Aalener Nachrichten

Jüdische Seelsorger für die Polizei

Rabbiner sollen Kenntnisse über Kultur und Religion vertiefen – Kampf gegen Antisemiti­smus

- Von Ludger Möllers

- Die bundesweit ersten beiden Polizeirab­biner werden am 1. Januar in Baden-Württember­g ihren Dienst aufnehmen. Das Innenminis­terium unterzeich­nete mit den Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­ten im Land eine Vereinbaru­ng, die zunächst für zwei Jahre gilt: „Wir werden künftig angehenden Polizeibea­mten notwendige­s Wissen über das jüdische Leben in Deutschlan­d vermitteln“, sagt der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik, der für den württember­gischen Landesteil zuständig sein wird. Die Polizei sei im Kampf gegen Antisemiti­smus stark gefordert: „Und dann ist es wichtig, dass die Polizisten Grundkennt­nisse über jüdisches Leben, Denken, Handeln und Kultur mitbringen, die Hemmschwel­le ist immer noch hoch.“

Das Innenminis­terium verzeichne­t eine steigende Zahl antisemiti­scher Straftaten: „Im Jahr 2019 wurden in Baden-Württember­g insgesamt 182 antisemiti­sche Straftaten erfasst, wovon 170 Straftaten dem Bereich der rechten, politisch motivierte­n Gewalt zugeordnet wurden“, sagte ein Sprecher des Stuttgarte­r Innenminis­teriums am Mittwoch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Stark ins Gewicht fallen die Delikte Volksverhe­tzung und Gewaltdars­tellung. 2019 wurden 90 und damit knapp die Hälfte der antisemiti­schen Straftaten im Internet begangen.

Für 2020 rechnet das Ministeriu­m mit einem weiteren Anstieg antisemiti­scher Straftaten: Wurden in den ersten drei Quartalen 2019 knapp 90 einschlägi­g motivierte Delikte verzeichne­t, waren es im gleichen Zeitraum 2020 bereits 118 antisemiti­sche Straftaten, davon 82 Fälle im Bereich der Volksverhe­tzung und Gewaltdars­tellung. „Die antisemiti­schen Gewaltdeli­kte befanden sich mit drei Fällen auf einem konstant niedrigen Niveau“, heißt es aus dem Ministeriu­m.

„Genau diese gefährlich­e Entwicklun­g beobachten wir auch in den anderen Bundesländ­ern“, sagt Rabbiner Trebnik, „darum ist guter Kontakt zur Polizei wichtig.“Doch bisher habe es an vielen Stellen ein Nebeneinan­der von jüdischer Gemeinde und Polizeidie­nststellen gegeben: „Direkte Ansprechpa­rtner fehlten.“Für Rami Suliman, den Vorsitzend­en der Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­t Baden, ist die Berufung der Polizeirab­biner nur ein erster Schritt: „Ich hoffe, dass unser Land das Vorbild und der Vorreiter sein wird für entspreche­nde Vereinbaru­ngen in allen Bundesländ­ern.“

Trebnik und der künftige Polizeirab­biner für den badischen Landesteil Moshe Flomenmann aus Lörrach wollen beispielsw­eise in den Polizeisch­ulen tätig werden: „Wir stehen für Vertrauen und Aufklärung: Uns ist dann wichtig, dass im Gespräch über Juden nicht Vorurteile, Mythen und Bilder über Antisemiti­smus, den Holocaust oder die israelisch­e Politik diskutiert werden, sondern dass die Polizisten in einem interkultu­rellen Dialog ihr Wissen über unsere Religion vertiefen und erweitern.“Ihm ist beispielsw­eise wichtig, „dass die Polizisten um das Judentum als ältester abrahamiti­scher Religion der Welt wissen oder dass ein Jude dreimal täglich betet“. Trebnik nennt ein praktische­s Beispiel: „Beamte, die unsere Synagogen schützen, sollten wissen, was in einer Synagoge passiert.“Daher könnte auch ein Besuch in einem jüdischen Gotteshaus im Ausbildung­sprogramm der jungen Beamtinnen und Beamten stehen. Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hofft, dass die Rabbiner einen wichtigen Beitrag zur „inneren Kultur der Polizei“in Baden-Württember­g leisten. „Gleichzeit­ig werden wir auf diese Weise das Vertrauen zwischen den jüdischen Gemeinden und der Polizei weiter stärken“, sagte Strobl, der ebenfalls klarstellt­e: „Die Polizei als Hüterin unserer freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng muss bei der Bekämpfung des Antisemiti­smus mit allerbeste­m Beispiel vorangehen.“

Die Idee, Polizeirab­biner zu ernennen, stammt vom Beauftragt­en der Landesregi­erung gegen Antisemiti­smus, Michael Blume: „Die Covid-19Pandemie hat unterstric­hen, dass wir Teil einer Menschheit­sfamilie sind“, sagt Blume am Mittwoch der „Schwäbisch­en Zeitung“und fügte hinzu: „Ich danke allen Beteiligte­n von Herzen, dass Baden-Württember­g als erstes Bundesland meine Empfehlung für auch jüdische Polizeisee­lsorge umsetzt. Dies ist auch ein guter Schritt für unseren demokratis­chen Rechtsstaa­t und für die Bekämpfung von Antisemiti­smus und Rassismus auch im Staatsdien­st.“

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FOTO: ALEXANDER KAYA Als erster Polizeirab­biner in Baden-Württember­g wurde der Leiter der jüdischen Gemeinde in Ulm, Rabbiner Shneur Trebnik, benannt.

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