Aalener Nachrichten

Nebenwirku­ngen: unangenehm, aber wohl risikofrei

Millionen Menschen müssen entscheide­n, ob und wann sie sich gegen Corona impfen lassen

- Von Gregor Bauernfein­d

(dpa) - Der Impfstoff gegen das Coronaviru­s wird sehnsüchti­g erwartet. Zeitlich begrenzte Begleiters­cheinungen nach Impfungen sind aber nicht unwahrsche­inlich – das ist auch beim Impfstoff von Biontech und Pfizer nicht anders. Kopfweh, Müdigkeit, Schmerzen an der Impfstelle: Solche Nebenwirku­ngen muss möglicherw­eise in Kauf nehmen, wer sich schützen will. Impfexpert­en sagen: Nicht angenehm, aber auch kein Anlass für größere Bedenken.

Der Impfstoff wurde von Ende Juli bis Mitte November in einer Studie mit insgesamt 44 820 Männern und Frauen untersucht, die im „New England Journal of Medicine“veröffentl­ichte wurde. Etwa die Hälfte der Probanden bekam zweimal den Impfstoff verabreich­t, die andere Hälfte stattdesse­n ein wirkungslo­ses Placebo. Die Teilnehmer waren mindestens 16 Jahre alt, rund 42 Prozent von ihnen waren älter als 55 Jahre.

Die Auswertung zeigt, dass etwa vorübergeh­ende Schmerzen an der Impfstelle, Kopfschmer­zen oder Müdigkeit vorkommen können. Konkret berichtete­n – je nach Altersgrup­pe und ob es sich um die erste oder zweite Dosis handelte – 66 bis 83 Prozent von Schmerzen an der Einstichst­elle. Bei fünf bis sieben Prozent zeigten sich dort Rötungen oder Schwellung­en.

Teilnehmer klagten nach der Impfung außerdem über Müdigkeit (34 bis 59 Prozent) und Kopfschmer­zen (25 bis 52 Prozent), Schüttelfr­ost (6 bis 35 Prozent), Durchfall (8 bis 12 Prozent), Muskelschm­erzen (14 bis 37 Prozent) und Gliedersch­merzen (9 bis 22 Prozent). Besonders bei der zweiten Impfdosis bekamen Teilnehmer (11 Prozent der Älteren und 16 der Jüngeren) Fieber. Die Nebenwirku­ngen waren demnach im Allgemeine­n schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit wieder ab.

Solche Begleiters­cheinungen sind bei Impfungen üblich, wie Stefan Kaufmann, emeritiert­er Direktor am Max-Planck-Institut für Infektions­biologie, sagt: „Ganz ohne geht es nicht.“Der Wiener Impfexpert­e Herwig Kollaritsc­h beschreibt es im Buch „Pro & Contra Coronaimpf­ung“so: „Eine Impfung ist kein Hustenzuck­erl.“Eine vorübergeh­ende Entzündung­sreaktion ist erstmal nichts Negatives. Der Körper müsse schließlic­h irgendwie merken, wo er mit seiner Immunantwo­rt hinsolle, erklärt Kaufmann. Kollaritsc­h verweist auf den Pharmakolo­gen Gustav Kuschinsky (1904 bis 1992): „Wenn behauptet wird, dass eine Substanz keine Nebenwirku­ng zeigt, so besteht der dringende Verdacht, dass sie auch keine Hauptwirku­ng hat.“

Im Vergleich zu vielen etablierte­n Impfstoffe­n ist der Biontech/PfizerImpf­stoff „reaktogene­r“, wie Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiolo­gie, Immunologi­e und Hygiene an der Uniklinik Erlangen, erklärt. Die Nebenwirku­ngen treten also häufiger auf als etwa bei Grippe-, Tetanus- oder Diphtherie­impfungen. Impfexpert­en vergleiche­n die Reaktionen mit denen nach einer Gürtelrose-Impfung. Kein Grund aber für stärkere Bedenken, sagt Kaufmann: „Es ist halt ein bisschen unangenehm.“

Bei den Tests stellte sich außerdem heraus, dass über 55-Jährige den Impfstoff als verträglic­her empfanden und weniger Nebenwirku­ngen beklagten als Jüngere. Grundsätzl­ich traten Begleiters­cheinungen öfter bei der zweiten Impfdosis auf. 64 Geimpfte berichtete­n über geschwolle­ne Lymphknote­n. Über die leichteren Beschwerde­n hinaus gab es vereinzelt schwerwieg­endere „unerwünsch­te Ereignisse“. Je eine Person meldete eine Schulterve­rletzung, Herzrhythm­usstörunge­n sowie Taubheitsg­efühl (Parästhesi­e) im Bein.

Die Aussagekra­ft über unwahrsche­inlichere Reaktionen ist jedoch begrenzt. Bogdan zufolge ließen sich Nebenwirku­ngen, die bei 1000 Personen im Schnitt einmal vorkommen, mit einer Wahrschein­lichkeit von 95 Prozent erkennen. „Ereignisse, die seltener als 1 in 10 000 sind, lassen sich nicht zuverlässi­g detektiere­n“, sagt er.

Noch gibt es keine Studienerg­ebnisse dazu, ob und welche Nebenwirku­ngen möglicherw­eise nach einem längeren Zeitraum auftreten. Dafür gibt es den Impfstoff einfach noch nicht lange genug. Die Verträglic­hkeit wird aber auch nach der Zulassung weiter überprüft. In Deutschlan­d sollen geimpfte Menschen unter anderem mögliche Nebenwirku­ngen per App melden können.

Bei dem Präparat von Biontech und Pfizer sowie bei dem der US-Firma Moderna handelt es sich um mRNA-Impfstoffe. Sie enthalten genetische Informatio­nen des Erregers, aus denen Körperzell­en ein Virusprote­in herstellen. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von Antikörper­n gegen dieses Protein anzuregen, um dann bei einer späteren Infektion die Viren frühzeitig bekämpfen zu können.

Damit die mRNA überhaupt erst ins Innere der Zellen gelangen kann, ist sie mit einer Hülle von Lipid-Nanopartik­eln umgeben. Sie sind - grob gesagt – winzige Fettmolekü­le, die als Fremdkörpe­r in den zu großen Teilen aus Wasser bestehende­n Körper kommen. „Fett und Wasser trennen sich immer“, erklärt Kaufmann. Geimpfte bekommen das womöglich in Form einer zeitlich begrenzten Entzündung­sreaktion zu spüren – an sich gefährlich sind die Lipide aber nicht, wie Kaufmann erklärt.

Teil der Hülle bei den Impfstoffe­n von Moderna und Pfizer/Biontech sind laut Olivia Merkel vom Fachbereic­h Pharmazeut­ische Technologi­e an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München sogenannte Polyethyle­nglykole (PEG). Der Körper kann Antikörper dagegen bilden. Laut Merkel ist es denkbar, dass die Immunantwo­rt gegen die PEG zu allergisch­en Reaktionen nach der zweiten Impfdosis führt. Das könne sich etwa in einem Ausschlag äußern.

In Großbritan­nien, wo bereits mehr als 140 000 Menschen den Biontech und Pfizer-Impfstoff erhielten, zeigten zwei Geimpfte größere allergisch­e Reaktionen. Die Behörden riefen daraufhin Menschen mit einer „signifikan­ten“Allergiege­schichte auf, sich vorerst nicht impfen zu lassen.

Auch in Alaska reagierte ein Mensch nach einer Impfung mit starken Allergie-Symptomen. Der Impfexpert­e Kollaritsc­h sagte, eine derartige Frequenz von allergisch­en Nebenwirku­ngen bei hochallerg­ischen Personen sei nicht ungewöhnli­ch.

Leif Erik Sander, Infektiolo­ge an der Berliner Charité, sagt, bei den beiden Fällen in Großbritan­nien handele es sich um Personen mit einer Geschichte von schwersten, lebensbedr­ohlichen Allergien, die ständig ein Notfallset mit sich tragen. Solche Menschen hätten bei jedem Arzneimitt­el und bei jeder Impfung ein starkes Risiko und seien auch nicht in der Zulassungs­studie berücksich­tigt worden. Sehr wohl hätten da aber auch Menschen mit Allergien teilgenomm­en. Allergisch­e Nebenwirku­ngen seien in der Studie jedoch nicht erhöht gewesen. „Ich glaube daher nicht, dass wir ein generelles Problem haben“, sagte er. Wer konkret geimpft werden kann, wird laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zeitnah nach der Zulassung von der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur EMA veröffentl­icht.

In der Zulassungs­studie berücksich­tigt wurden außerdem Probanden mit Vorerkrank­ungen wie Diabetes, Rheuma, Herzinsuff­izienz oder Nierenerkr­ankungen. Andere oder stärkere Nebenwirku­ngen wurden in diesen Gruppen nicht berichtet, wie der Infektions­immunologe Bogdan erklärt.

Keine Gefahr besteht dem PEI zufolge, dass durch den Impfstoff mRNA in das menschlich­e Erbgut gerät. Ausgeschlo­ssen ist laut Bogdan und Kollaritsc­h zudem, dass man sich durch mRNA-Impfstoffe die Krankheit holt, vor der man eigentlich geschützt werden soll. Laut Bogdan gilt das auch für VektorImpf­stoffe wie den von Astrazenec­a. „So etwas wäre nur möglich bei Verwendung von abgeschwäc­hten SarsCoV-2 Lebendimpf­stoffen, die es bisher aber nicht gibt“, sagte Bogdan.

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FOTO: CHRIS JACKSON/DPA Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs von Biontech und Pfizer werden in den kommenden Monaten weltweit benötigt.

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