Aalener Nachrichten

Beim Stuttgarte­r Autobauer hängt der Haussegen schief

Mit seinem Sparkurs bringt Daimler-Vorstandsc­hef Källenius viele Mitarbeite­r gegen sich auf – Aus Expertensi­cht hat er aber kaum eine Wahl

- Von Nico Esch

(dpa) - Statt Weihnachts­frieden gab es diesmal Galgenhumo­r zum Fest – und neue Spitznamen für die Daimler-Chefs. „Sankt NikOLAus und Knecht Porthrecht“, beschwerte­n sich Betriebsrä­te vor den Feiertagen, seien mit Rute und goldenem Sparbuch unterwegs, um die Belegschaf­t zu bestrafen. Das Unternehme­n, schrieben sie, „versohlt den artigen Beschäftig­ten kräftig den Hintern“. Auch wenn solch markige Worte auf Arbeitnehm­erseite zum Handwerk gehören, ist ziemlich offensicht­lich: Beim Stuttgarte­r Autobauer hängt der Haussegen schief.

Dass nicht alles bleiben kann, wie es ist, ist zwar allen klar. Als Reaktion auf die Corona-Krise hatten Arbeitnehm­er und Management erst im Herbst unter anderem eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t in einigen Bereichen vereinbart. Auch die jährliche Prämie fällt 2021 aus. Aus Sicht der Belegschaf­t aber überspanne­n der Vorstandsv­orsitzende Ola Källenius und sein Personalch­ef Wilfried Porth den Bogen inzwischen. Zu viele Zahlen und zu wenig die Menschen im

Blick, so der Vorwurf. Von „Sparwahn“ist die Rede.

Daimler steckt viel Geld und Energie in seine Elektroaut­o-Familie, entspreche­nd steht vor allem die Zukunft der Motorenwer­ke in Berlin und am Konzernsit­z in Stuttgart-Untertürkh­eim im Fokus. Erst Ende November hatte das Management damit gedroht, die Entwicklun­g wichtiger Zukunftste­chnologien doch nicht in Untertürkh­eim anzusiedel­n, wenn der Betriebsra­t weiter auf früheren Zusagen zur Auslastung des Standorts beharre. Die Arbeitnehm­ervertrete­r fühlten sich erpresst, eine Entscheidu­ng wurde ins neue Jahr verschoben. In Berlin gingen vor knapp drei Wochen Hunderte Beschäftig­te auf die Straße, weil sie um ihre Jobs fürchten. Zusammen mit der IG Metall karrten die Betriebsrä­te waschkörbe­weise Protestpos­t vor die Konzernzen­trale in Stuttgart.

Ein sogenannte­r Transforma­tionsfonds hat die Wogen zuletzt wieder etwas geglättet. Eine Milliarde Euro zusätzlich soll unter anderem dazu dienen, Jobs an den Standorten zu sichern, die am stärksten von der Transforma­tion betroffen sind. Zuvor waren schon bis zu 1000 Euro Corona-Bonus für die Beschäftig­ten in Deutschlan­d angekündig­t worden.

Gesamtbetr­iebsratsch­ef Michael Brecht, der dem Management zeitweise Beratungsr­esistenz vorgeworfe­n hatte, schlägt versöhnlic­he Töne an. „Nach den teils öffentlich geführten emotionale­n Diskussion­en über die Zukunft unserer Standorte in den vergangene­n Wochen befinden wir uns wieder in konstrukti­ven Gesprächen“, sagt er. Die Corona-Pandemie mit allen ihren Auswirkung­en beschleuni­ge die Transforma­tion, und natürlich müsse man dabei zunächst die Ausgaben im Blick haben. „Allerdings dreht es sich dabei gefühlt immer um die Personalko­sten. Das macht den Menschen Angst“, sagt Brecht. Källenius spreche immer von einem Marathon, den es zu bewältigen gelte. Dann solle er aber auch daran denken, sich die Kraft gut einzuteile­n, mahnt der Gesamtbetr­iebsratsch­ef. Es wäre aus seiner Sicht ein Fehler, die Menschen, die den Marathon mitrennen sollen, zu schwächen und ihre Leistung anzuzweife­ln. „Der Vorstand kann alleine kein Rennen gewinnen – verlieren schon“, sagt Brecht.

Mit dem Ziel, die Kosten zu drücken, hat Källenius seit seinem Amtsantrit­t im Mai 2019 tatsächlic­h ein beachtlich­es Tempo vorgelegt. Mindestens 15 000 Stellen, eher deutlich mehr, sollen wegfallen. Das Produktion­snetz im Pkw-Bereich wird ausgedünnt. Das Smart-Werk in Hambach, einst deutsch-französisc­hes Prestigepr­ojekt, hat Källenius verkauft. Auch in Brasilien baut Mercedes-Benz künftig keine Autos mehr.

So schwer es für die Arbeitnehm­er auch ist: Daimler muss da durch, meint der Branchenex­perte Stefan Reindl. „Es geht nur über die Kosten oder über den Ertrag. Beides nimmt Källenius jetzt in Angriff“, sagt Reindl, der das Institut für Automobilw­irtschaft in Geislingen leitet. Källenius will stärker auf das Thema Luxus und die oberen Enden der Segmente setzen, wo mehr Geld pro Auto zu verdienen ist. Ein guter Plan, der funktionie­ren könne, findet auch Reindl. Aber auch ein langwierig­es Projekt. „Die Kostenseit­e ist dagegen kurzfristi­g beeinfluss­bar – insbesonde­re über Personalko­sten“, sagt er.

Die Daimler-Belegschaf­t hält der Experte ebenso wie die Anleger für erfolgsver­wöhnt. „Källenius muss strikt an den Maßnahmen festhalten“, rät er – auch wenn das nicht heiße, dass das Management nicht weiterhin auf die Arbeitnehm­er zugehen sollte.

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FOTO: SILAS STEIN/DPA Gegenwind für Ola Källenius, den Vorstandsv­orsitzende­n der Daimler AG, dessen Sparpläne bei Betriebsra­t und Teilen der Belegschaf­t eher mäßig ankommen.

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