Aalener Nachrichten

„Kein Hinweis, dass diese Variante schwerer krank macht“

Virologe Professor Thomas Mertens über neueste Erkenntnis­se zum Coronaviru­s

- Von Daniel Hadrys THOMAS MERTENS

RAVENSBURG - Die neue Variante des Coronaviru­s, die verstärkt in Großbritan­nien beobachtet wurde, könnte ansteckend­er sein – schwerer krank macht sie aber wohl nicht. Denn Viren haben keinen Vorteil von schwereren Krankheits­verläufen. Das erklärt der Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Daniel Hadrys.

In England ist eine mutierte Coronaviru­s-Variante aufgetrete­n, die infektiöse­r sein soll als die bisherige. Was wissen wir darüber? Diese Variante hat gegenüber dem ursprüngli­chen chinesisch­en Virus etliche Mutationen, von denen sich einige auch auf das Spike-Protein auswirken. Die Struktur des SpikeProte­ins, mit dem sich das Virus zur Infektion an den Rezeptor der Zelle anlagern muss, ist möglicherw­eise so verändert, dass die Bindungsst­elle des Spike-Proteins jetzt noch besser zum Zellrezept­or „passt“. Dies könnte zur leichteren Infektion auch mit geringer Virusdosis führen, was eine leichtere Übertragba­rkeit erklären könnte. Eine leichtere Übertragba­rkeit bringt einer solchen Mutante einen Selektions­vorteil, das heißt sie „ist schneller“und wird sich durchsetze­n. Leider würde dies auch zu einer höheren Rate von Neuinfekti­onen führen, mit allen Konsequenz­en, das heißt Erkrankung­en und Krankenhau­sbehandlun­gen. Wo diese Mutante herkommt, ist nicht klar. Mutationen können immer nur auftreten, während ein Virus sich vermehrt. Eine von mehreren möglichen Erklärunge­n könnte sein, dass sich SarsCoV-2 in einem Patienten mit defektem Immunsyste­m (immunkompr­omittierte­r Patient) sehr lange vermehrt hat und dabei die Mutationen „eingesamme­lt“hat. Es gibt bislang keinen Hinweis darauf, dass diese Variante schwerer krank macht als das ursprüngli­che Sars-CoV-2. Eine schwere Erkrankung eines Infizierte­n stellt übrigens für eine Mutante keinen Selektions­vorteil dar.

Schützen die bisher entwickelt­en und zugelassen­en Impfstoffe vor dieser Variante?

Rückschlüs­sen aus Analysen der Sequenzver­änderungen (durch Mutationen) der Virus-RNA auf die Proteinstr­uktur des Spike-Proteins haben ergeben, dass der Impfstoff sehr wahrschein­lich weiterhin wirksam ist. Allerdings müssen jetzt noch Experiment­e durchgefüh­rt werden, in denen man testet, ob zum Beispiel antikörper­haltige Seren von Menschen, die Covid-19 im Frühjahr durchgemac­ht haben oder die geimpft wurden, die neue Variante genauso gut neutralisi­eren können, wie Seren von Menschen, die durch die neue Variante infiziert worden sind. Auch die T-Zell-Immunität sollte vorsichtsh­alber untersucht werden.

Rechnen Sie damit, dass diese neue Variante auch in Deutschlan­d auftreten wird?

Ja, wir müssen aber genau verfolgen, ob und wie rasch diese Variante sich verbreitet. Grundsätzl­ich muss man bei Mutationen auch darauf aufpassen, dass diagnostis­che Verfahren – PCR, Antigennac­hweise, Antikörper­nachweise – bei einer neuen Variante genauso gut funktionie­ren. Bislang ist das insgesamt gesichert.

Auch in Südafrika wurde eine neue Mutation des Coronaviru­s entdeckt. Was macht diese so gefährlich?

Da gibt es im Augenblick keinen zusätzlich­en Aspekt zu dem bereits Gesagten.

 ??  ?? Der Virologe Professor Thomas Mertens ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm.
Der Virologe Professor Thomas Mertens ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm.

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