Aalener Nachrichten

Was alte Geldstücke von Kalifen und Sultanen erzählen

In Tübingen gibt es eine der weltweit größten Sammlungen orientalis­cher Münzen – Wissenscha­ftler forschen damit über den Islam

- Von Judith Kubitschec­k

(epd) - Ein kleiner Raum mit sechs Tresoren – auf den ersten Blick recht unspektaku­lär. Und doch ist hier in Tübingen in der Forschungs­stelle für islamische Numismatik (Münzkunde) die mit Abstand größte islamische Münzsammlu­ng Deutschlan­ds zu Hause. Weltweit gehört sie sogar zu den Top drei: Fast 80 000 Münzen lagern dort. Nur die Sammlungen der Eremitage in St. Petersburg und außerdem die des Nationalmu­seums von Katar mit je etwa 100 000 Münzen sind noch größer.

Die Münzen erzählen die Geschichte des Islam, die mit dem Religionss­tifter Mohammed (571-632) im 7. Jahrhunder­t begann. Aus der Frühzeit des Islams stammt auch einer der Schätze der Tübinger Sammlung: Der Leiter der Forschungs­stelle, Sebastian Hanstein, zeigt eine Silbermünz­e aus dem 7. Jahrhunder­t, geprägt im Südiran. In mittelpers­ischer Schrift ist auf ihr der Kalif Mu'awiya (603-680) als „Befehlshab­er der Gläubigen“genannt. Er ist der erste Kalif überhaupt, dessen Name auf einer Münze verewigt worden ist.

Dass es die Zeit war, in der das islamische Reich erst entstand, ist auch daran zu erkennen, dass auf der Münze noch ein alter zoroastris­cher Feueraltar mit Priesterwa­chen sowie eine Büste des sasanidisc­hen Großkönigs abgebildet sind – obwohl das persische Großreich nicht mehr existierte, weil es bereits von den muslimisch­en Arabern erobert worden war.

„Die frühislami­schen Herrscher haben die Münzentype­n, die man in den eroberten Gebieten gewohnt war, erst allmählich den neuen Machtverhä­ltnissen angepasst“, erklärt Hanstein und holt als weiteres Beispiel aus einer der vielen Schubladen eine arabo-byzantinis­che Kupfermünz­e aus Syrien heraus, auf der griechisch­e Buchstaben neben arabischen prangen.

Selbst byzantinis­che Münzen mit christlich­en Kreuzen wurden nach der islamische­n Eroberung anfangs noch verwendet. Später prägte man dann im gesamten Umayyadenr­eich – also von Zentralasi­en über den Nahen Osten bis Spanien – einheitlic­hes Silbergeld. Auf diesem steht nur arabische Schrift – darunter die 112. Koransure: In ihr wird in Abgrenzung zu christlich­en Vorstellun­gen betont, dass Gott weder Vater noch Sohn ist.

Auf solchen Münzen des 8. Jahrhunder­ts finden sich dann keine Herrschern­ennungen und bildlichen Darstellun­gen mehr.

Anders sieht das bei sogenannte­n Geschenkmü­nzen aus, die man bei einem speziellen Anlass feierlich überreicht bekam. Diese unterschie­den sich von den normalen Umlaufmünz­en, erklärt Hanstein und zeigt eine abbasidisc­he Münze, auf der Hasen abgebildet sind. Über den zehnten Abbasiden-Kalifen al-Muttawakki­l (822-861) ist zu lesen, dass er bei einem Fest im Winter Rosenblüte­n verstreuen wollte. Da es im Winter aber einfach keine Rosen gab, ließ er hauchdünne Münzen bunt einfärben und warf diese unter seine Gäste.

Natürlich sind in der Sammlung auch Münzen so berühmter Herrscher wie Saladin zu finden, der im 12. Jahrhunder­t Jerusalem eroberte. In manche Münzen wurden auch Löcher geschlagen, um sie als Schmuckstü­cke am Hals oder der

Kleidung zu tragen. „Das ist für Wissenscha­ftler nicht so schön, wenn gerade durch den Namen des Herrschers oder die Jahreszahl ein Loch geht“, sagt Hanstein mit einem Lächeln.

Seit 30 Jahren besteht die Forschungs­stelle für islamische Numismatik. Sie gehört zur Abteilung Orientund Islamwisse­nschaft des Asien-Orient-Instituts der Universitä­t Tübingen und hatte anfangs vor allem die Aufgabe, die Sammlung des Amerikaner­s Stephen Album aus 30 000 Münzen zu erschließe­n, die 1988 mithilfe der Volkswagen­stiftung gekauft wurde.

Selbst drei Jahrzehnte später gibt es für die Wissenscha­ftler noch andauernd Neues zu entdecken: „Wer hier forscht, kann sogar bisher unbekannte Dynastien entdecken“, sagt Hanstein.

Unter der Buyiden-Dynastie im Iran und Irak gab es beispielsw­eise rund 100 Münzpräges­tätten, und da die Namensnenn­ung auf den Münzen im 10./11. Jahrhunder­t ein zentrales Herrscherr­echt war, finden sich auf den Prägungen oft mehrere Namen und Titel. Dadurch sind die politische­n Verhältnis­se in den einzelnen Provinzen jahrgenau rekonstrui­erbar: „Die Münzen sind wie kleine Staatsurku­nden.“Damit die buyidische­n Münzen auch im Internet zugänglich sind, werden sie in einem neuen Forschungs­projekt digitalisi­ert.

Oft ist es nicht so einfach, die Namen zu entziffern, die auf Arabisch oder Persisch auf den Münzen stehen. Kopfzerbre­chen bereiten beispielsw­eise türkische Namen und Titel, die mit arabischen Buchstaben geschriebe­n wurden.

Um auch jungen Menschen die Faszinatio­n von Münzen nahezubrin­gen, ist die Forschungs­stelle an dem Projekt „Craveler + Copter“beteiligt, in dem eine Lernspiel-App entwickelt wird. Mit ihr reist man zum Beispiel in die Zeit von al-Mutawakkil zurück und muss am Ende eines Hindernisl­aufs das berühmte Spiralmina­rett von Samarra erklimmen, wo eine passende Münze als Belohnung wartet.

Jedes Jahr, traditione­ll im Mai, lädt die Forschungs­stelle zu einer internatio­nalen Tagung ein. Sammler und Wissenscha­ftler werden dann angesproch­en. Aber nicht nur dann sind regelmäßig Besucher aus aller Welt zu Gast, um in der Sammlung und der numismatis­chen Bibliothek zu forschen. Tübingen ist eben das europäisch­e Mekka für Experten islamische­r Münzen.

„Wer hier forscht, kann sogar bisher unbekannte Dynastien entdecken.“Sebastian Hanstein, Leiter der Forschungs­stelle

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Diese marokkanis­chen Goldmünzen wurden von 1370 bis 1420 geprägt und in den 1940er-Jahren in Butera auf Sizilien entdeckt.
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FOTOS: VALENTIN MARQUARDT/UNIVERSITÄ­T TÜBINGEN Gegenstemp­el einer Münze, die aus Zentralasi­en stammt und etwa 700 Jahre alt ist.

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