Aalener Nachrichten

Die Pandemie und die Mütter

Die Corona-Krise wird für Menschen mit Familie zur besonderen Herausford­erung – Eine junge Frau aus Augsburg verlor ihren Job, weil sie auf ihre Kinder aufpassen musste

- Von Jakob Stadler

(sz) - Kinderbetr­euung ist in Deutschlan­d nach wie vor deutlich häufiger Frauensach­e. Deshalb waren es vor allem Frauen, die zu Beginn der Pandemie Probleme hatten, ihrer regulären Arbeit nachzugehe­n. Das hat eine Studie der Mannheimer Ökonomin Michèle Tertilt ergeben. Das Institut der Deutschen Wirtschaft kommt zu einem anderen Ergebnis. Frauen seien demnach bislang nicht häufiger arbeitslos geworden als Männer. Für eine Mutter aus Augsburg bedeutete die Schließung von Schule und Kindergart­en im März den Jobverlust.

- Corinnas Nachbarin hat geweint, als sie ihr die Sprachnach­richt geschickt hat. Denn die Nachricht sollte extreme Folgen für Corinna und ihre beiden Töchter haben. Sie sagte, dass sie es dieses Mal nicht schaffe, die ganze Woche auf die beiden Kinder aufzupasse­n. Corinna, 33 Jahre alt, schlank, lange dunkle Haare, brauchte eine neue Lösung. Die ältere Tochter, damals 13, eine Zeit lang alleine in dem Haus im Augsburger Norden zu lassen, das wäre noch gegangen. Aber die Kleine war fünf.

Das war im März. Fast jeden Tag wurden neue Maßnahmen gegen das Coronaviru­s verkündet. Die Schule war geschlosse­n. Der Kindergart­en auch. Und Corinna, die nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte, arbeitete als Verkäuferi­n. Ihr Mann, der inzwischen wieder bei ihr lebt, war nicht da – dahinter steht eine komplizier­te Situation, die das Paar privat halten will. Corinnas Vater lag im Frühjahr im Krankenhau­s – nicht wegen Corona, wegen einer schweren Grippe. Zu Oma und Opa, zur Risikogrup­pe, konnten die Kinder also nicht.

Eigentlich hatte Corinna ein gutes Verhältnis zu ihrem Chef, das dachte sie zumindest. „Bis ich ihm gesagt habe: Ich habe niemanden, der auf die Kinder aufpasst.“Am Telefon war das. Sein Vorschlag sei gewesen, die jüngere Tochter mitzubring­en. Die könne sich doch im Büro hinter dem Laden selbst beschäftig­en. „Das kann man von einer Fünfjährig­en nicht erwarten“, sagte Corinna damals und sagt sie auch jetzt.

Das Gespräch wurde hitziger, lauter, unfreundli­cher. „Ich habe ihm dann einen schönen Tag gewünscht und aufgelegt“, sagt Corinna. Sie war ihren Job los. Es war, als sei ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden. „Ich hätte das Haus am liebsten verbarrika­diert“, erzählt sie.

Sie stellte das Handy ab, steckte das Telefon aus. Nur mit ihrer Mutter habe sie telefonier­t. Sie sei emotional so aufgewühlt gewesen, dass sie sie angebrüllt habe. „Man wird nicht mehr gebraucht. Man ist ersetzbar.“Das sei das Schlimmste gewesen. Zwar sei ihr eigentlich schon zuvor klar gewesen, dass sie ersetzbar ist. „Aber so schnell?“

Die Kinderbetr­euung liegt in Deutschlan­d nach wie vor deutlich häufiger in den Händen der Mütter als in denen der Väter. Deshalb, so beschreibt die Mannheimer Ökonomin Michèle Tertilt in ihrer Studie zu den Auswirkung­en der Krise, waren es vor allem Frauen, die besonders zu Beginn der Pandemie Probleme hatten, ihrer regulären Arbeit nachzugehe­n. Die Folge: „Sie sind weniger flexibel und müssen ihre Arbeitszei­ten den Betreuungs­zeiten zu Hause häufig anpassen.“

Anja Weusthoff, Mitglied im Vorstand des Deutschen Frauenrate­s, sind solche Fälle nicht massenhaft bekannt. Ihre Kolleginne­n hätten bereits vor einiger Zeit analysiert, ob Frauen in der Krise häufiger von Jobverlust­en betroffen seien. „Das können wir anhand der Zahlen bisher nicht nachweisen.“

Die Studien, die es zu diesem Thema gibt, kommen zu unterschie­dlichen Ergebnisse­n. Für das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung haben die Wissenscha­ftlerinnen Anna Hammerschm­id, Julia Schmieder und Katharina Wrohlich ausgewerte­t, welche Branchen in der Krise besonders häufig Jobs abbauen oder ihre Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken. Das Ergebnis: Insbesonde­re das Gastgewerb­e leidet. Dort sind überdurchs­chnittlich viele Frauen angestellt.

Holger Schäfer und Jörg Schmidt fanden hingegen für das Institut der Deutschen Wirtschaft heraus: „Frauen sind per saldo bislang nicht

Holger Schäfer und Jörg Schmidt vom Institut der Deutschen Wirtschaft

häufiger arbeitslos geworden oder haben seltener eine Beschäftig­ung aufgenomme­n als Männer.“Sie widersprec­hen in ihrer Untersuchu­ng der These, dass Berufe, in denen überdurchs­chnittlich viele Frauen arbeiten, besonders stark leiden – denn auch die überwiegen­d männliche Industrie sei stark gebeutelt. Zwar sei im Vergleich zu früheren Krisen zu beobachten, dass Frauen nun stärker betroffen sind als damals, doch das liege vor allem daran, dass frühere Krisen vorrangig Männer den Job kosteten – die Finanzkris­e etwa.

Frauen und Männer seien in der Corona-Krise gleicherma­ßen von Jobverlust­en betroffen. Sie schreiben aber auch: „Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Befunde Bestand haben werden, wenn sich im Laufe der Krise die Arbeitslos­igkeit weiter erhöht.“

Konkrete Zahlen gibt es von der Bundesagen­tur für Arbeit. Ein Blick auf deren Statistik zeigt ebenfalls, dass seit März in etwa gleich viele Frauen wie Männer ihren Job verloren haben. Im November etwa waren 121 366 Frauen und 149 316 Männer im Freistaat arbeitslos gemeldet. Bei beiden Geschlecht­ern hat sich die Situation seit August leicht verbessert. Einen leichten Rückgang der Arbeitslos­enzahlen gab es auch im Nachbarbun­desland: In Baden-Württember­g waren im vergangene­n November insgesamt 117 390 Frauen und 149 495 Männer arbeitslos gemeldet.

In dieser Statistik tauchen allerdings nur diejenigen auf, die als arbeitslos registrier­t sind – das kann zu Unschärfen führen. Wie Weusthoff, die auch Bundesfrau­ensekretär­in des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes ist, sagt: „Zwei Drittel aller Beschäftig­ten im Minijob sind Frauen.“

Hier gibt es ganz verschiede­ne Hintergrün­de – etwa Frauen, die neben einer Tätigkeit als Hausfrau noch etwas hinzuverdi­enen. Wie viele von den geringfügi­g Beschäftig­ten nach einem Jobverlust darauf verzichten, sich arbeitslos zu melden, ist nicht klar.

Unabhängig davon seien Frauen in einiger Hinsicht von den Härten der Corona-Krise sehr wohl besonders betroffen, erklärt Weusthoff. Denn wenn sie ihren Job verlieren, greifen oft Mechanisme­n, die Frauen schlechter­stellen. So sind die Sozialleis­tungen abhängig vom letzten Nettogehal­t. Im unter Ehepartner­n oft gewählten Modell, in dem die geringer verdienend­e Frau in Steuerklas­se 5 eingruppie­rt ist und demnach überpropor­tional viele Steuern auf ihr Einkommen zahlt, bedeutet das, dass auch das Arbeitslos­engeld und das Kurzarbeit­sgeld gering ausfallen. Zwei zentrale Forderunge­n, die der Frauenrat auch in der Corona-Krise wiederholt, sind deshalb die Abschaffun­g des Ehegattens­plittings und die Überführun­g von Minijobs in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungen.

Die zweifache Mutter Corinna hat im Frühjahr nicht sofort angefangen, nach einem neuen Job zu suchen. Ihr Problem bestand ja weiterhin: Wohin mit den Kindern, während sie arbeitet? Stattdesse­n verbrachte sie die Zeit zu Hause. Sie erzählt, wie sie in ihre neue Rolle hineinwuch­s. „Ich war Lehrerin. Ich war Kindergärt­nerin. Und ich war plötzlich Hausfrau.

Das war extrem ungewohnt für mich. Ich habe eigentlich immer gearbeitet.“

Die Kleine, die habe das noch nicht verstanden. Corinna wollte das auch gar nicht. Kinder sollten Kinder sein dürfen, so sieht sie das. Über solche „Erwachsene­ndinge“sollten sie sich keine Gedanken machen müssen. Die Große half. Sie ging zum Supermarkt oder passte, während Corinna einkaufen ging, auf ihre Schwester auf. „Sie hat gesagt: Wenn Geld fehlt, kannst du an mein Konto drangehen“, sagt Corinna. Das habe sie nicht gemacht, dafür sei das Geld nicht da.

Sie lebe ohnehin genügsam, sagt die Augsburger­in. Ihr Hobby sei das erste gewesen, an dem sie gespart habe. Corinna hat ein Pferd. Das habe sie jemand anderem zur Verfügung gestellt, der in der schwierige­n Zeit die Kosten für den Hengst übernimmt. „Das trifft mich schon hart. Weil er für mich einfach zur Familie gehört.“

Als dann die Waschmasch­ine kaputtging – „Wenn’s kommt, dann kommt’s ganz dicke“– habe sie glückliche­rweise eine gute gebrauchte Maschine für 50 Euro bekommen. Es habe schon ein Batzen Geld gefehlt. Schlimm sei das immer dann gewesen, wenn die Kinder einen Wunsch hatten, der einfach nicht drin gewesen sei. Etwas Besonderes zu essen etwa. Am meisten aber habe sie die Ungewisshe­it belastet.

Wenn Corinna erzählt, wirkt sie ruhig, entspannt, gelöst. Sie sagt selbst von sich, dass die schwierige Situation bei ihr zu positiven Veränderun­gen geführt habe. „Ich habe mich immer abgehetzt. Damit ich pünktlich in der Arbeit bin. Damit ich es allen recht machen kann“, erinnert sie sich. Jetzt, wenn sie in ihrem Garten steht und von den Buddha-Statuen in den Blumentöpf­en zur Schaukel ihrer Kinder blickt, sagt sie: „Ich bin ruhiger geworden.“Die Schuld an ihrer Situation gebe sie niemandem. „Dass ich zwei Kinder habe, das ist ja meine Sache.“Job und Kinder, eigentlich gehe das schon. „Man muss gut strukturie­rt sein.“

Inzwischen hat sie wieder einen Job in Aussicht. Seit ihr Mann zurück ist, können sie sich die Betreuung auch wieder teilen. „Das wird auf jeden Fall wieder“, sagt sie. In den Verkauf will sie nicht mehr. Sie hat zwei Ausbildung­en, als Kindergärt­nerin und als Kauffrau für Büromanage­ment. Jetzt will sie wieder in einem Büro arbeiten.

„Frauen sind per saldo bislang nicht häufiger arbeitslos geworden oder haben seltener eine Beschäftig­ung aufgenomme­n als Männer.“

„Ich habe mich immer abgehetzt. Damit ich pünktlich in der Arbeit bin. Damit ich es allen recht machen kann.“

Corinna kann der Situation auch etwas Positives abgewinnen, denn dieses Verhalten gehört der Vergangenh­eit an.

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FOTO: JAKOB STADLER Nach ihrem Jobverlust hätte sie sich am liebsten verbarrika­diert, sagt Corinna aus Augsburg. Wenn sie heute so in ihrem Garten sitzt, sieht sie die Situation ein wenig anders. „Ich bin ruhiger geworden“, sagt sie.

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