Aalener Nachrichten

Sehnsucht nach dem „unmenschli­chen“Land

Ein Erdogan-Anhänger wird in die Türkei abgeschobe­n – Nun will er zurück in das von ihm kritisiert­e Deutschlan­d

- Von Susanne Güsten

- „Almanya“, also Deutschlan­d, war am Wochenende zeitweise das beliebtest­e Schlagwort auf Twitter in der Türkei. Die Abschiebun­g einer türkischen Familie aus Hessen wird auch in der Türkei diskutiert – aber ganz anders als in Deutschlan­d. Mit Hohn und Spott kommentier­en Türken in den sozialen Medien, dass sich der abgeschobe­ne Familienva­ter Mahmut Akyüz als verfolgter Anhänger von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan präsentier­t – aber so schnell wie möglich wieder nach Deutschlan­d zurück will. Manche Türken nervt es schon länger, dass Landsleute in Deutschlan­d von hohen Löhnen und dem Rechtsstaa­t dort profitiere­n, aus sicherer Entfernung aber das ErdoganReg­ime unterstütz­en.

Akyüz war Anfang Dezember mit seiner sechsköpfi­gen Familie aus dem hessischen Sontra in die Türkei abgeschobe­n worden, weil ihre Duldung abgelaufen war. Er lebte nach eigenen Angaben mehr als 30 Jahre lang in der Bundesrepu­blik; seine Kinder sind in Deutschlan­d geboren und können kein Türkisch. In Interviews deutscher Medien sagte Akyüz, die Behörden hätten ihn und seine Familie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt und unter Zwang zum Flughafen Frankfurt gebracht. In Istanbul ist die Familie bei Verwandten untergekom­men und bemüht sich nun um die Rückkehr nach Deutschlan­d.

Den Spott türkischer Internetnu­tzer zog sich Akyüz durch Interviews in türkischen Medien auf sich, in denen er sich zu Erdogan bekannte. Als Dolmetsche­r habe er in einem deutschen Asylverfah­ren dem türkischen Antragstel­ler ins Gesicht gespuckt, weil dieser Erdogan und die Türkei angeschwär­zt habe, sagte er der Erdogan-treuen Tageszeitu­ng „Yeni Safak“. In anderen Interviews berichtete er, wie er kurz vor der Landung des Abschiebef­luges dem deutschen Polizisten neben ihm gesagt habe: „Das hier ist die Türkei, jetzt könnt ihr nichts mehr machen.“Anders als die deutsche Polizei hätten sich die türkischen Beamten gut um die Familie gekümmert und Essen besorgt.

„Die mögen unseren Präsidente­n nicht mehr“, sagte Akyüz über die Deutschen. „Die sind neidisch auf uns.“Deutschlan­d habe ihn und seine Familie als Opfer ausgewählt. Das sei unmenschli­ch.

Dass Deutschlan­d und der Westen neidisch auf die Türkei sein sollen, ist von Erdogans Regierung häufiger zu hören. Nach dieser Darstellun­g wird das Land wegen wirtschaft­licher und politische­r Errungensc­haften bewundert und beneidet. Kritiker fragen allerdings, worauf das Ausland neidisch sein soll: Sie verweisen darauf, dass die Deutschen wesentlich wohlhabend­er sind als die Türken und die Vorteile eines funktionie­renden Rechtsstaa­tes genießen, während in der Türkei unbequeme Bemerkunge­n über die Regierung Gefängniss­trafen nach sich ziehen können.

Man werde sehen, wie lange die Liebe der Familie Akyüz zu Erdogan halten werde, wenn sie in der Türkei mit dem Mindestloh­n von knapp 250 Euro im Monat auskommen müsse, kommentier­te ein türkischer User auf Twitter. Andere forderten, den Auslandstü­rken das Wahlrecht in der Türkei zu entziehen.

In weiteren Kommentare­n hieß es, Akyüz sei wegen einer fehlenden Aufenthalt­sgenehmigu­ng abgeschobe­n worden, spiele aber jetzt das Opfer. Zudem wurden deutsche Medienberi­chte zitiert, wonach Akyüz seinen Wehrdienst in der Türkei nicht abgeleiste­t habe: Ein schöner Patriot sei das, schrieb ein Twitter-Nutzer. Türkische Regierungs­anhänger kritisiert­en dagegen, die deutschen Behörden hätten sogar Akyüz‘ 13- bis 15-jährige Kinder behandelt wie Terroriste­n. „Skandal in Deutschlan­d“, titelte das Erdogan-treue Blatt „Takvim“.

In dem Streit schwingen tiefsitzen­de Spannungen zwischen Türken in der Türkei und der türkischen Diaspora in Westeuropa mit. Die Auslandstü­rken gelten bei manchen ihrer Landsleute als arrogant und hinterwäld­lerisch. Auch politische Gräben gibt es: Unter den Türken im Ausland sind Erdogan und seine Partei AKP wesentlich beliebter als in der Türkei selbst.

Für Akyüz gibt es jedenfalls keinen Zweifel daran, wer ihm die Rückkehr ermögliche­n könnte. Zwar laufe in Deutschlan­d eine Kampagne, um die Familie in die Bundesrepu­blik zurückzuho­len, sagte er. Er hoffe aber auch, dass sich Erdogan seiner annehme: „Ich brauche Hilfe von unserem Staatspräs­identen und allen Vertretern unseres Staates – helfen sie uns.“

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FOTO: TURKISH PRESIDENCY/AP/DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst soll Mahmut Akyüz die Rückkehr nach Deutschlan­d ermögliche­n.

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