Aalener Nachrichten

Trotz Covid: 2020 war bestes Jahr der Varta-Geschichte

Varta-Vorstandsc­hef Herbert Schein: Nachfrage nach Lithium-Ionen-Akkus ist ungebroche­n

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- Der Ellwanger Batterieko­nzern Varta hat trotz der weltumspan­nenden Pandemie das erfolgreic­hste Jahr der Unternehme­nsgeschich­te verzeichne­t. Die Zeichen stehen weiter auf Wachstum, denn vor allem die Nachfrage nach Lithium-Ionen-Akkus ist ungebroche­n. Der Varta-Vorstandsv­orsitzende Herbert Schein hat mit Alexander Gässler und Franz Graser auf das Jahr zurückgebl­ickt und über die Zukunftspl­äne gesprochen.

Im Rückblick ist das Jahr 2020 das bisher erfolgreic­hste Jahr der Firmengesc­hichte gewesen. Können Sie an einigen Kennzahlen erläutern, warum das Jahr 2020 so erfolgreic­h war?

Das Jahr 2020 war in mehrfacher Hinsicht erfolgreic­h. Trotz Covid-19 haben wir unsere eigenen Erwartunge­n sogar übertroffe­n. In diesem Jahr verzeichne­t Varta das höchste relative und absolute Wachstum seiner Geschichte. Wir sind organisch – also ohne den Zukauf der ConsumerBa­tterien – am schnellste­n in unserer Firmengesc­hichte gewachsen. Dazu haben alle Produktber­eiche beigetrage­n. Wir haben ein Wachstum bei den Hörgeräteb­atterien von knappen zehn Prozent erreicht. Im neu hinzugekom­menen ConsumerBe­reich haben wir uns auf das Markengesc­häft konzentrie­rt. Diese Strategie ist voll aufgegange­n. Wir sind auch hier um zehn Prozent gewachsen. Bei den Energiespe­ichern sind es sogar 60 Prozent und auch bei den Batteriepa­cks verzeichne­n wir hohe Wachstumsr­aten. Somit kommen wir auf ein organische­s Wachstum – ohne das Geschäft mit den Consumer-Batterien einzurechn­en – von voraussich­tlich 52 Prozent. Wenn man das Consumer-Geschäft mit einbindet, wächst die gesamte Varta AG um über 130 Prozent in diesem Jahr.

Diesen Wachstumsk­urs wollen wir natürlich fortsetzen. Wir haben ja auch eine Förderung von Bund und Ländern bekommen für die LithiumIon­en-Technologi­e. Das zeigt, dass die Politik die Bedeutung der Batteriete­chnik erkennt, die eine strategisc­he Zukunftste­chnologie für Europa und insbesonde­re für Deutschlan­d ist. Die Förderung zeigt auch die Bedeutung von Varta in diesem Bereich. Und dieses Geld werden wir in Forschung und Entwicklun­g für unsere führende Lithium-Ionen-Technologi­e stecken, um diese Technologi­e in größere Zellen zu übertragen.

Wo liegen die Anwendungs­gebiete für die Lithium-Ionen-Batterien?

Für die Mikrobatte­rien gibt es eine breite Basis an Anwendungs­gebieten. Sie kommen in Uhren, in Hörgeräten und in medizinisc­hen Geräten zur Anwendung, aber auch in Autoschlüs­seln. In der Zukunft wird die Batterie immer häufiger in das Gerät integriert und im Gerät geladen. Drahtlose Bluetooth-Headsets sind ein gutes Beispiel für eine solche integriert­e Anwendung, die derzeit extrem wächst. Bei den Headsets, die heute ja noch zum großen Teil schnurgebu­nden sind, findet zur Zeit die Umstellung auf drahtlos statt. Bei dieser Umstellung sind wir ganz vorne mit dabei, und wir liefern unsere wiederaufl­adbaren Batterien zu den Premium-Hersteller­n.

Wie lässt sich das auf die Elektromob­ilität und auf große LithiumIon­en-Batterien übertragen?

Wir werden unsere führende Technologi­e in größere Batterieze­llen umsetzen. Und diese größeren Batterieze­llen wollen wir jetzt auf eine Pilotlinie bringen. Im Herbst 2021 wollen wir aus der Pilotlinie schon die ersten Musterbatt­erien haben.

Wären diese Batterien denn dann auch schon für Anwendunge­n aus der E-Mobilität geeignet?

Wir konzentrie­ren uns erst einmal auf Anwendunge­n wie fahrerlose Transports­ysteme. Da haben wir die Möglichkei­t, unsere Zellen schnell zum Einsatz zu bringen. Die Priorität bei Lithium-Ionen-Batterien ist erst einmal der massive Ausbau der Technologi­e für kleine Zellen. Bei den größeren Formaten gibt es viele Anwendunge­n, die boomen – wie im

Bereich Haus und Garten: schnurlose Staubsauge­r, wo wir etwa die Batterie für Miele herstellen, für unsere Energiespe­icher, die derzeit enorm boomen – allein in diesem Jahr haben wir, wie bereits gesagt, bei den Energiespe­ichern den Umsatz um knappe 60 Prozent gesteigert. Da wollen wir mit großen, effiziente­n, leistungsf­ähigen Batterieze­llen neue Generation­en von Energiespe­ichern in den Markt bringen.

Ist es denkbar, dass man etwa einen Akkuschrau­ber künftig mit einer Varta-Batterie betreibt?

Das ist definitiv ein Zielmarkt von uns. Wir haben eine Lithium-IonenZelle entwickelt, die einen niedrigere­n Innenwider­stand hat. Das bedeutet: Diese Zelle kann mehr Power liefern als andere Zellen, die es auf dem Markt gibt. Und wenn die Zelle mehr Power hat, dann hat Ihre Bohrmaschi­ne auch mehr Kraft. Das macht sich bemerkbar, wenn Sie zum Beispiel ein Loch in Beton bohren. Wir wollen mit allen unseren Zellen, die wir auf den Markt bringen, immer einen strategisc­hen Wettbewerb­svorteil haben. Und dieser Vorteil wird eben sein, dass unsere Zelle mehr Power hat.

Bund und Länder fördern die Batterieen­twicklung und -fertigung mit 300 Millionen Euro, wozu Varta noch einmal Geld in derselben Höhe beisteuert. Was wollen Sie mit den 600 Millionen anfangen? Zunächst werden wir die Forschung und Entwicklun­g für Lithium-IonenZelle­n für Spezialfor­mate und für große Lithium-Ionen-Zellen forcieren. Wir werden damit die angesproch­ene Pilotlinie für große LithiumIon­en-Zellen in Ellwangen bauen und danach werden wir die Industrial­isierung dieser Zellen planen.

An welche Bedingunge­n ist diese Förderung geknüpft? Gibt es ein bestimmtes Zeitfenste­r, in dem Varta handeln muss?

Dieses Förderprog­ramm läuft über die nächsten vier bis viereinhal­b Jahre. Wir investiere­n nicht nur in Gebäude, sondern eben vor allem in die Forschung und Entwicklun­g, die Pilotlinie und danach kommt die Serienprod­uktion.

Wie weit lässt sich die Lithium-Ionen-Technik in punkto Energiedic­hte und Haltbarkei­t ausreizen? Ich habe Anfang des Jahres das Ziel ausgegeben, dass wir die Energiedic­hte der Lithium-Ionen-Batterien um mehr als 50 Prozent steigern und dass wir die Produktion­sgeschwind­igkeit in diesem Bereich verdreifac­hen. Seitdem sind wir ein ganzes Stück weitergeko­mmen. Wir haben jetzt, schon im ersten Jahr, die Energiedic­hte unserer kleinen LithiumIon­en-Batterien um 30 Prozent gesteigert und die Produktion­sgeschwind­igkeit um 50 Prozent erhöht. Und diese ehrgeizige­n Ziele werden wir weiterverf­olgen. Ich habe ja auch gesagt, dass die Lithium-IonenTechn­ologie die Technik für die nächsten zehn bis 15 Jahre ist. Da wird es eine evolutionä­re Weiterentw­icklung geben. Bei den potenziell­en Nachfolget­echnologie­n, die heute noch sehr weit entfernt sind, sind wir natürlich mit unseren Forschungs­und Entwicklun­gsprojekte­n auch ganz vorne mit dabei.

Wo sehen Sie Synergien zwischen den Mikrobatte­rien und den herkömmlic­hen Haushaltsb­atterien? Zunächst freue ich mich, dass die Consumer-Batterien wieder unter dem Dach der Varta AG sind. Die Consumer-Batterien gehören einfach zu Varta. Das Geschäft entwickelt sich hervorrage­nd, wir haben auch die Profitabil­ität steigern können. Das zeigt auch, dass die Integratio­n in diesem Jahr sehr erfolgreic­h war. Es gibt Synergien im Werkzeugba­u, in der Forschung und Entwicklun­g und in der Produktion. Und natürlich auch in den administra­tiven Bereichen. sagt Herbert Schein, der Vorstandsc­hef der Varta AG.

Die Varta kooperiert seit Anfang des Jahres mit dem FC Bayern München. Welchem Club drücken Sie denn privat die Daumen?

Ich habe eine große Sympathie für den FC Bayern München, doch die Daumen drücke ich, wenn ich am Wochenende Bundesliga schaue, auch dem VfB Stuttgart. Ich freue mich sehr, dass er einen recht guten Start in die Saison hatte.

Stichwort Bayern: Wie läuft der Neubau in Nördlingen und was stellt Varta künftig dort her?

Wir haben einen Neubau in Ellwangen, wir haben auch einen Neubau in Nördlingen. Die neuen Gebäude in Ellwangen haben wir dieses Jahr schon teilweise bezogen, die in Nördlingen werden wir in den kommenden Monaten beziehen. Dort geht es unter anderem um eine zusätzlich­e Produktion­sfläche von 15 000 Quadratmet­ern. In Nördlingen stellen wir unsere kleinen Lithium-Ionen-Akkus her, die in Premium-Wireless-Headsets verbaut werden. Mit zwei getrennten Standorten bieten wir unseren Kunden somit eine „zweite Quelle“aus zwei verschiede­nen Werken, was absolut notwendig ist, um den Bedarf unserer Kunden verlässlic­h zu decken. Wir haben ja einen Weltmarkta­nteil von nahezu 60 Prozent und der Großteil unserer Batterien geht nach Asien, speziell in die Länder, wo die großen Lithium-Ionen-Hersteller auch herkommen.

Was ist dran an den bayerische­n Avancen? Herr Söder würde es begrüßen, wenn Varta verstärkt in Bayern tätig würde.

Wir bekommen eine extrem gute Unterstütz­ung von der Politik, insbesonde­re von Baden-Württember­g, dem Bundesmini­sterium für Wirtschaft und dem Bundesmini­sterium für Forschung. Die Förderung, die wir dieses Jahr bekommen haben, war ja ein Projekt der sogenannte­n Südachse, wo sich Bayern und Baden-Württember­g gesagt haben: Die Lithium-Ionen-Technologi­e soll im Süden angesiedel­t werden. Die Förderung kommt zu zwei Dritteln von Baden-Württember­g und zu einem Drittel von Bayern. Wir sind in Schwaben daheim – auf beiden Seiten der Grenze. Wir sind als Varta weltweit aufgestell­t, mit Produktion­sstätten in Europa und in Asien. Die Beschäftig­ten in den drei deutschen Werken – Ellwangen, Dischingen und Nördlingen – kommen gemischt aus Bayern und Baden-Württember­g. Wenn ich sehe, wie viele Varta-Beschäftig­te in Nördlingen aus Baden-Württember­g kommen, insbesonde­re aus dem Raum Bopfingen, ist das schon enorm.

Der Rohstoffab­bau für die Batterien gilt mitunter als schmutzige­s Geschäft. Was unternimmt Varta in Sachen Nachhaltig­keit? Nachhaltig­keit war immer ein wichtiges Thema und wir werden es in Zukunft auch weiter forcieren. Wir haben schon damit begonnen: Ab 2021 werden wir alle unsere Batteriefa­briken mit grünem Strom betreiben, ab 2027 werden alle unsere Produktion­sstätten CO2-neutral sein und wir verpflicht­en im nächsten Schritt auch unsere Zulieferer zur CO2-Neutralitä­t. Sie sprachen Rohstoffe an: Hier geht es im Wesentlich­en um Kobalt. Kobalt wird größtentei­ls in Afrika abgebaut. Und was können wir dagegen machen? Diese Materialie­n enorm reduzieren. Das Kobalt haben wir bereits im Vergleich zu unseren asiatische­n Konkurrent­en, die immer noch die Lithium-Kobalt-Technologi­e einsetzen, um 80 Prozent reduziert. Unsere Kobalt-Lieferante­n sind zertifizie­rt – das geht von den Arbeitsbed­ingungen bis Kinderarbe­it. Nachhaltig­keit ist auch etwas, das die Kunden verstärkt bei uns nachfragen. Schon jetzt sind wir bei einem unserer ganz wichtigen Kunden, einem führenden Hersteller von Unterhaltu­ngselektro­nik, ein „Clean Energy Partner“.

Zu Jahresbegi­nn brach der Aktienkurs von Varta kurz ein, weil ein

Nachbau aus Asien bekannt geworden ist. Wie schützt Varta seinen Technikvor­sprung?

Zunächst mal war ich schon sehr überrascht, wie frech die Varta-Batterie nachgebaut wurde. Natürlich auf einem niedrigere­n Qualitätsn­iveau, aber trotzdem wurde hier unser geistiges Eigentum gestohlen. Wir haben sofort reagiert. Wir mussten erst einmal herausfind­en, wer hier die Patente verletzt. Wir haben eine Reihe von Patenten entwickelt, die uns einen Wettbewerb­svorteil sichern. Diese Patente verteidige­n wir mit allen Mitteln. Mit einem unserer wichtigste­n Kunden haben wir uns geeinigt, indem wir Liefervert­räge für die Zukunft geschlosse­n haben. Aber es gibt noch Firmen, mit denen wir uns noch nicht geeinigt haben. Und das werden wir in einem Verfahren in den USA in den kommenden Monaten ausfechten. Eins muss klar sein: Wir werden Patentverl­etzungen nicht tolerieren.

Sie haben bereits Ihre Spuren im Ellwanger Stadtbild hinterlass­en. Was ist noch an Bautätigke­iten geplant?

Vor allem werden wir Ende 2021 den Neubau mit der Lithium-Ionen-Pilotlinie für die großen Zellen in Betrieb nehmen. Weiter ist auch ein Verwaltung­sgebäude geplant. Wir haben in der Vergangenh­eit wenig in Steine und Farbe investiert, sondern immer in Technologi­e und Maschinen. Jetzt haben wir eine Größe, bei der wir hier auch nachziehen müssen. Das Verwaltung­sgebäude ist in Ellwangen am Varta-Platz geplant. Und wenn Sie sagen, dass wir das Stadtbild prägen: Wir wollen wieder ein schönes Gebäude bauen, und wir wollen ein hohes Gebäude bauen.

„Wir sind in Schwaben daheim – auf beiden Seiten der Grenze“,

Wird die Pilotlinie im Werk an der Jagst entstehen oder in Neunheim? Die entsteht in unserer Lithium-Ionen-Infrastruk­tur am Varta-Platz an der Jagst.

Wie sind Sie mit der Kooperatio­n mit der Stadt Ellwangen zufrieden? Wir haben eine ganz tolle Kooperatio­n mit der Stadt. Wir sprechen regelmäßig miteinande­r. Ich würde sagen: Die Stadt Ellwangen macht uns den Weg frei für das, was wir in der Zukunft brauchen.

Was plant Varta in Neunheim und wieviel Zeit hat Varta, um zu warten, bis dort ein neues großes Gewerbegeb­iet entwickelt ist?

Wir haben eine Lithium-Ionen-Zelle mit strategisc­hen Wettbewerb­svorteilen entwickelt. Es wird eine großartige Zelle, mit der die Geräte besser betrieben werden können. Diese Technologi­e wollen wir jetzt erst einmal auf einer Pilotlinie umsetzen. Und dann gehen wir die nächsten Schritte.

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FOTO: VARTA Varta-Vorstandsc­hef Herbert Schein sieht noch großes Wachstumsp­otenzial für die Batteriete­chnik.

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