Nur ein Klick zur Erleuchtung
Papierene Weihnachtssterne aus der Wildschen Werkstatt in Haßlau schmücken Fenster, Wohnungen und Bäume in ganz Deutschland
Drei große weiße Sterne strahlen im blattlosen Baum vorm Haus. Ein kleines Schild an der Fassade erklärt deren Herkunft: „Haßlauer Weihnachtssterne Matthias Wild“. Zur Werkstatt geht es ein paar Schritte über den Hof. Aber die wenigsten ihrer Stücke verkaufen Tabea und Matthias Wild an Kunden, die in ihrer Tür stehen. Die meisten Sterne verschwinden erst einmal in Kartons, die bis zur Decke gestapelt werden. Wenn dann der Advent näherkommt, halten die Transporter immer häufiger in der schmalen Straße von Wilkau-Haßlau und die beiden sächsischen Sternenmacher schleppen hinaus, was die Einzelhändler in aller Herren Bundesländer geordert haben: Sterne für drinnen und draußen; riesige und winzige; rote, gelbe, weiße, mehrfarbige.
Nach dem Ausliefern setzen sie sich wieder an ihre Werkbank. Matthias Wild streift seine weißen Baumwollhandschuhe über und zieht Papierstapel unter dem Tisch hervor: etwa einen Sechstel-Kreis, unterteilt in fünf Segmente und eine Klebefalz, manche mit aufgedruckten Ornamenten – aber eben flach. Nun erschließt sich, warum der eine Finger an Wilds Handschuh schon so abgenutzt ist. Die Fläche muss mehrmals gefaltet und der Knick glattgestrichen werden; so energisch, dass sie schon fast die Form eines Sternenstrahls bekommt; und so akkurat, dass dessen Spitze wirklich spitz ist.
Tabea Wilds Arbeitsplatz liegt gleich neben dem ihres Mannes. Sie beherrscht zwar ebenso wie Matthias alle Arbeitsgänge, aber meistens ist sie mit Kleben und Verpacken beschäftigt. Ihr Hilfsmittel ist ein eiserner, fünfkantiger Dorn in der Größe und im Format der jeweiligen Sternenspitze. Sie greift sich also den vorgeknickten Sechstel-Kreis, befestigt ihn mit einem Magneten am Dorn und streicht den Falz mit Klebstoff ein. Ein paar Augenblicke antrocknen, dann
Matthias Wild hat ein Klicksystem für das Zusammenstecken der Sterne erfunden.
Der Werkstatthimmel der Wilds hängt voller Sterne. bekommt der Strahl – wieder auf dem Dorn – mit einem kräftigen Streichen über die Klebestellen seine endgültige Form. Und erst einmal einen Platz auf einer der vielen bunten Säulen, die wie aufeinandergestapelte Mini-Zuckertüten entlang der Werkstattwand stehen.
Zwischen diesen Stapeln fällt ein kleiner, von einer Plastikfolie geschützter Stern auf: der erste Haßlauer Weihnachtsstern. Matthias Wild nimmt dieses Stück Firmenarchiv vorsichtig in die Hand und erzählt: „Der stammt aus dem Jahr 1985. Weil in der DDR auch Weihnachtssterne Mangelware waren, begannen wir in der Küche und im Wohnzimmer zu basteln.“Nach Feierabend, denn Matthias Wild war als Elektriker angestellt und Tabea Wild, gelernte Industriekauffrau, mit den vier Kindern Zu Hause. Später zog das Ehepaar mit seiner Werkstatt in die Garage um, was freilich nicht den gleichen Reichtum brachte wie der (vermeintliche) Garagenstart von Bill Gates. „In jedem ersten halben Jahr haben wir nur Kosten“, so Tabea Wild. „Wir bestellen das Material für die Sterne, die wir – hoffentlich – in den letzten Wochen des Jahres verkaufen.“
Mit der politischen Wende geriet alles durcheinander. Die Einheimischen wollten ihr Westgeld nicht für Dekorationszwecke ausgeben, und der sich neu auftuende Markt musste erst einmal erschlossen werden. Auch waren die Haßlauer nicht die einzigen sächsischen Unternehmer, die die Herrnhuter Tradition der Adventssternproduktion aufgegriffen hatten.
Doch einen besonders raffinierten Montagetrick hat Matthias Wild schon in den 1990er-Jahren ausgetüftelt und patentieren lassen: Ein Plastikgestell aus zwölf Kreisen bildet den Kern, auf den die durch einen Ring verstärkten Spitzen mit eine kleinen Drehung und einem Klick aufgesteckt werden. Bis zur Erleuchtung vergeht keine Minute. „Natürlich entfällt damit die traditionelle Familienbastelstunde am ersten Advent“, bekennt Wild. „Aber meine Kunden schätzen die Unkompliziertheit. Und ich hoffe, dass der fertige Adventsstern dann doch vorweihnachtliche Stimmung verströmt.“Damit die Besitzer nicht vergessen, was der Stern ihnen sagen will, legen dessen Schöpfer immer noch eine Broschüre mit der Geschichte aus Bethlehem mit in den Karton.