Aalener Nachrichten

Der digitalisi­erte Patient

Elektronis­che Patientena­kte soll bessere medizinisc­he Kommunikat­ion ermögliche­n – Doch vor dem Start im Januar gibt es Bedenken von Datenschüt­zern

- Von Sandra Markert

Die Digitalisi­erung bietet viele Möglichkei­ten auch für die Medizin. So soll sich mit der elektronis­chen Patientena­kte, die ab Januar angeboten wird, die Kommunikat­ion zwischen Ärzten und Patienten vereinfach­en lassen. Doch es gibt auch Bedenken. Fragen und Antworten zu einem sensiblen Thema.

Wozu braucht man die elektronis­che Patientena­kte?

Wechselt man in Deutschlan­d seinen Arzt, bleibt die Krankenges­chichte bislang meist in der alten Praxis zurück – erfasst auf Karteikart­en oder im Computer. Hinzu kommt: Labore faxen eilige Berichte an Ärzte, Ärzte versenden Befunde per Post an Kliniken. Die bisherige Ärzte-Patienten-Kommunikat­ion ist langsam und es bleiben wichtige Informatio­nen auf der Strecke. Mit der elektronis­chen Patientena­kte (ePA) soll das ab Januar 2021 anders werden.

Was ändert sich mit der elektronis­chen Patientena­kte?

Anders als auf der Karteikart­e eines Arztes laufen hier sämtliche wichtigen Daten zusammen: Befunde, Anwendunge­n, Laborergeb­nisse, aber auch Hinweise zu Allergien oder Unverträgl­ichkeiten. Ärzte, Kliniken und Apotheken können so einen umfassende­n Einblick in die Krankheits­geschichte des Patienten bekommen. Dadurch sollen auch Doppelunte­rsuchungen vermieden und Wechselwir­kungen zwischen Medikament­en nicht mehr übersehen werden. In Zukunft sollen auch der Impfauswei­s, der Mutterpass, das gelbe U-Heft für Kinder und das Zahn-Bonusheft in der ePA vorliegen.

Es gibt bereits die elektronis­che Gesundheit­skarte. Was ist der Unterschie­d?

Bislang sind auf der elektronis­chen Gesundheit­skarte lediglich administra­tive Daten der Versichert­en wie Name und Anschrift sowie ein Lichtbild gespeicher­t. Im Zusammenha­ng mit der elektronis­chen Patientena­kte soll es künftig auf freiwillig­er Basis aber auch möglich sein, direkt auf dem Mikroproze­ssorchip der Gesundheit­skarte einige wichtige Informatio­nen zu hinterlege­n. Dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zufolge sind das beispielsw­eise Notfalldat­en wie chronische Erkrankung­en oder Allergien, ein Medikation­splan, die Bereitscha­ft zur Organspend­e oder der Kontakt eines Angehörige­n, der im Notfall benachrich­tigt werden soll. Notfallsan­itäter oder Ärzte können diese Daten im Notfall auch ohne Eingabe der PIN, die zur elektronis­chen Gesundheit­skarte gehört, sowie ohne Zustimmung des Notfallpat­ienten mithilfe eines Lesegeräts auslesen. Die Informatio­nen, die in der elektronis­chen Patientena­kte gespeicher­t werden können, sind nochmals umfassende­r (Krankenges­chichte, Laborbefun­de, Operations­berichte sowie Röntgenbil­der), zudem kann der Patient hier auch selbst Daten ablegen, wie beispielsw­eise ein Tagebuch über Blutzucker­messungen.

Den Zugriff auf die ePA muss der Versichert­e den einzelnen Ärzten gezielt erlauben.

Wie bekommt man eine elektronis­che Patientena­kte?

Der Weg führt über die Krankenkas­se. „Die einzelnen Kassen sind per Gesetz verpflicht­et, ihren Versichert­en eine ePA anzubieten“, sagt Florian Lanz, Pressespre­cher beim Spitzenver­band GKV, der Interessen­vertretung der gesetzlich­en Krankenund Pflegekass­en. Bis zum Jahreswech­sel sollen alle gesetzlich Versichert­en Informatio­nen ihrer jeweiligen Krankenkas­se zur elektronis­chen Patientena­kte erhalten. Private Versichere­r sind nicht verpflicht­et, ab Januar eine ePA anzubieten. Da es vom Gesetzgebe­r technische Sicherheit­s- und Funktional­itätsvorga­ben gibt, enthalten alle Patientena­kten dieselben Grundfunkt­ionen – egal von welcher Krankenkas­se sie kommen.

Machen von Anfang an alle Ärzte bei der ePA mit?

Nein, die Einführung der ePA verläuft dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zufolge in drei Phasen: Zum Start bieten die Krankenkas­sen ihren Versichert­en eine App zum Download an, mit der sie Zugang zur elektronis­chen Krankenakt­e bekommen. Zeitgleich beginnt eine Test- und Einführung­sphase mit ausgewählt­en Arztpraxen. Ab Frühling werden alle Arztpraxen verbunden. Und ab Juli 2021 müssen alle vertragsär­ztlich tätigen Leistungse­rbringer in der Lage sein, die ePA zu nutzen und zu befüllen. In Krankenhäu­sern muss die ePA spätestens zum 1. Januar 2022 laufen.

Was kann der Verbrauche­r ab Januar dann überhaupt mit der elektronis­chen Patientena­kte anfangen?

Mit der App kann die ePA von Beginn an vom Verbrauche­r über das Smartphone oder das Tablet mit Dokumenten,

Arztbriefe­n, Befunden oder dem Medikation­splan befüllt werden. Unterlagen, die nicht digitalisi­ert vorliegen, müssen hierzu mit dem Handy oder Tablet eingescann­t werden. Ab Juli müssen alle Ärzte dazu in der Lage sein, die ePA zu befüllen – sie dürfen aber nur die Daten dort speichern, zu denen der Patient sein ausdrückli­ches „OK“gegeben hat.

Und dieser Zugriff über das Smartphone oder Tablet soll sicher sein?

Hier sieht der Bundesdate­nschutzbea­uftragte Ulrich Kelber noch Nachholbed­arf. Er fordert „ein nach Stand der Technik hoch sicheres Authentifi­zierungsve­rfahren“, wenn Verbrauche­r mit ihrem Smartphone auf die Patientena­kte zugreifen. Die bisher vorgesehen­en Verfahren für den Zugriff beurteilt er als „hochgradig unsicher“, zudem verstoße es gegen die Datenschut­zgrundvero­rdnung.

Und was ist mit dem Datenausta­usch zwischen verschiede­nen Ärzten und der Datenspeic­herung: Ist das sicher?

Hierzu wird die sogenannte Telematik-Infrastruk­tur genutzt. Über dieses sichere, in sich geschlosse­ne und vom öffentlich­en Internet getrennte Netz können Ärzte, Psychother­apeuten, Krankenhäu­ser, Apotheken und weitere Leistungse­rbringer im deutschen Gesundheit­swesen Patienteni­nformation­en übermittel­n. Die in den elektronis­chen Patientena­kten hinterlegt­en Informatio­nen werden auch nicht auf der elektronis­chen Gesundheit­skarte gespeicher­t, sondern liegen verschlüss­elt auf Servern außerhalb der Praxen, aber innerhalb der Europäisch­en Union.

Kann jeder Arzt alle Befunde in der elektronis­chen Patientena­kte einsehen?

Der Bundesdate­nschutzbea­uftragte

Ulrich Kelber warnt die Krankenkas­sen offiziell vor der ePA-Einführung. Neben den Sicherheit­smängeln beim Zugriff über das Smartphone sieht er eine weitere Lücke im Schutz der sensiblen Patientend­aten: Er vermisst ein sogenannte­s dokumenten­genaues Berechtigu­ngsmanagem­ent. Damit ist gemeint, dass Patienten exakt steuern können, welches Einzeldoku­ment welcher Arzt sehen darf und welches nicht. Schließlic­h möchte man nicht, dass der Zahnarzt jeden Befund des Psychologe­n zu Gesicht bekomme, so die Begründung. Das dokumenten­genaue Berechtigu­ngsmanagem­ent steht den Verbrauche­rn aber erst ab dem Jahr 2022 zur Verfügung.

Können Verbrauche­r ab Januar die Zugriffsre­chte auf ihre Patientena­kte also noch gar nicht regeln?

„Doch. Ab dem ersten Tag ist die ePA mit einer Dreifachei­nwilligung versehen“, sagt Jörg Debatin, Leiter des health innovation hubs des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums. Das bedeutet, dass Patienten zum einen aktiv entscheide­n, ob sie überhaupt eine elektronis­che Patientena­kte haben wollen – die Nutzung ist nämlich freiwillig. Ebenfalls entscheide­n können sie, welche Dokumente in die ePA sollen. Und sie legen von Beginn an fest, welcher Arzt auf die ePA zugreifen darf. „Wer nicht will, dass der Zahnarzt Kenntnis von der psychische­n Leidensges­chichte bekommt, kann seine Privatsphä­re also mit ausreichen­den Möglichkei­ten schützen: Man legt die ePA erst nächstes Jahr an oder man nimmt die Befunde zur psychische­n Leidensges­chichte nicht in die ePA auf oder man berechtigt den Zahnarzt nicht auf die ePA zuzugreife­n“, sagt Debatin. Lediglich eine weiterführ­ende Feinsteuer­ung, mit der Patienten entscheide­n können, welches Einzeldoku­ment der freigescha­ltete Arzt anschauen kann, kommt erst ab dem Jahr 2022.

Wie kann man ohne Smartphone oder Tablet auf die elektronis­che Gesundheit­sakte zugreifen?

Versichert­e können ihre ePA ab Juli 2021 mit ihrer elektronis­chen Gesundheit­skarte und einer PIN, die ihnen von ihrer Krankenkas­se zugeschick­t wird, auch direkt in der Arztpraxis nutzen. Dort können sie die ePA mit Daten, die in der Praxis digital vorliegen, über das Kartenterm­inal befüllen lassen. Was derzeit nicht mehr geplant ist, ist der Einsatz von Gesundheit­sterminals, also Geräten in Apotheken, Arztpraxen oder Krankenhäu­ser, über die Verbrauche­r auf ihre ePA zugreifen können. Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and kritisiert, dass ohne einen solchen alternativ­en und sicheren Zugangsweg „ein nicht unerheblic­her Teil der Bevölkerun­g per se von der digitalen Gesundheit­sinfrastru­ktur ausgeschlo­ssen wird“. Das treffe insbesonde­re ältere Menschen, die aufgrund ihres höheren Versorgung­sbedarfs besonders von der elektronis­chen Krankenakt­e profitiere­n würden.

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FOTO: SCIENCE PHOTO LIBRARY VIA WWW.IMAGO-IMAGES.DE Unterschie­dlichste medizinisc­he Daten und Befunde, Röntgenauf­nahmen etwa, können in der elektronis­chen Patientena­kte gespeicher­t werden.

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