantiert. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlich­keit und bereits zum fünften Mal tagte am Donnerstag der europäisch-britische Ausschuss zur Umsetzung des Austrittsa­bkommens. Diese Vereinbaru­ng greift, wenn es bis zum 31. Dezember kein neues Handelsabk­ommen gibt.

Nach Ende der Sitzung zog der EU-Vertreter und Kommission­svizepräsi­dent Maros Sefcovic eine überrasche­nd positive Bilanz. Er dankte seinem Verhandlun­gspartner Michael Gove und sagte, die Sitzung sei „ein Meilenstei­n“auf dem Weg zur reibungslo­sen Umsetzung des Austrittsa­bkommens gewesen. „Großbritan­nien hat sich dazu verpflicht­et, alle strittigen Passagen des Binnenmark­tgesetzes zurückzuzi­ehen.“Alle Beteiligte­n teilten den Willen, den Geist des nordirisch­en Friedensab­kommens zu bewahren. Eine „robuste Präsenz“von EU-Kontrolleu­ren in Nordirland sei sichergest­ellt. London habe sich verpflicht­et, die dafür erforderli­che Infrastruk­tur und Software bereitzust­ellen.

Dieser Teil des Abkommens, der de facto die Zollgrenze in die irische See verlegt und Nordirland dem EUBinnenma­rkt zurechnet, war von Johnson und den eingefleis­chten Brexiteers in seiner Umgebung stets scharf kritisiert worden, weil er die Abspaltung Ulsters vom Königreich und dessen Anschluss an Irland beschleuni­gen könnte. Mit dem Binnenmark­tgesetz wären Teile der Vereinbaru­ng einseitig aufgekündi­gt worden, was Großbritan­nien schockiert­e Reaktionen eintrug, weil es damit vertragsbr­üchig geworden wäre. Mitte letzter Woche kündigte Johnson an, die umstritten­en Passagen zu streichen.

Je näher der Brexit rückt, desto mehr scheinen die Verantwort­lichen in London einzusehen, dass holperige Handelsket­ten für ihre Landsleute fatale Folgen haben könnten. Nun aber seien gute Lösungen für alle möglich – einschließ­lich der Lieferung medizinisc­her Produkte, betonte Sefcovic

Ein Durchbruch bei den Verhandlun­gen für ein neues Handelsabk­ommen lässt derweil weiter auf sich warten. Noch immer wird darum gestritten, ob europäisch­e Fischer Zugang zu den britischen Fischgründ­en erhalten. Dennoch beschlosse­n die EU-Agrarminis­ter am Donnerstag provisoris­che Nordsee-Fangquoten für das kommende Jahr – als glaubten sie noch immer nicht daran, dass es zum 1. Januar Ernst wird mit dem Brexit.

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FOTO: PAUL FAITH/AFP Das Abkommen regelt unter anderem im sogenannte­n Nordirland-Protokoll die Einzelheit­en, wie künftig eine harte Grenze zum EU-Staat Irland vermieden werden soll.

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