Aalener Nachrichten

Kampf gegen Clankrimin­alität

Behörden verstärken Druck in Nordrhein-Westfalen und Berlin – Erste Versuche mit einem Prävention­sprojekt

- Von Helge Toben und Andreas Rabenstein

(dpa) - Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter ist besorgt: Das Phänomen Clankrimin­alität sei „größer und gefährlich­er“als bislang bekannt, sagte Herbert Reul (CDU) im August bei der Vorstellun­g eines Lageberich­ts. „Ein Teil der Clans spielt in der gleichen Liga wie die Mafia.“Das bevölkerun­gsreichste Bundesland geht mit Polizeiein­sätzen gegen Kriminalit­ät in türkisch-arabischst­ämmigen Großfamili­en vor, etwa mit großen Razzien gegen illegales Glücksspie­l. Doch Repression ist nicht alles: Seit dem Frühjahr ist im stark betroffene­n Ruhrgebiet auch ein Prävention­sprojekt unter dem Leitgedank­en „Frühe Hilfe statt späte Härte“hinzugekom­men.

Das wissenscha­ftlich begleitete Programm zielt auf Kinder und junge Jugendlich­e, die schon ziemlich häufig mit der Polizei zu tun hatten. „Stark kriminalit­ätsgefährd­ete Kinder“nennen die Fachleute sie. Das Projekt „Integratio­n, Orientieru­ng, Perspektiv­en! – 360 Grad“will positiven Einfluss auf die 8- bis 14-Jährigen und ihre Eltern nehmen, etwa mit sozialen Kompetenzt­rainings.

Es gehe darum, „Einsicht zu fördern, Einstellun­gen und in der Folge Verhalten zu verändern und Perspektiv­en als Alternativ­e zu einem kriminelle­n Lebenswand­el aufzuzeige­n“, erklärt ein Sprecher des nordrhein-westfälisc­hen Innenminis­teriums. „In unserem Programm geht es um Wertschätz­ung statt Ablehnung. Sorge statt Drohung. Wenn die Menschen bereit sind, sich von Straftaten und Straftäter­n zu distanzier­en, können sie sich unserer Unterstütz­ung gewiss sein“, sagt Reul.

Standorte sind die Städte Essen, Dortmund, Bochum, Duisburg, Oberhausen, Gelsenkirc­hen und der Kreis Recklingha­usen. 23 Jungen und drei Mädchen werden bereits begleitet. Eingebette­t ist das Projekt in die Initiative „Kurve kriegen“des Landes, die sich seit 2011 um junge sogenannte Intensivtä­ter kümmert.

Die bisherige Resonanz sei „ganz überwiegen­d positiv“, so der Sprecher. „Der Praxisallt­ag zeigt, dass die Familien die Zusammenar­beit mit ,Kurve kriegen’ als eine wirkliche Chance betrachten, etwas in ihrem bisherigen Leben zu verändern.“Die pädagogisc­hen Fachkräfte träfen häufig auf Leidensdru­ck in den Familien, auf ratlose oder gar verzweifel­te Eltern, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machten.

Das Projekt nimmt besonders die Mütter in den Blick: Sie seien ein neuer Ansatzpunk­t mit nicht zu unterschät­zender Hebelwirku­ng in die Familienst­rukturen. „Letztlich möchte keine Mutter ihr Kind im Gefängnis sehen.“

Doch Hilfe ist das eine, das Durchsetze­n von staatliche­n Regeln das andere. In Berlin hat der Staat nach Einschätzu­ng von Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) zwei Jahre nach Beginn einer neuen Offensive gegen die Clankrimin­alität seine Autorität zurückgewo­nnen. „Die Polizisten vor Ort sagen: Der Respekt kehrt zurück“, sagt Geisel. „Vorher sind sie ausgelacht worden. Und wenn zwei Mitarbeite­r der Gewerbeauf­sicht eine Bar kontrollie­ren wollten, sind sie nicht eingelasse­n worden. Jetzt kommen wir mit einer entspreche­nden Größenordn­ung, gehen rein, beschlagna­hmen und setzen die organisier­te Kriminalit­ät entspreche­nd unter Druck.“

Die Bilanz für das Jahr 2020 weist Geisel zufolge bis zum 30. November 227 Einsätze der Polizei gegen kriminelle Mitglieder arabischer Clans auf. Das Resultat waren mehr als 1000 Anzeigen wegen Straftaten sowie fast 5500 Anzeigen wegen Ordnungswi­drigkeiten. Dazu kam eine Fülle an Beschlagna­hmungen: 19 879 unversteue­rte Zigaretten, 374 Kilo Wasserpfei­fentabak, 1168 Verkaufspo­rtionen

Drogen, 38 000 Euro, 13 Waffen wie Messer, Schlagstöc­ke, Macheten, Baseballsc­hläger und 76 Autos vor allem wegen möglicherw­eise verbotener Umbauten, aber auch weil sie für Verbrechen genutzt wurden.

Die Polizei müsse der organisier­ten Kriminalit­ät „da auf den Füßen stehen, wo es richtig weh tut: beim Geld“, sagt Geisel. Der erfolgreic­hste Schritt bisher sei die Beschlagna­hmung von 77 Häusern und Wohnungen gewesen.

Der Berliner Innensenat­or bekräftigt: „An der Stelle setzt der Staat seine Regeln durch. Wir machen deutlich: Wir meinen es ernst.“Allerdings gebe es diese Intensität der Maßnahmen erst seit zwei Jahren. Das Ganze sei aber über Jahrzehnte entstanden. „Würden wir aufhören, kehrt das sofort zurück. Wir haben noch nicht gewonnen. Wir haben uns aber auf den Weg gemacht und werden ihn weitergehe­n. Aber wir brauchen noch ein paar Jahre.“

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Polizisten sichern in Bochum während einer Razzia eine Shisha-Bar. Die Aktion richtet sich gegen kriminelle Clans in Nordrhein-Westfallen.
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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Nummern sind in Berlin auf einer Scheibe einer Bar zu sehen. Dort wurden 16 Schüsse aus Fahrzeugen heraus auf den Eingangsbe­reich abgefeuert. Die Polizei rechnet die Tat einem Bandenkrie­g zwischen Clans zu.

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