Schalke setzt in der Krise auf Stevens
Der VfB Stuttgart blickt nicht auf die Tabelle, sondern nur auf den Tag
(SID) - Schalke 04, der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga, hat Trainer Manuel Baum entlassen und setzt nun auf ClubIkone Huub Stevens. Der 67-jährige Niederländer übernimmt die Königsblauen für zwei Spiele: am Samstag in der Liga gegen Bielefeld und am Dienstag im DFB-Pokal beim SSV Ulm. Schalke ist saisonübergreifend seit 28 Spielen ohne Sieg.
- Beim 5:1-Sieg in Dortmund überzeugten die im Schnitt 23,4 Jahre jungen Stuttgarter nicht nur fußballerisch, sondern auch künstlerisch, pantomimisch, ja sogar: theatralisch. Nach dem Treffer zum 2:1 von Silas Wamangituka bildeten der Kongolese und sein ebenfalls kongostämmiger belgischer Vorbereiter Orel Mangala mit dem Franzosen Tanguy Coulibaly, dessen Ahnen aus Mali stammen, eine Art Kap der guten Hoffnung. Alle drei breiteten die Hände aus, schlugen ein imaginäres Buch auf und taten so, als ob sie darin etwas eintragen würden. Mangala, der im Alltag für die inzwischen vier frankophonen Kollegen im Kader den Dolmetscher gibt, berichtete später, nicht nur die Spielzüge, auch der Torjubel sei einstudiert gewesen. „Ich spreche oft mit den Jungs im Training und habe ihnen gesagt: Lasst uns in dieser Saison Geschichte schreiben. Also haben wir das Buch aufgeschlagen und den ersten Eintrag vorgenommen.“
Es dürfte nicht das letzte Kapitel gewesen sein, denn der VfB wirkt derzeit nicht nur auf dem Feld wie im Flow, er harmoniert auch menschlich prächtig. Mangala, Coulibaly und Silas, die drei Dribbelkönige, bilden dabei eine Art French Connection und erinnern verdächtig an die Mainzer Holtby, Schürrle und Szalai, die einst sensationell über Wochen die Tabelle anführten und als Bruchweg-Boys in die Annalen eingingen. Willkommen also bei den Wasen-Boys.
Allerdings war es Trainer Pellegrino Matarazzo am Freitag wichtig, darauf hinzuweisen, dass es da keine Grüppchenbildung beim VfB gebe, keine Gefahr der Parallelgesellschaft, wie man sie einst im Nationalteam der Holländer erlebte, wo Dunkel- und Hellhäutige zwei am Ende zerstrittene Lager bildeten. „Es ist nicht so, dass bei uns nur die Franzosen zusammenhängen und die anderen in ihrer Ecke sind. Wir sind ein Team, eine Einheit auf dem Platz – das spürt man. Und wir wachsen mit jedem Erfolg und lernen aus jeder Niederlage“, sagte der Trainer. „Was Mannschaftsgeist und Zusammenhalt betrifft, da war die Vorbereitung Gold wert. Da haben wir Riesenschritte gemacht.“
So große, dass inzwischen keiner mehr an einen Einbruch glaubt, obwohl der VfB zum Hinrundenende noch gegen die Spitzenteams Leipzig, Gladbach und am Sonntag in Wolfsburg antreten muss. Das 2:2 gegen Union Berlin zeigte, dass die Moral des Teams größer ist denn je, dass ein 0:2-Rückstand nichts bedeuten muss, dass jeder an die Macht der eigenen Stärke glaubt und die Torgefahr auch jederzeit von der Bank kommen kann. Joker Sasa Kalajdzic schoss zwei späte Tore, Philipp Clement und Daniel Didavi waren die Vorbereiter. Matarazzo weiß, dass er inzwischen allen Spielern vertrauen kann. „Ich bin froh, so ein Luxusproblem zu haben.“
Sollte Mangala wieder beschwerdefrei sein („Es sieht gut aus“), dürfte er beim VfL, dem nächsten Gegner, der dem VfB noch einige Prozente voraus ist, zwar wieder gesetzt sein. Im Sturmzentrum aber hat Matarazzo erneut die Qual der Wahl: Alle drei Stürmer – Zwei-Meter-Mann Kalajdzic und die brandschnellen Coulibaly und Nicolas Gonzalez – haben zuletzt überzeugt, Matarazzo hat sich noch nicht festgelegt: „Wir werden sehen, welchen Stürmertyp wir brauchen.“
Auch wenn das Team gegen Union müde gewirkt habe, gebe es im Training weiter Vollgas. „Und damit meine ich nicht, dass wir immer an der Belastungsgrenze trainieren. Sondern dass wir bei allen Übungen immer 100 Prozent fokussiert sind. Wir schauen weiterhin nicht auf die Tabelle, sondern nur auf diesen Tag, darauf, wie wir besser werden können.“
Wie selbstbewusst auch der Trainer inzwischen ist, zeigt, dass ihm vor der besten Abwehr der Liga (neun Gegentore) und VfL-Torjäger Wout Weghorst nicht graut. „Wir müssen körperlich dagegenhalten und mit unserer Frische und unserem Spielwitz Räume nutzen, Chancen kreieren und zielstrebig nach vorne spielen. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber wir gehen es mutig und selbstbewusst an.“Zumal der VfB nicht nur das dribbelstärkste Team der Liga hat, sondern auch die drittmeisten Torschüsse der Liga abfeuert. Am Sonntag könnte er zudem seinen eigenwilligen Rekord ausbauen: Würde Stuttgart auch nach 13 Spielen auswärts ungeschlagen bleiben (und zu Hause ohne Sieg), hätte der Coach sicher nichts dagegen.
Auf die Frage, wie groß sein Einfluss auf die Kaderplanung ist – Talente-Guru Sven Mislintat, der als VfBErfolgsgarant gefeiert wird, hatte tags zuvor seinen Vertrag verlängert –, reagierte Matarazzo ähnlich wie Mislintat. Es sei keine Ein-Mann-Show beim VfB, „und es wäre sehr schwierig, wenn ich Sven nicht sagen könnte, dass ich von einem Spieler begeistert bin. Das wäre wohl einmalig in der Geschichte des Fußballs. Sven und ich sprechen über alles, und ich bin sehr glücklich über seine Fähigkeiten.“