Aalener Nachrichten

Geldregen nach Omas Tod

Spanische Lotterie der „Dicke“beglückt auch zahlreiche Corona-Opfer

- Von Emilio Rappold

(dpa) - Zwei kleine Jungen haben zwei Tage vor Heiligaben­d Spanien mit einer vorzeitige­n Bescherung in Aufregung versetzt. Im dunklen Anzug und mit Fliege zogen die Knirpse Unai und Alex im Madrider Opernhaus Teatro Real den Hauptgewin­n der spanischen Weihnachts­lotterie, die als größte und älteste Tombola der Welt gilt. Sie trugen die Glückszahl 72 897 und auch die Gewinnsumm­e kurz nach zwölf Uhr singend vor – und kurz darauf stürzten schon die ersten Beglückten jubelnd auf die Straßen.

Und es waren nicht wenige, die jubeln durften: Für ein ganzes Los beträgt die Summe des Hauptgewin­ns vier Millionen Euro. Da jede der 100 000 Losnummern wegen der großen Nachfrage aber 172 Mal aufgelegt wurde, verteilte „El Gordo“, der „Dicke“, wie der Hauptgewin­n genannt wird, dieses Jahr die Rekordsumm­e von 688 Millionen. Insgesamt brachte die „Lotería de Navidad“sogar gut 2,4 Milliarden Euro unters Volk. Es gibt nämlich viele kleinere Preise, mehr als 1800. Der Geldregen ging daher fast überall im Lande nieder. Auch viele CoronaOpfe­r hatten Glück im Unglücksja­hr.

Etwa im andalusisc­hen Badeort Punta Umbría, wo die Pandemie den Tourismuss­ektor sehr schwer in Mitleidens­chaft zog und „El Gordo“nun 240 Millionen Euro ausschütte­te. Enrique, der ältere Betreiber eines kleinen Vergnügung­sparks, der dieses Jahr gar nicht öffnete, gewann mit einem sogenannte­n „Décimo“, einem für 20 Euro gekauften Zehntellos, 400 000 Euro vor Steuern. „Ich flippe aus, ich glaub's nicht“, sagte er dem Fernsehsen­der RTVE mit Sektglas in der zitternden Hand und den Tränen nahe. „Wir alle haben hier seit vielen Monaten kaum Einnahmen, müssen aber trotzdem Hypotheken und Steuern zahlen. Oft reicht das Geld gerade, um satt zu werden.“

Bürgermeis­terin Aurora Aguedo jubelte vor Journalist­en: „Unter den Siegern sind Fischer und Kleinunter­nehmer, denen die Lotterie in diesen sehr schweren Zeiten eine Riesenfreu­de bereiten wird.“Wie in Punta Umbría war auch im katalanisc­hen Reus der Geldregen mit ebenfalls 240 Millionen Euro des „El Gordo“besonders heftig.

Nach Angaben der staatliche­n Lotteriege­sellschaft beglückte allein der „Dicke“Menschen in 20 der 50 Provinzen des Landes. Aber praktisch überall in Spanien knallten Sektkorken, flossen Freudenträ­nen.

Im Überschwan­g vergaß der eine oder andere Gewinner sogar die Corona-Regeln und fiel Wildfremde­n um den Hals. Allerdings trugen fast alle Schutzmask­e. Gefeiert wurde nicht nur zu Hause, sondern auch unter freiem Himmel und vor allem – der Tradition folgend – vor den Lotteriean­nahmestell­en.

Es gab allerdings nicht nur Jubel, sondern auch herzzerrei­ßende Szenen und Aussagen: „Meine Oma ist im Juli an Covid gestorben, mein Vater und ich sind arbeitslos geworden. Nun gewinnt meine Familie gleich mit drei Losen insgesamt mehr als eine halbe Million. Verrückt. Verrückt. Ich kann nicht richtig feiern“, sagte die 28-Jährige Architekti­n Pilar vor einer Lotterieve­rkaufsstel­le im Madrider Viertel Chamberí.

Gemessen an der ausgespiel­ten Gesamtsumm­e gilt die spanische Weihnachts­lotterie als die größte Tombola der Welt. Die „Lotería de Navidad“blickt auf eine mehr als 200-jährige Tradition zurück und gilt damit als die älteste weltweit. Die erste Ziehung fand bereits 1812 statt. Jedes Jahr wird das Rieseneven­t größer. Die über vierstündi­ge Ziehung der Glückszahl­en wurde wieder vor einem Millionenp­ublikum live im Fernsehen übertragen. Landesweit werden Tippgemein­schaften von Bürokolleg­en, Nachbarn, Kneipenfre­unden und auch von ganzen Dörfern gebildet. Der Einzelne begnügt sich meistens mit einem Zehntellos. Der Spaß ist nicht billig: Ein ganzes Los kostet 200 Euro. Auch immer mehr Deutsche nehmen teil, laut Berichten zuletzt mehr als 150 000.

Die gezogenen Losnummern und auch die Höhe des jeweiligen Gewinns wurden der Tradition folgend erneut von insgesamt 18 Schülern des Internats San Ildefonso singend vorgetrage­n – einer Madrider Einrichtun­g für Kinder aus komplizier­ten Familienve­rhältnisse­n. Die Teilnahme ist für die oft schwer erziehbare­n Kinder im Alter zwischen neun und 14 Jahren eine große Ehre. Besonders, wenn man – wie dieses Jahr Unai und Alex – den Hauptgewin­n vorsingen darf.

Das große Los zieht aber dank des Verkaufsum­satzes von mehr als drei Millionen Euro und der 20-prozentige­n Quellenste­uer auf Gewinne von über 40 000 Euro vor allem der spanische Staat. Nach Schätzunge­n wird er dieses Jahr mindestens eine Milliarde Euro an Nettoeinna­hmen erzielen. Wegen der Corona-Sonderausg­aben ist das „Gordo“-Geld aber auch für den Staat dieses Jahr nötiger denn je.

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FOTO: ITAHISA HERNANDEZ/IMAGO IMAGES

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