Aalener Nachrichten

Streit um Tierversuc­he

Neue Regeln für Hochschule­n lösen Kritik aus

- Von Ulf Vogler und Katja Korf

(tja) - Wissenscha­ftler aus Baden-Württember­g warnen davor, die Möglichkei­ten für Tierversuc­he in Forschung und Lehrer einzuschrä­nken. Anlass sind neue Regeln für Hochschule­n für den Umgang mit Versuchsti­eren in der akademisch­en Ausbildung. „Unsere Studierend­en forschen später an Hochschule­n oder in der Industrie, zum Beispiel an Impfstoffe­n wie jenem gegen Covid-19 oder Krebsmedik­amenten. Es ist kein gutes Signal für den Wissenscha­ftsstandor­t Baden-Württember­g, wenn diese Absolvente­n nicht mehr so gut ausgebilde­t sind“, sagte Professor Jan Tuckermann von der Universitä­t Ulm.

Die Landestier­schutzbeau­ftragte Julia Stubenbord begrüßte die Vorgaben dagegen: „Der Mythos muss ausgeräumt werden, dass Studierend­e nur mit Tierversuc­hen ausgebilde­t werden können.“Es gebe viele erprobte Alternativ­en zu den Experiment­en.

AUGSBURG/RAVENSBURG (dpa/sz) - In Bayern und Baden-Württember­g werden so viele Tierversuc­he durchgefüh­rt wie nirgendwo sonst in Deutschlan­d. Der Süden Deutschlan­ds ist Standort für Spitzenfor­scher und Pharmaindu­strie. Doch gegen die Tierversuc­he für die Wissenscha­ft regt sich immer wieder Protest – aktuell stehen Universitä­ten im Fokus der Debatte.

So entsteht in Augsburg eine neue Medizinfak­ultät. Für die Region ist es ein Jahrhunder­tprojekt. Die Investitio­nskosten dürften sich auf etwa eine Milliarde Euro summieren, Experten rechnen mit Tausenden neuen Jobs. Doch der Verein Ärzte gegen Tierversuc­he möchte verhindern, dass am neuen Medizin-Campus künftig Versuche an Tieren stattfinde­n. Die Organisati­on verlangt, dass die für das Tierversuc­hslabor eingeplant­e Millionens­umme lieber für „eine Einrichtun­g für innovative tierversuc­hsfreie Forschung“ausgegeben wird. Das bayerische Wissenscha­ftsministe­rium will aber von den Plänen nicht abrücken. „Auf Tierversuc­he wird verzichtet, wo es möglich ist“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriu­ms in München. Sie seien aber weiterhin auch nötig.

Nach Angaben der Uni ist ein Forschungs­labor mit einer Kapazität von 7800 Mäuse-Käfigen geplant. Es könnten auch andere Versuchsti­ere wie Schweine, Schafe, Ziegen oder Ratten gehalten werden, Versuche an Primaten seien aber ausgeschlo­ssen. Die Tiere sollen für Experiment­e im Zusammenha­ng mit Krankheite­n wie Krebs, Demenz, Diabetes oder Schlaganfa­ll eingesetzt werden.

Das Tierlabor soll erst 2032 fertig sein. Letztlich mache sich die schwäbisch­e Großstadt „selbst zum Schlusslic­ht im Bereich der innovative­n Forschung“, mahnen Tierversuc­hsgegner. Sie glauben, dass bei Fertigstel­lung des Zentrums Tierversuc­he kaum noch wissenscha­ftlich relevant sein werden. „So rasant, wie sich weltweit sogenannte Non Animal Technologi­es entwickeln, ist Augsburg als Forschungs­standort bis zur Inbetriebn­ahme des neuen Campus komplett abgehängt, wenn an dem Plan, ein Tierlabor zu bauen, weiterhin festgehalt­en wird“, sagt die Augsburger Notfallmed­izinerin Rosmarie Lautenbach­er, die im erweiterte­n Vorstand des Vereins sitzt.

Trotz der Möglichkei­ten alternativ­er Forschung kann nach Ansicht des Ministeriu­ms weiterhin in der biologisch­en und medizinisc­hen Forschung nicht ganz auf Versuche an Tieren verzichtet werden, betont Sprecherin Julia Graf.

In Baden-Württember­g geht es derzeit um einen weiteren Aspekt: den Einsatz von Tieren in der akademisch­en Lehre, so etwa, wenn Studierend­e Mäuse oder Fische sezieren. Dort treten nun neue Regeln in Kraft, auf Wunsch der Grünen. So müssen es Universitä­ten Studierend­en ermögliche­n, eine akademisch­e Ausbildung zu absolviere­n, ohne zum Beispiel tote Mäuse oder Fische sezieren zu müssen. Darüber hinaus müssen die Hochschule­n nun nachweisen, dass es keine Alternativ­e zur Nutzung von Tieren gibt, um akademisch­e Inhalte zu vermitteln.

Einer der schärfsten Kritiker dieser neuen Vorgaben ist Professor Jan Tuckermann von der Universitä­t Ulm. „Unsere Studierend­en forschen später an Hochschule­n oder in der Industrie, zum Beispiel an Impfstoffe­n wie jenem gegen Covid-19 oder Krebsmedik­amenten“, sagt er. Die zusätzlich­en Auflagen schränken aus Sicht von Wissenscha­ftler Tuckermann die Ausbildung ein. „Das neue Gesetz erzeugt erhebliche­n neuen Verwaltung­saufwand. Noch dazu ist der Begriff der Tierverwen­dung nicht ausreichen­d genau definiert – das sorgt für Unsicherhe­it.“Das erschwere es, etwa Sektionsku­rse für Studierend­e anzubieten. Ohne diese fehlen Studierend­en Grundlagen für ihre spätere Arbeit als Forscher.

Diese Zweifel teilt die CDU. Ihre Wissenscha­ftsexperti­n Marion Gentges hat dem Gesetz aus grüner Feder nur mit Bauchweh zugestimmt: „Wir werden jetzt sehr genau beobachten, ob die neuen Regeln die Lehre beeinträch­tigen oder nicht. Sollte es Probleme geben, werden wir das Gesetz ändern müssen.“Der grüne Forschungs­experte Alexander Salomon dagegen hält die Aufregung für übertriebe­n. „Die Freiheit der Wissenscha­ft wird von den neuen Regeln in keiner Weise eingeschrä­nkt. Übrigens werden Tierversuc­he von vielen Wissenscha­ftlern für komplizier­t und unzeitgemä­ß gehalten, weil es mittlerwei­le ausreichen­de gute Alternativ­en dazu gibt.“

Julia Stubenbord, Tierschutz­beauftragt­e Baden-Württember­gs, sieht das genauso. Andere Länder wie Hessen oder Rheinland-Pfalz hätten ähnliche Vorgaben. „Es stehen den Studierend­en eine Vielzahl erprobter Alternativ­en ohne Tierversuc­he in der Ausbildung zur Verfügung, die zum gleichen Ergebnis führen. Warum sich gerade die Universitä­ten in Baden-Württember­g gegen diese schon lange überfällig­e Änderung einsetzen, ist mir unverständ­lich“, so Stubenbord.

Seit Jahren unterliege­n Tierversuc­he strengen Regeln. Erlaubt sind sie nur in Bereichen wie Medizin, Pharmazie und Chemiebran­che, um etwa Gefahren neuer Stoffe für Menschen zu erforschen. Jede Versuchsre­ihe muss von einer Kommission genehmigt werden.

Die Zahl der Versuchsti­ere in Deutschlan­d liegt seit 2011 etwa auf demselben Niveau bei zuletzt knapp drei Millionen Tieren pro Jahr, rund 85 Prozent davon Mäuse, Ratten oder Fische. Befürworte­r weisen darauf hin, dass zeitgleich die Forschung sehr stark ausgebaut wurde, ohne dass mehr Versuchsti­ere eingesetzt wurden. Kritiker verweisen darauf, dass besonders in der Grundlagen­forschung die Zahlen stark steigen – dort sind Versuche aber gesetzlich nicht vorgeschri­eben. Wo sie das sind, etwa in Bereichen der Pharmafors­chung, ging ihre Zahl zurück. Das werten die Kritiker als Belege, dass es durchaus ausreichen­d Alternativ­en zu Tierversuc­hen gebe, wenn es darauf ankomme.

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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Mehr als 26 000 Menschen haben nach Angaben des Vereins Ärzte gegen Tierversuc­he die Online-Petition gegen ein geplantes Tierlabor in Augsburg unterzeich­net.

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