Die Musik hält den Atem an
Corona hat die Kulturlandschaft verändert. Drohen Traditionen wegzubrechen?
AALEN - Auch für die Musiker in der Region, für die Orchester, die Musikvereine, die Bands, die Chöre und die Solisten war das Jahr 2020 eine Katastrophe. Proben durfte man, wenn überhaupt, nur eingeschränkt und mit Abstand, Auftritte waren das Jahr über nur vor kleinem Publikum und in reduzierter Besetzung mit entsprechenden Notprogrammen möglich und ab 1. November ging live schließlich gar nichts mehr.
Wie umfangreich und vielfältig das musikalische Angebot in der Adventsund Weihnachtszeit und an den Tagen zwischen den Jahren normalerweise ist, wird einem erst so richtig bewusst, wenn man sich vor Augen hält, was in diesem und Anfang des nächsten Jahres alles nicht stattfindet: Kein Weihnachtskonzert des Aalener Sinfonieorchesters, kein Adventskonzert des Städtischen Orchesters, kein Weihnachtsoratorium und kein Silvesterkonzert in der Stadtkirche, keine skrupellose Hausmusik von den „Stumpfes“in der Stadthalle, keine Weihnachtstournee von „Spektakulatius“und kein Dreikönigskonzert der SHW-Bergkapelle.
Von den vielen anderen abgesagten Weihnachtskonzerten der Chöre und Musikvereine in der Umgebung gar nicht zu reden. Die Musik ist in diesen Tagen und Wochen verstummt, sie hält gleichsam den Atem an. Besteht gar die Gefahr, dass langjährige musikalische Traditionen dem Coronavirus auf Dauer zum Opfer fallen? Wir haben uns ein wenig umgehört. Beispiel: Konzert in der Silvesternacht in der Stadtkirche. Jedes Jahr sind in den vergangenen 25 Jahren rund 1000 Besucher am letzten Tag des Jahres in die Stadtkirche geströmt, um in der besonderen Atmosphäre der nur mit Kerzen beleuchteten Kirche Musik zu hören, zumeist Orgel und Trompete.
Weltberühmte Trompeter wie Ludwig Güttler aus Dresden oder der Schweizer Claude Rippas sind bei diesen Konzerten schon aufgetreten. In diesem Jahr, so Kirchenmusikdirektor Thomas Haller, habe er wieder mit dem jungen Trompeter Maximilian Sutter aus Wasseralfingen geplant. Um die coronabedingten Abstände einhalten zu können, waren zwei kürzere Konzerte vorgesehen, ehe dann am 1. November das Aus kam. Das Konzert zu streamen sei für ihn keine Alternative, so Thomas
Haller. Die Atmosphäre in der Stadtkirche könne man schlicht und einfach nicht auf den heimischen PC oder Fernseher übertragen. Er geht davon aus, dass es erst wieder ab Pfingsten 2022 Planungssicherheit für die Kirchenmusik geben wird.
Bis dahin werde er „auf Sicht“fahren müssen und auch die beliebte Orgelmusik zur Marktzeit erst wieder starten, sobald es die Bedingungen erlauben. Angst, dass musikalische Traditionen wegbrechen könnten hat er eigentlich nicht, so Haller. Er sorgt sich allerdings schon darum, ob sich die Besucher nach Corona wieder trauen würden, zum Beispiel beim Weihnachtsoratorium dicht an dicht in der Stadtkirche zu sitzen. Schließlich muss auch er die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten und bei einer großen Aufführung mit zumindest teilweise professionellen Musikern und Sängern bedarf es schon einiger Hundert Besucher, um keine finanziellen Verluste zu machen.
Ähnlich äußerte sich auch Michael „Flex“Flechsler von Herrn Stumpfes Zieh und Zupf Kapelle. Natürlich, so Flechsler, werde man auch in der Region mit Konzerten weitermachen. Das traditionelle Sommerkonzert im Schlosspark in Fachsenfeld wolle man 2021 auf jeden Fall durchführen, in welcher Form auch immer. Die Frage nach dem Streaming von Konzerten sieht er ähnlich wie Haller. Die Atmosphäre und der Kontakt zum Publikum, der für die „Stumpfes“bei ihren Auftritten sehr wichtig ist, lässt sich nicht ersetzen. Und außerdem, das sieht er ganz nüchtern, ist mit einem nur gestreamten Konzert schlichtweg kein Geld verdient.
Die Probenarbeit bereitet den „Stumpfes“weniger Kopfzerbrechen, da sie nur zu viert sind und dadurch die notwendigen Abstände einhalten können.
Auch „Spektakulatius“trifft die Pandemie. In den vergangenen 16 Jahren waren jedes Mal insgesamt rund 3000, überwiegend junge Besucher zu den Konzerten auf ihrer Tournee rund um Weihnachten und Neujahr gekommen, wie Christian Steiner von der Kultband aus der Region sagt. Heuer falle das alles flach. Zwar habe man auch für diese Saison eine abgespeckte Tournee geplant gehabt, unter anderem mit Auftritten in Unterkochen, in Heubach, im Kulturbahnhof in Aalen und mit einem Benefizkonzert zugunsten der Sankt-Georgs-Pfadfinder in der Salvatorkirche. Die Techniker hätten dafür sogar auf einen Teil ihrer Gage verzichtet. Aber die Konzerte zu streamen, sei für „Spektakulatius“nach der Absage keine Option gewesen. Die Live-Atmosphäre sei nicht zu ersetzen. „Es ist, wie es ist“, sagt Christian Steiner. Aber er ist zuversichtlich, dass die musikalische Weihnachtstournee von „Spektakulatius“im nächsten Jahr wieder stattfinden kann.
„Die Live-Atmosphäre und der Kontakt zum Publikum sind einfach nicht zu ersetzen“, sagt Musiker Michael Flechsler von den „Stumpfes“.