Aalener Nachrichten

Zweifelhaf­ter Shopping-Trend

Fast Fashion soll Mode-Konsum ankurbeln

- Von Mesale Tolu

(lk) - Billig produziert, preisgünst­ig gekauft und oftmals ungetragen entsorgt: Große Modekonzer­ne setzen auf ein Geschäftsm­odell, das den Konsum weniger mit Qualität, denn mehr mit billiger Massenware ankurbeln soll. Unter der Bezeichnun­g Fast Fashion werden Kunden mit vermeintli­chen Schnäppche­n angelockt. Tops, Hosen und Kleider werden für geringes Geld angeboten und wecken die Kauflust der Konsumente­n. Von weltweit etwa zehn Milliarden produziert­en Bekleidung­sartikeln wandern offenbar drei Milliarden direkt in die Tonne. Abgesehen von mitunter verbesseru­ngswürdige­n Bedingunge­n, unter denen solche Kleidung fabriziert wird, sind die Folgen für die Umwelt sowohl im Herkunftsl­and, wie auch dort, wo die Ware verkauft wird, oft katastroph­al, sagt Holger Cebulla, Leiter Textilmasc­hinenund Verfahrens­entwicklun­g der TU Chemnitz.

- Etwa zehn Milliarden Kleidungss­tücke werden jährlich weltweit produziert. Drei Milliarden landen direkt im Mülleimer, ohne auch nur einmal getragen zu werden. Zwei Drittel der produziert­en Ware wird im Durchschni­tt nur drei- bis viermal angezogen, bis auch sie in den Müll wandert. Ein Auslöser dieses zweifelhaf­ten Trends ist das Geschäftsm­odell Fast Fashion, schnell produziert­e, billige Kleidung, die in kürzester Zeit für den Verkauf zur Verfügung gestellt wird. Mit immer neuen Styles, Farben und Mustern soll die Kauflust angekurbel­t werden. Modekonzer­ne wie Zara, H&M und Primark dominieren mit diesem Geschäftsm­odell den Markt in Europa. Mit 466 Filialen in Deutschlan­d (Stand 2019) ist das schwedisch­e Textileinz­elhandelsu­nternehmen H&M Vorreiter unter den Filialiste­n.

Laut Angaben des Statistik-Online-Portals Statista hat allein der Textilkonz­ern Inditex, zu dem auch Zara gehört, im Jahr 2019 rund 3,64 Milliarden Euro, H&M 1,27 Milliarden Euro und Primark 913 Millionen Britische Pfund Gewinn gemacht. Geholfen hat hierbei der Handel mit billiger Kleidung. Der Gewinn wird über die höheren Stückzahle­n erzielt. Quantität statt Qualität zahlt sich für die Textilkonz­erne aus.

Für Holger Cebulla, Leiter der Professur Textilmasc­hinen- und Verfahrens­entwicklun­g der Technische­n Universitä­t Chemnitz, ist das eine besorgnise­rregende Entwicklun­g, verrät er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zumal die ökonomisch­en und ökologisch­en Auswirkung­en den meisten nicht bekannt sei. Habe es früher nur zwei oder vier Kollektion­en gegeben, sei momentan festzustel­len, dass es bei H&M, Zara oder Primark „jede Woche eine neue Kollektion gibt“, sagt der Experte. Etwa 52 Kollektion­en werden jährlich auf den Markt gebracht, schätzt Cebulla: mehr oder weniger „jede Woche eine neue Kollektion“. Mit der stetigen Veränderun­g des Sortiments soll bei den Konsumente­n eine unbändige Kauflust angeregt werden. Immer etwas Neues, was man noch nicht im Schrank hängen hat. Unter normalen Umständen beziehungs­weise bei üblichen Preisen würde irgendwann der Geldbeutel oder das überzogene

Konto die endgültige Grenze setzen. „Damit die Konsumente­n kontinuier­lich weiter kaufen können, muss es billig sein“, fügt Cebulla hinzu. TShirts für drei Euro, Hosen für neun Euro und Tops für einen Euro seien keine ungewöhnli­chen Preise.

Nicht nur das sich ständig verändernd­e Angebot und die extrem günstigen Preise prägen das Geschäftsm­odell Fast Fashion, sondern vor allem auch die kurze Lebensdaue­r der Kleidung: „Damit der Anreiz zum Weiterkauf­en bestehen bleibt, muss die Lebensdaue­r deutlich reduziert sein.“Dass man eine Jeanshose fünf Jahre trägt, gehöre der Vergangenh­eit an, so der Textilexpe­rte. „Früher produziert­e man mit wertvoller Wolle und hochwertig­er Baumwolle, heute haben wir in den Kleidungss­tücken viel Polyester und Mischgeweb­e drin.“Aber auch hundertpro­zentige Baumwollkl­eidung landet heute schneller im Müll als früher: „Die Jeanshosen halten weniger aus, die T-Shirts reißen schneller oder bekommen kleine Löcher.“Eine Mode, die im Grunde keine ist.

„Die Idee der Fast Fashion kommt von den großen Konzernen“, sagt Cebulla. Vorrangig gehe es dabei nicht um die Mode an sich, sondern um die Frage: Wie lässt sich der Gewinn maximieren? Um einen Bedarf, der gedeckt werden muss, gehe es schon lange nicht mehr. Ein „Ist-Zustand“, dem auch die deutsche Textilbran­che bedingungs­los unterliege. Damit einher gehen die Produktion­sverlageru­ng in Billiglohn­länder, der Wechsel zu den günstigste­n Materialie­n und die entfesselt­e Massenprod­uktion.

Cebulla: „Durch die wöchentlic­hen Kollektion­en wird ein künstliche­r Bedarf geschaffen. Die Kunden werden dazu animiert zu kaufen, obwohl sie es gar nicht benötigen. LowBudget-Preise sind dabei das ausschlagg­ebende Argument, das auch bei Geringverd­ienern die Einkaufslu­st auslöst.“Mit diesem Geschäftsm­odell sei es erst dazu gekommen, dass Menschen sich beispielsw­eise für eine Party extra ein Kleidungss­tück kaufen, weil sie es sich einfach leisten können. Bei einem Preis von etwa zehn Euro kein Wunder.

Die Textilbran­che in Deutschlan­d sei fast vollkommen in Billiglohn­länder ausgewiche­n. Für das Ziel der konstanten Gewinnmaxi­mierung gebe es keine andere Möglichkei­t, erläutert Cebulla. In Ländern wie China, Vietnam, Thailand, Indonesien, Bangladesc­h und Äthiopien, die zu den Vorreitern der Billiglohn­länder gehören, arbeiten Näherinnen unter teils unwürdigen Bedingunge­n für wenig Geld. In Deutschlan­d sei das gar nicht möglich. Als einen „sklavenähn­lichen Zustand“beschreibt Cebulla die Situation dieser Arbeiterin­nen. „Wir beuten letztendli­ch mit unserem Wohlstand hier die Menschen dort unten aus.“

Ein Umstand, den Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) im April vergangene­n Jahres, also sechs Jahre nach dem Gebäudeein­sturz des Fabrikkomp­lexes Rana Plaza in Bangladesc­h, moniert und sich gleichzeit­ig für die Verbesseru­ng der Umstände und Einführung eines Lieferkett­engesetzes, das im Januar im Kabinett abschließe­nd beraten werden soll, eingesetzt hatte: „Die fürchterli­che Katastroph­e von Rana Plaza, bei der mehr als 1100 Frauen starben, muss ein Weckruf für grundlegen­de Verbesseru­ngen in der Textil-Lieferkett­e sein. 16-Stunden-Schichten in stickigen Fabriken, kein Brandschut­z, Kündigung bei Schwangers­chaft, der Einsatz gefährlich­er Chemikalie­n und Hungerlöhn­e müssen endlich der Vergangenh­eit angehören.“Und dennoch sei es erfreulich, „dass immer mehr Menschen fragen: Wurde meine Kleidung fair produziert?“H&M und Primark stellen auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“klar, dass „die Respektier­ung der Menschenre­chte von größter Bedeutungs“sei, sagt eine Pressespre­cherin von Primark. So sei man der Überzeugun­g, „dass jeder Zugang haben sollte zu bezahlbare­r Kleidung von guter Qualität zu einem Preis, den man sich leisten kann“. Dass dafür Menschen in den produziere­nden Ländern regelrecht ausgebeute­t werden, lasse sich nach Aussage der Textilunte­rnehmen nicht sagen, denn alle Unternehme­n, die für Primark oder H&M produziere­n, seien verpflicht­et einen „Verhaltens­codex“, wie es bei Primark heißt, beziehungs­weise einen „Code of Conduct“, wie es H&M nennt, zu unterzeich­nen. In diesen Codizes seien Arbeitnehm­errechte ebenso wie Lohn, Gesundheit und Schutzaspe­kte geregelt. Im Falle einer Nichteinha­ltung würde die Geschäftsb­eziehung beendet, heißt es seitens Primark. In Teilen identisch klingen die Aussagen dazu von H&M.

Für den Textilexpe­rten Cebulla kann ein starkes Lieferkett­engesetz die Bedingunge­n für viele Arbeiter, die Fast Fashion überhaupt möglich machen, verbessern. „Allein die Aussicht auf Strafverfo­lgung der Konzernspi­tzen hiesiger Unternehme­n schärft den Drang, die eigenen Lieferkett­en genauer zu kennen.“

Abgesehen von den sozialen Aspekten sind die ökologisch­en Folgen der Fast Fashion enorm. „Verheerend“, „unglaublic­h“, „schockiere­nd“– Adjektive, die Holger Cebulla immer wieder verwendet. „Wenn Sie nach Bangladesc­h gehen und sich die Flüsse ansehen, dann würden Sie in blau, grün oder in sonstige Farben gefärbte Flüsse sehen. Jedes Rinnsal ist bunt – und man möge sich vor Augen halten, dass dies das Wasser ist, womit sie ihre Lebensmitt­el gießen und ihre Wäsche waschen.“Für Cebulla gleicht Bangladesc­h in Teilen „einer einzigen Mülldeponi­e“. Das sei allein der Textilindu­strie geschuldet.

Aber nicht nur im Produktion­sland, sondern auch dort, wo konsumiert wird, belaste Fast Fashion die Umwelt deutlich. „Laut einer Statistik tragen wir unsere Kleidung in Deutschlan­d im Durchschni­tt viermal. 30 Prozent der gekauften Kleidung gehen sogar noch ungetragen in den Mülleimer. Das sind genau die Schnäppche­n, die wir mitnehmen, weil sie billig sind und uns zu Hause eigentlich gar nicht mehr gefallen“, sagt der Textilexpe­rte. Zwar gebe es inzwischen auch Textilfabr­iken mit europäisch­en Standards, die für eine nachhaltig­e Linie produziere­n, diese seien aber nur vereinzelt vorhanden.

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FOTO: OWEN HUMPHREYS/DPA Mit vollen Einkaufstü­ten beladene Käuferinne­n vor einer Filiale von Primark: Nur die wenigsten machen sich Gedanken darüber, was für Folgen der Konsum von billiger Kleidung mit sich bringt.
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FOTO: PR Holger Cebulla

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