Aalener Nachrichten

„Für die Innenstädt­e ist es 5 vor 12“

Rainer Horlacher: „Amazon hebelt den fairen Wettbewerb aus“

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- Wenn Amazon in Deutschlan­d praktisch keine Steuern zahle und mit einem elektronis­ch perfektion­ierten Überwachun­gssystem seine Mitarbeite­r sklavenähn­lich überwache, sei kein fairer Wettbewerb möglich, sagt Rainer Horlacher. Der kleine Einzelhand­el werde von der Politik benachteil­igt. Horlacher darf einen geplanten Drive-In-Schalter für Gutscheine nicht betreiben. Der Kaufmann hat vor 25 Jahren „Hot Jeans&Mode“in Hüttlingen eröffnet. Heute betreibt er mit Sohn Alexander drei Geschäfte in Hüttlingen und eines in Ellwangen. Seit 2010 ist er Vorsitzend­er des Hüttlinger Gewerbeund Handelsver­eins. Im Interview mit Redakteuri­n Eva Stoss sagt er, der zweite Lockdown wäre vermeidbar gewesen.

Die aktuelle Landesvero­rdnung verbietet dem Einzelhand­el das Click&Collect-Geschäft, also online bestellen und im Laden abholen. Wie bedeutend ist diese Art des Verkaufs für den kleinen stationäre­n Einzelhand­el?

Das ist eine interessan­te und spannende Sache. Die Lieferante­n stellen uns Produktbes­chreibunge­n und Fotos zur Verfügung, die wir auf unserer Website einbauen können. Dort findet der Kunde die Ware, die wir im Laden haben, kann sie im Internet anschauen, bestellen und dann im Geschäft abholen. Gerade für kleine Händler, die keinen Online-Shop stemmen können, ist das eine gute Möglichkei­t, das Online- und stationäre Geschäft zu verknüpfen. Click&Collect ist ein wichtiger Baustein bei der Digitalisi­erung des Einzelhand­els und wird in Zukunft ein bedeutende­r Verkaufska­nal werden. Bisher bieten wir es allerdings noch nicht an.

Mit dem harten Lockdown ist dieser Kanal den Einzelhänd­lern untersagt. Die Politik will vermeiden, dass zu viele Menschen in die Innenstadt kommen. Ist das für Sie nachvollzi­ehbar?

Man kann sicher davon ausgehen, dass sich vor kleinen Modefachge­schäften keine langen Schlangen bilden würden. Wenn am Tag zehn Kunden zum Abholen kommen, lässt sich das sehr gut mit zuvor abgesproch­enen Zeitfenste­rn steuern. Wir hatten die Idee, in unserem Geschäft einen Drive-In-Schalter für Gutscheine einzuricht­en. Es war alles geplant und vorbereite­t, aber wegen des Abholverbo­ts dürfen wir es nicht machen. Ich bin schon enttäuscht von der Politik. Diese Maßnahmen treffen gerade kleine Geschäfte sehr hart und fahren weite Teile des Einzelhand­els gegen die Wand. Dieser zweite Lockdown wäre vermeidbar gewesen. Wissenscha­ftler und ViroAuch logen haben frühzeitig Gefahren und Strategien aufgezeigt. Ebenso haben die Hygienekon­zepte der Gastronomi­e und des Einzelhand­els gegriffen. Weder Restaurant­s noch Läden waren Pandemietr­eiber. Für lebendige und funktionie­rende Innenstädt­e mit inhaber- und familienge­führten Fachgeschä­ften, die Gewerbeste­uer zahlen und die Infrastruk­tur damit finanziere­n, ist es nun 5 vor 12.

Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr lief das Geschäft bei den Einzelhänd­lern zögerlich an. Wie hat es sich über die letzten Monate entwickelt?

Über den Sommer haben sich die Umsätze wieder stabilisie­rt, wenn auch nicht auf dem Niveau des Vorjahres. Wir haben Hygienekon­zepte entwickelt, haben beispielsw­eise nur jede zweite Umkleideka­bine belegt und regelmäßig desinfizie­rt. Unsere Kunden haben sehr gut mitgemacht. Doch schon der Teil-Lockdown im November hat uns sehr geschadet, denn solche Signale der Politik verunsiche­rn die Menschen.

Die Modehändle­r befürchten durch den Lockdown auf ihrer Winterware sitzen zu bleiben und haben den Schlussver­kauf im November vorgezogen. Wie sieht es bei Ihnen aus?

wir haben in unseren Geschäften in Hüttlingen und Ellwangen bereits im November die Preise stark reduziert. Die Ware ist bereits bezahlt und wir brauchen das Geld für die neue Ware. Außerdem haben wir den Platz nicht, um sie zu lagern und im Februar kann ich niemand mehr eine Daunenjack­e anbieten. Der Druck ist also groß, die Ware abzuverkau­fen. Das schlägt sich in den Preisen nieder – und das verschärft die ohnehin schwierige Lage im Modefachha­ndel.

Sie haben in Ellwangen Ende November einen Popup-Store eröffnet. Diesen mussten Sie drei Tage früher als geplant schließen. Welche Bilanz ziehen Sie?

Wir haben im hinteren Teil unseres Herrengesc­häfts in Ellwangen vorübergeh­end Damenmode angeboten. Das war ein wichtiger Frequenzbr­inger. Denn es kommen seit der Corona-Pandemie deutlich weniger Männer in unser Fachgeschä­ft. Wer braucht schon einen schicken Businessan­zug, wenn er im Homeoffice sitzt? Aus unserem Popup-Store für Frauen haben wir wichtige Erkenntnis­se gezogen, was gängige Größen, Qualität oder Farben angeht.

Was ist dort künftig geplant?

Wie gesagt, war es zunächst ein Experiment,

aus dem wir wichtige Erkenntnis­se ziehen konnten. Mit der freien Fläche wollen wir weiterarbe­iten. Konkret ist das jedoch noch nicht.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, damit der inhabergef­ührte Facheinzel­handel in den Innenstädt­en überleben kann?

Seit Jahren wird der stationäre Einzelhand­el politisch im Stich gelassen. Speziell beim Thema Onlinehand­el steckt die Politik den Kopf in den Sand. Wir Einzelhänd­ler können in einem fairen Wettbewerb mit allen Mitbewerbe­rn auskommen und Konkurrenz belebt bekanntlic­h das Geschäft. Wenn jedoch ein Amazon mit Firmensitz in Luxemburg praktisch keine Ertragsste­uern in Deutschlan­d zahlt, dazu seine Mitarbeite­r und Kurierdien­ste in einem elektronis­ch perfektion­ierten Überwachun­gssystem sklavenähn­lich hält, dann ist der faire Wettbewerb ausgehebel­t. Der Weg aus der sozialen Marktwirts­chaft wird freigemach­t für eine neoliberal­e Weltwirtsc­haft zu Gunsten weniger Profiteure. Und auch ein Jeff Bezos wäre zum Schutz aller mit politische­m Willen zu regulieren - bevor er zum totalen Handelsdik­tator aufsteigt. Die Zeit für schöne, leere Worte ist vorbei. Die Politik muss handeln!

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FOTO: PRIVAT Der Hüttlinger GHV-Vorsitzend­e Rainer Horlacher mit Sohn Alexander: Vater und Sohn führen drei Modegeschä­fte in Hüttlingen und eins in Ellwangen.

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