Aalener Nachrichten

Den richtigen Zeitpunkt erwischen

Wenn es mit dem Unternehme­n bergab geht, kann sich der Sprung ins kalte Wasser lohnen

- Von Elena Zelle

Einige Unternehme­n kämpfen sich seit Jahren durch schlechte Zahlen und düstere Zukunftspr­ognosen. Andere hat die Corona-Krise ins Wanken gebracht. Besonders für Beschäftig­te, die schon lange an Bord sind, stellt sich dann die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt, das sinkende Schiff zu verlassen? Und wie stellt man das am besten an?

Zunächst ist es wichtig, überhaupt zu bemerken, dass das Schiff sinkt. Nicht immer wird das von Anfang an offen kommunizie­rt. Deshalb sollte man wachsam sein, zum Beispiel, wenn Verbesseru­ngsvorschl­äge und Anregungen von den Vorgesetzt­en nicht mehr angenommen werden, wie Psychologi­n und Coach Kristine Qualen erklärt.

„Auch wenn es einen Stilwechse­l bei Entscheidu­ngen gibt, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass es abwärts geht.“Mitarbeite­r werden zum Beispiel weniger an Entscheidu­ngsprozess­en beteiligt und weniger darüber informiert. Holt der Arbeitgebe­r für unangenehm­e Entscheidu­ngen eine Unternehme­nsberatung, kann man das ebenfalls als Indiz sehen. Auch die Stimmung verändert sich oftmals, wenn es abwärts geht, wie Karriereco­ach Bernd Slaghuis erklärt. „Es bricht eine gewisse Hektik aus, alle versuchen etwas zu retten, und der Druck wird höher.“Sicher kann man sich sein, wenn die ersten Maßnahmen zur Kosteneins­parung wie zum Beispiel Umstruktur­ierungen durchgefüh­rt werden oder in Jahresmeld­ungen sogar Verluste Thema sind.

Den einen richtigen Zeitpunkt zum Gehen gibt es natürlich nicht. „Manche bewerben sich bei den ersten Anzeichen weg, um größtmögli­che Sicherheit zu haben“, weiß Slaghuis. „Manche wollen aber ihren Beitrag zu einer guten Abwicklung leisten und bleiben.“

Was für einen selbst der richtige Weg ist, sollte man sich gut überlegen: Wie viel Sicherheit brauche ich? Wie viel Zeit brauche ich für die Neuorienti­erung? Will ich abwarten, ob sich das Unternehme­n wieder berappelt? Manchmal zahle sich Abwarten auch auf andere Weise aus, denn mitunter bekommen die Mitarbeite­r eine Abfindung.

Psychologi­n Qualen rät, vor dem Absprung Bilanz zu ziehen: Was sind meine persönlich­en und profession­ellen Entwicklun­gen in dem Unternehme­n? Was sind meine Kernkompet­enzen? Was wünsche ich mir für meinen künftigen Job? „Solche Überlegung­en setzten Energien und Ideen frei und es geht nicht mehr nur darum wegzukomme­n.“

Nicht immer kränkelt das gesamte Unternehme­n, mitunter sind auch nur Teilbereic­he betroffen. Dann ist vielleicht auch die Umorientie­rung intern eine Möglichkei­t, wie Qualen sagt.

Das sei ein recht sicherer Weg: „Man kennt sich aus, hat ein Netzwerk und kann sich so informell ins Gespräch bringen.“Wenn das keine Option ist, sollte man bedenken: „Aus ungekündig­ter Position heraus bewirbt es sich sehr viel leichter und entspannte­r, als wenn man Hals über Kopf alles hinschmeiß­t und nach etwas Neuem sucht“, betont Qualen. „Man läuft dann Gefahr, aus Ängsten heraus Kompromiss­e zu schließen, die wieder in eine Sackgasse führen.“

Auch Slaghuis rät, aktiv zu werden. „Als Arbeitnehm­er sollte man aus der passiven Untergangs­stimmung herauskomm­en und zum Chef des eigenen Lebens werden.“Auch er empfiehlt, mit dem Chef zu sprechen und herauszufi­nden, ob es interne Möglichkei­ten für einen Jobwechsel gibt. Außerdem sollte man sich nach Alternativ­en außerhalb des Unternehme­ns umschauen und sich Rat von außen holen.

Wem der Absprung schwer fällt, der sollte sich auch überlegen, woran das liegt: Vielleicht weil man schon lange im Betrieb ist oder weil einem die Kollegen sehr am Herzen liegen. Wichtig sei dann, gut mit dem alten Arbeitgebe­r abzuschlie­ßen, wie Slaghuis erklärt. Manchen sei es in dem Zusammenha­ng zum Beispiel wichtig, ihr Projekt noch fertigzust­ellen, letzte Gespräche mit Kollegen und Kolleginne­n zu führen oder auch dem oder der Vorgesetzt­en Feedback zu geben.

Manchmal ist das nicht möglich, weil das Ende schnell und plötzlich kommt. „Viele, die nicht mehr gut Abschied nehmen können, belastet das Alte noch stark und es fällt ihnen schwerer, sich auf etwas Neues einzulasse­n.“Vielleicht kann man sich in solchen Fällen mit den Lieblingsk­ollegen zu einer kleinen Abschiedsf­eier treffen, auch virtuell.

Oft stecken auch Ängste dahinter, wenn man das sinkende Schiff nicht verlassen mag. Das ist ganz normal: „Ängste sind nahezu zwangsläuf­ig mit Umbrüchen verbunden“, betont Qualen. In solchen Situatione­n helfe es, sich klar zu machen, welche Veränderun­gen man schon gut gemeistert hat. Dem folgt dann oft die Erkenntnis: „Ich kann mich auf meine Fähigkeite­n verlassen.“

Hilfreich kann es auch sein, ein Erfolgsjou­rnal zu führen. In diese Art „Tagebuch“trägt man ein, was man alles geschafft hat: Wie ging es mir im ersten Moment damit? Welche Arbeitssch­ritte habe ich dann unternomme­n? Was war der Effekt?

In welchem Rhythmus man ein solches Erfolgsjou­rnal führt, kann jeder für sich selbst bestimmen. Wichtig ist, dass man in Momenten des Umbruchs darauf zurückgrei­fen kann. „Das gibt Mut und Auftrieb, auch von außen erzwungene Veränderun­gen anzugehen.“(dpa)

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FOTO: ANDREA WARNECKE/DPA

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