Die Integration ist in Arbeit
Landesregierung zieht Bilanz – Wo es noch Nachholbedarf gibt
- Die Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln geht in Baden-Württemberg voran. Doch sie ist noch lange nicht am Ziel. Das geht aus einem Bericht der Landesregierung hervor, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Demnach wird der Stand der Integration im Südwesten zwar insgesamt gut bewertet, vor allem in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt gibt es jedoch Nachholbedarf. Und auch die Integration von Geflüchteten ist bisher nur teilweise gelungen. Kritik kommt deshalb auch vom Flüchtlingsrat.
Vor fünf Jahren trat im Südwesten ein Gesetz in Kraft, das die Grundsätze für eine gelingende Integration festlegen sollte. Konkret wurden damals auf kommunaler Ebene Integrationsausschüsse und -räte sowie Integrationsbeauftragte geschaffen. Auf Ebene des Landes wurde etwa ein Landesbeirat für Integration gegründet, der die Regierung in Fragen der Integrations- und Migrationspolitik unterstützt. Muslimische und alevitische Beschäftigte haben auf Grundlage des Gesetzes inzwischen die Möglichkeit, sich an ihren wichtigsten religiösen Feiertagen von der Arbeit freistellen zu lassen. Außerdem wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um etwa den Ausbildungsund Beschäftigungszugang von Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstützen.
Sozial- und Integrationsminister Manfred Lucha (Grüne) ist mit dem Erreichten größtenteils zufrieden. Mit dem Partizipations- und Integrationsgesetz habe man die gleichberechtigtere Teilhabe von Menschen mit ausländischen Wurzeln in den Fokus gerückt. „Mit dem Integrationsbericht haben wir jetzt einen guten Indikator für die bisher erreichten Fortschritte: In weiten Teilen der baden-württembergischen Bevölkerung besteht eine große Offenheit für kulturelle Vielfalt. Vielfalt wird von der Mehrheit als bereichernd und unterstützenswert wahrgenommen“, sagt er.
Fast ein Drittel der Bevölkerung Baden-Württembergs hat einen Migrationshintergrund. Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ist in BadenWürttemberg dem Integrationsbericht zufolge inzwischen Normalität. Viele Baden-Württemberger gaben 2019 nicht nur an, Kontakt zu Zuwanderern zu haben, sondern zählten Menschen mit Migrationshintergrund auch zu ihren Freunden (70 Prozent). Während sich 2016 fast die Hälfte der Bevölkerung Baden-Württembergs große Sorgen wegen Zuwanderung machte (43 Prozent), war es 2019 nur noch ein Viertel (25 Prozent). Die Bewertung der Erfahrungen mit Zuwanderern fällt zwar bei drei Viertel der Bevölkerung positiv aus, im Zeitvergleich gegenüber 2012 ist das jedoch eine Verschlechterung. In den vergangenen Jahren sank demnach der Anteil der Personen, die sehr gute oder überwiegend gute Erfahrungen mit Zuwanderern gemacht haben um sechs Prozentpunkte. Große Teile der Bevölkerung, über vier von fünf Befragten, sorgen sich wegen Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass, Rechtsextremismus und rassistischer Gewalt.
Auch im Bereich Bildung zeigt sich ein ambivalentes Bild: Zwar hat sich der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, deren höchster allgemeinbildender Abschluss das Abitur ist, im Berichtszeitraum erhöht. Im Vergleich zu den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund verlassen aber mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund die Schule ohne einen Abschluss oder mit einem Hauptschulabschluss. Die Erwerbslosenquote in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist von 5,2 auf 4,2 Prozent gesunken – der Abstand zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund beträgt jedoch noch immer 2,4 Prozentpunkte.
Auch Lucha betont deshalb, dass man sich auf den Zwischenerfolgen nicht ausruhen dürfe. „Deutlich wird einmal mehr, dass das Thema Bildung ein zentraler Schlüssel bleibt für die Akzeptanz und Toleranz von kultureller und ethnischer Vielfalt und für die Integration selbst – und zwar generationenübergreifend. Auch die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist für den gesamten Integrationsprozess von Zuwanderinnen und Zuwanderern von zentraler Bedeutung. Da müssen wir konsequent weiterarbeiten“, so Lucha.
Insgesamt war die relative Mehrheit der Bevölkerung 2019 der Ansicht, die Landesregierung habe genug für die Integration von Geflüchteten getan, ein Drittel meinte, es sei zu wenig gewesen, elf Prozent war es zu viel. Ein gespaltenes Bild ergab sich auf die Frage, ob die Landespolitik hinsichtlich der Integration von Geflüchteten erfolgreich war. 44 Prozent der Befragten schätzten die Landespolitik hier als eher nicht erfolgreich ein, 43 Prozent als eher erfolgreich.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verweist auf die Verantwortung der Bevölkerung. „Es ist zentral, dass die Gesellschaft integrationspolitische Maßnahmen als Investition in ihre eigene Zukunft versteht und entsprechend unterstützt. Integration wird dann zum Erfolg, wenn sie aktiv gestaltet wird – von der Politik und der Zivilgesellschaft.“Eine wichtige Rolle spiele hier auch das Ehrenamt.
Auch Seán McGinley, Geschäftsstellenleiter des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg,
betont, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen für Geflüchtete ist. Vor allem in Bezug auf Menschen, die seit vielen Jahren mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Baden-Württemberg leben, wünscht er sich jedoch einen Paradigmenwechsel von der Landesregierung. „Mir sind viele Fälle bekannt, in denen Personen abgeschoben wurden, obwohl eine Legalisierung des Aufenthaltsstatus möglich gewesen wäre.
Regelmäßig würden, gerade im Rahmen der Sammelabschiebungen in die Westbalkan-Staaten, Menschen abgeschoben, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten hier leben. „Ganz nebenbei führt dies auch dazu, dass sich diejenigen, die sich mit großem Einsatz dafür eingesetzt haben, dass diese Menschen hier ankommen, Arbeit finden und Anschluss an die Gesellschaft finden, verschaukelt fühlen“, sagt er.
Außerdem habe die CoronavirusPandemie gezeigt, dass Geflüchtete von der Politik nicht immer mit ihren besonderen Lebenslagen und Bedürfnissen mitgedacht würden. In großen Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen etwa teilten sich mehrere Menschen ein Zimmer, häufiger noch Bad und Sanitäranlagen, sagt McGinley. Das sei nicht nur aus Infektionsgründen abzulehnen.