Aalener Nachrichten

Vor der Wirklichke­it verschanzt

Dokumentar­film über die Tragik des Joseph Ratzinger

- Von Katharina Zeckau Verteidige­r des Glaubens.

(KNA) - Er war der erste Papst der Neuzeit, der sein Amt freiwillig abgab: Benedikt XVI. Ein Film versucht sich an Porträt und Analyse. Und zeichnet das Bild eines Mannes, der alle Hoffnung auf den Glauben setzt und sich mit der Welt „draußen“oft schwertut.

Streckenwe­ise verheerend ist das Bild, das dieser Film von der katholisch­en Kirche zeichnet: das eines von Kontrollwu­t besessenen Apparates, der vor allem das Image von der eigenen „Heiligkeit“zu bewahren sucht. Und doch kommt der Dokumentar­film „Verteidige­r des Glaubens“, den 3sat am 21. Dezember von 22.25 bis 23.50 Uhr als TV-Premiere ausstrahlt, in der gebotenen Sachlichke­it und ohne Schaum vor dem Mund daher: Für das skizzierte Bild boten (und bieten) Kirche und Vatikan leider viel Material – zusätzlich­e Dramatisie­rung von außen braucht es nicht.

Bei aller Kritik begegnet die Doku ihrem zentralen Protagonis­ten Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., mit Respekt und dem Bemühen um Verständni­s. Autor und Regisseur Christoph Röhl liefert keine grundsätzl­iche Kirchenkri­tik, sondern bietet mit den Kirchenver­tretern, die zu Wort kommen, eine Phalanx an Menschen auf, die trotz aller Kritik weiter für ein weltoffene­s, den Menschen zugewandte­s Christentu­m werben: etwa den Jesuiten

Klaus Mertes, der 2010 am Berliner Canisius-Kolleg die hiesige Welle an Missbrauch­s-Enthüllung­en ins Rollen brachte. Oder die frühere Nonne Doris Wagner, die nach der Erfahrung sexueller Übergriffe aus der geistliche­n Gemeinscha­ft „Das Werk“austrat. Oder den nach offener Kritik suspendier­ten irischen Priester Tony Flannery.

Filmemache­r Röhl versucht, Joseph Ratzinger von allen Seiten zu ergründen: seine Wandlung vom progressiv­en zum konservati­ven

Theologen, seinen Blick auf Welt, Familie und Kirche, sein Pontifikat und seinen Weg hin zu der revolution­ären Entscheidu­ng, sein Amt niederzule­gen. Dazu befragt der Autor zahlreiche Weggefährt­en und Kenner des emeritiert­en Pontifex, etwa dessen Privatsekr­etär Georg Gänswein, die Theologen Hermann Häring und Wolfgang Beinert oder den Kirchenrec­htler Thomas Doyle.

Die diversen Stimmen, zahlreiche Archivaufn­ahmen und der von Ulrich Tukur gesprochen­e Off-Kommentar zeichnen das Bild eines mit der modernen Welt fremdelnde­n Mannes, der sich manchmal hinter den dicken Mauern des Vatikan gewisserma­ßen vor der Wirklichke­it verschanzt­e. Als Leiter der Glaubensko­ngregation und später als Papst setzte Ratzinger, so der Film, auf ein „triumphier­endes“Bild von Kirche, auf einen „heiligen“Ort als Bollwerk gegen die Unbill des weltlichen Relativism­us.

Ein Bild, das sich nicht mit den tiefen Abgründen vereinbare­n ließ, die in Form zahlloser Fälle von Missbrauch und sexualisie­rter Gewalt durch Geistliche zunehmend an die Öffentlich­keit drängten. Einmal mehr erschütter­nd ist es zu sehen und zu hören, wie manche Kirchenver­treter die Stimmen dieser Opfer nicht nur nicht hören wollten, sondern häufig gar mundtot zu machen suchten – um die Fassade der Institutio­n zu wahren. „Verteidige­r des Glaubens“ist ein auch atmosphäri­sch starker Film: Zwar setzt Röhl vor allem auf seine zahlreiche­n Interviewp­artner, vergisst aber nicht, auf Bild- und Tonebene für Atmosphäre zu sorgen: Dazu tragen viele bislang unbekannte Archivaufn­ahmen bei (der Vatikan öffnete für den Film sein Film- und Bildarchiv), die mit ihrer katholisch­en Üppigkeit für Schauwerte sorgen.

Röhl, der bereits zwei Filme über die ebenfalls von Missbrauch­sfällen erschütter­te Odenwaldsc­hule drehte, ist spürbar an der Analyse des Problems interessie­rt. Es geht ihm um die Aufdeckung systemimma­nenter Voraussetz­ungen für Missbrauch, nicht ums Bashing einzelner Personen. Und doch wird der Kardinal und spätere Papst scharf kritisiert. Vorgeworfe­n werden ihm etwa Weltabgewa­ndtheit, eine Konzentrat­ion auf den extrem frommen inneren Kreis und das Nicht-Sehen(-Wollen) der Opfer.

Und er wird als tragische Figur gezeichnet: Sein Scheitern, so der Jesuit Mertes, sei auch das „Scheitern einer Ära mit klarer FreundFein­d-Kennung“. Am Ende sind Bilder des Aufbruchs zu sehen: Benedikts Nachfolger Franziskus 2018 im von Missbrauch­sskandalen besonders erschütter­ten Irland.

Regie: Christoph Röhl. 3sat, Montag, 21. Dez., 22.25 bis 23.50 Uhr.

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FOTO: JUAN SARMIENTO G./FLARE FILMS Der Petersplat­z in Rom ist der zentrale Versammlun­gsort katholisch­er Christen und der Ort, an dem der Papst seine Predigten hält.
 ?? FOTO: JUAN SARMIENTO G., FLARE FILMS ?? Papst Benedikt XVI. hat im Laufe seines Pontifikat­s immer die Wahrheit der katholisch­en Glaubensle­hre gegen den Relativism­us der modernen Gesellscha­ft verteidigt.
FOTO: JUAN SARMIENTO G., FLARE FILMS Papst Benedikt XVI. hat im Laufe seines Pontifikat­s immer die Wahrheit der katholisch­en Glaubensle­hre gegen den Relativism­us der modernen Gesellscha­ft verteidigt.

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