Hoffnung in kleinen Dosen
EU lässt Impfstoff zu – Stiko-Chef glaubt an Wirksamkeit gegen neue Corona-Variante
AMSTERDAM/BERLIN/RAVENSBURG - In der Europäischen Union ist der erste Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen worden. Die EUKommission erteilte dem Präparat des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer die bedingte Marktzulassung, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montagabend sagte. Somit können die Impfungen gegen das Coronavirus jetzt auch in der EU beginnen. Zuvor hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam die bedingte Zulassung des Impfstoffes empfohlen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Montag ein Impfzentrum in Berlin besuchte, sprach von einem „Tag der Hoffnung“. Mit dem Beginn des Impfens werde „das Licht am Ende des Tunnels ein klein bisschen heller“, sagte Steinmeier.
Während die Zuversicht im Kampf gegen die Pandemie wächst, steht die EU aufgrund der unter anderem in Großbritannien aufgetauchten mutierten Coronavirus-Variante B.1.1.7 vor neuen Problemen. Großbritannien ist aufgrund der Entwicklung zunehmend isoliert. Seit Montag dürfen in Deutschland bis zum 31. Dezember keine Flugzeuge von dort mehr landen, um die Verbreitung der als besonders aggressiv eingestuften Mutation zu unterbinden. Weitere Länder stoppten die Einreise aus Großbritannien ebenfalls – aber noch lange nicht alle. Aus EU-Kreisen hieß es am Nachmittag, bisher hätten nur 15 der 27 Mitgliedstaaten Abschottungsmaßnahmen unterschiedlicher Art und Dauer ergriffen. Das ist auch für Deutschland problematisch, weil so eine Einreise aus Großbritannien nach Deutschland über andere EU-Länder möglich bleibt. Ein Krisentreffen der EUStaaten blieb am Montag ohne konkrete Ergebnisse. Einzelne Fälle der Mutation sind aber offenbar bereits in der EU aufgetreten, etwa in Italien und – laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – auch in Dänemark. Die in Großbritannien entdeckte
Mutation könnte nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form sein. Dies hatte Premierminister Boris Johnson am Sonntag erklärt. Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery bezweifelte am Montag die britischen Aussagen. „Man sollte alle Angaben von Herrn Johnson mit außerordentlicher Vorsicht behandeln“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland. „Wenn die Aussage dennoch stimmen sollte, bedeutet sie auch nur, dass unsere Schutzmaßnahmen um 70 Prozent wichtiger werden.“Montgomery betonte, dass die Wirksamkeit der Impfungen nicht unbedingt beeinträchtigt werde. Allein das Pharmaunternehmen Biontech habe seinen Impfstoff bereits bei 19 Mutationen des Corona-Virus getestet, gewirkt habe das Mittel bei jeder dieser Varianten. Ähnlich schätzt Thomas Mertens, der Chef der Ständigen Impfkommission, die Lage ein. „Aufgrund der Sequenzanalyse der Virusmutante geht man davon aus, dass der Impfstoff weiterhin wirksam sein wird“, sagte der Ulmer Virologe am Montag der „Schwäbischen Zeitung“. Dies müsse jedoch noch bestätigt werden. Aktuell lasse sich nicht abschließend beurteilen, ob der Biontech-Impfstoff genauso gut gegen die mutierte Variante wirke wie bei den bisher bekannten Varianten, so Mertens. Eine „historische wissenschaftliche Leistung“nannte EMADirektorin Emer Cooke derweil am Montag die Zulassung des ersten Corona-Impfstoffes in der EU. Jens Spahn sprach von einem „Meilenstein in der Pandemiebekämpfung“. Impfungen ebneten den Weg aus der Krise, twitterte er. „Bereits am Tag nach Weihnachten werden die ersten Pflegebedürftigen in der stationären Altenpflege geimpft. Denn wir schützen die Verwundbarsten zuerst.“Bundespräsident Steinmeier setzt nun auf eine große Impfbereitschaft. Eine Corona-Impfung „ist auch ein Akt gesamtgesellschaftlicher Solidarität“, sagte er in Berlin. Zugleich betonte er, dass der Beginn des Impfens noch nicht das Ende der Pandemie sei.
(dpa) - Der erste Impfstoff gegen das Coronavirus kann in Deutschland voraussichtlich nach den Feiertagen verabreicht werden. Nachdem die EU-Arzneimittelbehörde EMA die bedingte Zulassung des Präparats von Biontech und Pfizer in der EU empfohlen hatte, hatte die EU-Kommission am Montagabend formell grünes Licht gegeben. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte die Bürger aber auf Anlaufschwierigkeiten bei den Impfungen ein. „Es wird am Anfang ruckeln“, sagte er. Es werde zunächst auch nur wenig Impfstoff geben. „Es ist halt zu Beginn für alle knapp. Aber das war im Übrigen auch immer bekannt.“Großbritannien habe in den ersten zwölf Tagen 300 000 Menschen impfen können. „Das werden wir auch in den ersten Tagen erreichen können“, so Spahn. Fragen und Antworten im Überblick.
Wie viele Impfdosen erhält ● Deutschland? ●
Anfänglich soll es rund 400 000 Dosen des Mittels BNT162b2 von Biontech/Pfizer geben. Im Januar könnten dann nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums drei bis vier Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Im ersten Quartal rechnet Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit 11 bis 13 Millionen Impfdosen. Da das Präparat zweimal verabreicht werden muss, würde diese Menge in etwa für 5,5 bis 6,5 Millionen Menschen reichen. Insgesamt hat sich der Bund über einen EUweiten Schlüssel und nationale Vereinbarungen bisher mehr als 300 Millionen Dosen gesichert – von Biontech und anderen ImpfstoffHerstellern.
Wie wird der Impfstoff verteilt?
Der Bund lässt das Präparat je nach Bevölkerungsanteil an insgesamt 27 feste Standorte in den Bundesländern liefern. Ab dann sind die Länder für Lagerung und Verteilung sowie die Beschaffung von Impfzubehör wie Lösungsmittel, Spritzen und Kanülen zuständig.
Wie geht das logistisch?
Nach der Zulassung durch die Europäische Kommission wird nach Biontech-Angaben damit begonnen, den für die Bundesrepublik vorgesehenen Impfstoff aus dem PfizerWerk im belgischen Puurs nach Deutschland an eine zentrale Anlieferstelle zu bringen. Von dort aus geht es weiter zu den Verteilzentren der Bundesländer. Der Impfstoff muss bei minus 70 Grad gelagert werden. In speziell entwickelten Versandboxen kann das Präparat bei diesen Temperaturen bis zu 15 Tage transportiert werden. Im Kühlschrank ist eine Lagerung bis zu fünf Tage möglich.
Wo wird der Impfstoff produziert? Wie lange dauert das? Biontech will mit seinem US-Partner noch in diesem Jahr weltweit 50 Millionen Dosen liefern. 2021 sollen dann bis zu 1,3 Milliarden hergestellt werden - etwa in Mainz, Idar-Oberstein und Marburg. Dann wird dem Unternehmen zufolge das Ausgangsmaterial zu Pfizer nach Belgien gebracht, wo das Präparat weiterverarbeitet, abgefüllt und etikettiert wird. Aus der Produktionsanlage in Marburg sollen im ersten Halbjahr bis zu 250 Millionen Dosen kommen. Die Herstellung des Impfstoffs dauere eine Woche, heißt es vom Unternehmen. Qualitätskontrolle und Freigabe benötigten weitere drei Wochen.
Wo wird geimpft?
In der Anfangsphase in regionalen Impfzentren, die von den Ländern eingerichtet und betrieben werden. Eine Kühlung von minus 70 Grad ist nicht in jeder Arztpraxis möglich. Bis zu 442 Impfzentren sollen deutschlandweit zur Verfügung stehen. Zehntausende Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Helfer haben sich für Einsätze gemeldet. Mobile Impfteams sollen etwa in Pflegeheime und Krankenhäuser gehen.
Wann geht es los ?
Nach grünem Licht der Europäischen
Arzneimittel-Agentur (EMA) und der Zulassung der EU-Kommission will Deutschland ab dem 27. Dezember mit Impfungen starten. In den Tagen dazwischen will das bundeseigene Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Impfchargen prüfen und freigeben.
Was ist mit anderen Impfstoffen?
Über das Präparat von Moderna will die EMA bis zum 6. Januar entscheiden. Bei Astrazeneca und Janssen Pharmaceutica hat die EMA ihre Prüfungen begonnen. Daneben hat die EU-Kommission Verträge mit Sanofi-GSK und Curevac, mit Novavax ist Brüssel in Gesprächen. Die Impfstoffe werden unter den EU-Staaten nach Bevölkerungsanteil verteilt.
Wie wird geimpft?
Im Abstand von drei Wochen erhält jeder Patient jeweils eine Dosis in den Oberarm – genauer gesagt in den Deltamuskel. „Er könnte im Prinzip in jeden Muskel gespritzt werden, aber die Stelle am Arm ist eben gut zugänglich“, sagt der Rostocker Virologie-Professor Andreas Podbielski. Der Wirkstoff bleibt für einige Stunden im Muskel und der Körper hat so Zeit, ihn zu erkennen und darauf zu reagieren.
Wie kommt man zu einer Impfung?
Das ist nur mit Termin möglich, allerdings gibt es in Deutschland einen Flickenteppich. Denn die Terminvergabe regeln die Bundesländer. In Baden-Württemberg zum Beispiel ist geplant, dass neben einer App die telefonische Anmeldung über die bundesweit einheitliche Nummer 116117 oder auch direkt in größeren Impfzentren erfolgen kann. Niedersachsen wiederum hat eine landeseigene Hotline. Manche Länder schreiben ihre Bürger auch direkt an.
Wann gibt es Massenimpfungen?
Gesundheitsminister Spahn rechnet mit genug Impfstoff für Massenimpfungen im kommenden Sommer. Impfungen sollen dann von Impfzentren an normale Praxen übergehen.
Wie viele Menschen könnten täglich geimpft werden?
Auch das hängt vom Bundesland ab. Bayern und Hessen peilen in den Zentren bis zu 30 000 Impfungen am Tag an. In Berlin sollen es bis zu 20 000 werden. Ein Rechenbeispiel mit deutschlandweit täglich 150 000 Impfungen: Weil jeder mit dem Biontech-Serum zweimal gepikst werden muss, dauerte es etwa zwei Monate, bis 4,3 Millionen Menschen vollständig gegen Sars-CoV-2 geimpft wären. Das entspräche etwa der Hälfte derjenigen, die laut Impfverordnung zuerst an der Reihe sind.
Müssen die Menschen etwas für die Impfung bezahlen?
Nein. Sie soll gratis sein, egal ob und wie jemand versichert ist. Die Kosten für die Impfstoffe übernimmt der Bund. Die Kosten rund um die Impfungen insgesamt taxiert Spahn auf bis zu sechs Milliarden Euro.
Ab welcher Zahl werden genug Menschen geimpft sein?
Um die Pandemie zu stoppen, müssten nach Schätzung von Experten etwa 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden. Das wären in Deutschland bis zu 58 Millionen Menschen. Laut Gesundheitsministerium sind für die zwei Präparate von Biontech und Moderna 136,3 Millionen Dosen sicher, die nahezu alle 2021 geliefert werden könnten. Damit ließen sich rechnerisch 68,2 Millionen Bürger impfen. Ob man sich auch nach einer überstandenen Corona-Infektion später zusätzlich impfen lassen sollte, wird noch wissenschaftlich erforscht.
Wie viele Menschen wollen sich überhaupt impfen lassen?
Regelmäßige Umfragen der Universität Erfurt zeigen: Die Bereitschaft dazu ist in Deutschland stetig gesunken. Mitte April zeigten sich 79 Prozent der Befragten (eher) bereit, sich unmittelbar impfen zu lassen, sobald die Möglichkeit besteht. Mitte Dezember waren es noch 48 Prozent.