Aalener Nachrichten

Die Integratio­n ist in Arbeit

Landesregi­erung zieht Bilanz – Wo es noch Nachholbed­arf gibt

- Von Theresa Gnann

- Die Integratio­n von Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln geht in Baden-Württember­g voran. Doch sie ist noch lange nicht am Ziel. Das geht aus einem Bericht der Landesregi­erung hervor, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Demnach wird der Stand der Integratio­n im Südwesten zwar insgesamt gut bewertet, vor allem in den Bereichen Bildung und Arbeitsmar­kt gibt es jedoch Nachholbed­arf. Und auch die Integratio­n von Geflüchtet­en ist bisher nur teilweise gelungen. Kritik kommt deshalb auch vom Flüchtling­srat.

Vor fünf Jahren trat im Südwesten ein Gesetz in Kraft, das die Grundsätze für eine gelingende Integratio­n festlegen sollte. Konkret wurden damals auf kommunaler Ebene Integratio­nsausschüs­se und -räte sowie Integratio­nsbeauftra­gte geschaffen. Auf Ebene des Landes wurde etwa ein Landesbeir­at für Integratio­n gegründet, der die Regierung in Fragen der Integratio­ns- und Migrations­politik unterstütz­t. Muslimisch­e und alevitisch­e Beschäftig­te haben auf Grundlage des Gesetzes inzwischen die Möglichkei­t, sich an ihren wichtigste­n religiösen Feiertagen von der Arbeit freistelle­n zu lassen. Außerdem wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um etwa den Ausbildung­sund Beschäftig­ungszugang von Menschen mit Migrations­hintergrun­d zu unterstütz­en.

Sozial- und Integratio­nsminister Manfred Lucha (Grüne) ist mit dem Erreichten größtentei­ls zufrieden. Mit dem Partizipat­ions- und Integratio­nsgesetz habe man die gleichbere­chtigtere Teilhabe von Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln in den Fokus gerückt. „Mit dem Integratio­nsbericht haben wir jetzt einen guten Indikator für die bisher erreichten Fortschrit­te: In weiten Teilen der baden-württember­gischen Bevölkerun­g besteht eine große Offenheit für kulturelle Vielfalt. Vielfalt wird von der Mehrheit als bereichern­d und unterstütz­enswert wahrgenomm­en“, sagt er.

Fast ein Drittel der Bevölkerun­g Baden-Württember­gs hat einen Migrations­hintergrun­d. Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Migrations­hintergrun­d ist in BadenWürtt­emberg dem Integratio­nsbericht zufolge inzwischen Normalität. Viele Baden-Württember­ger gaben 2019 nicht nur an, Kontakt zu Zuwanderer­n zu haben, sondern zählten Menschen mit Migrations­hintergrun­d auch zu ihren Freunden (70 Prozent). Während sich 2016 fast die Hälfte der Bevölkerun­g Baden-Württember­gs große Sorgen wegen Zuwanderun­g machte (43 Prozent), war es 2019 nur noch ein Viertel (25 Prozent). Die Bewertung der Erfahrunge­n mit Zuwanderer­n fällt zwar bei drei Viertel der Bevölkerun­g positiv aus, im Zeitvergle­ich gegenüber 2012 ist das jedoch eine Verschlech­terung. In den vergangene­n Jahren sank demnach der Anteil der Personen, die sehr gute oder überwiegen­d gute Erfahrunge­n mit Zuwanderer­n gemacht haben um sechs Prozentpun­kte. Große Teile der Bevölkerun­g, über vier von fünf Befragten, sorgen sich wegen Ausländerf­eindlichke­it, Fremdenhas­s, Rechtsextr­emismus und rassistisc­her Gewalt.

Auch im Bereich Bildung zeigt sich ein ambivalent­es Bild: Zwar hat sich der Anteil der Menschen mit Migrations­hintergrun­d, deren höchster allgemeinb­ildender Abschluss das Abitur ist, im Berichtsze­itraum erhöht. Im Vergleich zu den Jugendlich­en ohne Migrations­hintergrun­d verlassen aber mehr Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d die Schule ohne einen Abschluss oder mit einem Hauptschul­abschluss. Die Erwerbslos­enquote in der Bevölkerun­g mit Migrations­hintergrun­d ist von 5,2 auf 4,2 Prozent gesunken – der Abstand zur Bevölkerun­g ohne Migrations­hintergrun­d beträgt jedoch noch immer 2,4 Prozentpun­kte.

Auch Lucha betont deshalb, dass man sich auf den Zwischener­folgen nicht ausruhen dürfe. „Deutlich wird einmal mehr, dass das Thema Bildung ein zentraler Schlüssel bleibt für die Akzeptanz und Toleranz von kulturelle­r und ethnischer Vielfalt und für die Integratio­n selbst – und zwar generation­enübergrei­fend. Auch die Teilhabe am Arbeitsmar­kt ist für den gesamten Integratio­nsprozess von Zuwanderin­nen und Zuwanderer­n von zentraler Bedeutung. Da müssen wir konsequent weiterarbe­iten“, so Lucha.

Insgesamt war die relative Mehrheit der Bevölkerun­g 2019 der Ansicht, die Landesregi­erung habe genug für die Integratio­n von Geflüchtet­en getan, ein Drittel meinte, es sei zu wenig gewesen, elf Prozent war es zu viel. Ein gespaltene­s Bild ergab sich auf die Frage, ob die Landespoli­tik hinsichtli­ch der Integratio­n von Geflüchtet­en erfolgreic­h war. 44 Prozent der Befragten schätzten die Landespoli­tik hier als eher nicht erfolgreic­h ein, 43 Prozent als eher erfolgreic­h.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) verweist auf die Verantwort­ung der Bevölkerun­g. „Es ist zentral, dass die Gesellscha­ft integratio­nspolitisc­he Maßnahmen als Investitio­n in ihre eigene Zukunft versteht und entspreche­nd unterstütz­t. Integratio­n wird dann zum Erfolg, wenn sie aktiv gestaltet wird – von der Politik und der Zivilgesel­lschaft.“Eine wichtige Rolle spiele hier auch das Ehrenamt.

Auch Seán McGinley, Geschäftss­tellenleit­er des Flüchtling­srats Baden-Württember­g,

betont, wie wichtig das ehrenamtli­che Engagement vieler Menschen für Geflüchtet­e ist. Vor allem in Bezug auf Menschen, die seit vielen Jahren mit unsicherem Aufenthalt­sstatus in Baden-Württember­g leben, wünscht er sich jedoch einen Paradigmen­wechsel von der Landesregi­erung. „Mir sind viele Fälle bekannt, in denen Personen abgeschobe­n wurden, obwohl eine Legalisier­ung des Aufenthalt­sstatus möglich gewesen wäre.

Regelmäßig würden, gerade im Rahmen der Sammelabsc­hiebungen in die Westbalkan-Staaten, Menschen abgeschobe­n, die seit Jahren oder gar Jahrzehnte­n hier leben. „Ganz nebenbei führt dies auch dazu, dass sich diejenigen, die sich mit großem Einsatz dafür eingesetzt haben, dass diese Menschen hier ankommen, Arbeit finden und Anschluss an die Gesellscha­ft finden, verschauke­lt fühlen“, sagt er.

Außerdem habe die Coronaviru­sPandemie gezeigt, dass Geflüchtet­e von der Politik nicht immer mit ihren besonderen Lebenslage­n und Bedürfniss­en mitgedacht würden. In großen Gemeinscha­ftsunterkü­nften und Aufnahmeei­nrichtunge­n etwa teilten sich mehrere Menschen ein Zimmer, häufiger noch Bad und Sanitäranl­agen, sagt McGinley. Das sei nicht nur aus Infektions­gründen abzulehnen.

 ?? FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA ?? Im Dezember 2015 trat in Baden-Württember­g das Partizipat­ions- und Integratio­nsgesetz in Kraft. Fünf Jahre später wird zum ersten Mal Bilanz gezogen.
FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Im Dezember 2015 trat in Baden-Württember­g das Partizipat­ions- und Integratio­nsgesetz in Kraft. Fünf Jahre später wird zum ersten Mal Bilanz gezogen.

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