Sie reden vom Gleichen
Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher bevorzugt leise Töne – Bei Karl Geiger, Markus Eisenbichler und Kollegen findet er die richtigen Worte
Vor Planica war’s, vor der Skiflug-Weltmeisterschaft: Stefan Horngacher sollte sich zu den Chancen seiner, der deutschen Skispringer gegen die auf Größtschanzen mutmaßlich übermächtigen Norweger äußern. „Prinzipiell“, sagte Stefan Horngacher, „ist immer jeder zu schlagen.“Zwei knappe Sätze noch über Norges Qualitäten, dann folgte ein „aber“, das viel verrät über den 51-jährigen Wahlschwarzwälder – darüber auch, wie er seine Arbeit als Bundestrainer versteht: „Aber für mich ist entscheidend, dass ich meine Leute auf Linie bring’ beim Skifliegen, das ist, glaub’ ich, schwer genug. Dass man da, bei dieser großen Herausforderung, den richtigen Weg findet zwischen ‚Wo kann man noch mal bissl was sagen?‘, ,Wo kann man bissl mehr Gas geben?‘, ,Wo muss man bissl herausnehmen?‘. Das ist die Aufgabe für uns als Trainer. Ich schau’ nicht links und rechts, ich schau’ wirklich nur auf unsere Leute und versuch’, die – so gut ich’s weiß, so gut wir es wissen – zu coachen.“
Nach elf Wintern Werner Schuster hat Stefan Horngacher seinen Landsmann im April 2019 beim Deutschen Skiverband beerbt. Hier der Kleinwalsertaler, ein wortgewaltiger Weitendeuter, dort der Tiroler mit seiner karg-nüchternen Sachlichkeit. „Spröde“nannten sie manche erst, mittlerweile vermuten auch sie völliges Fokussiert-Sein allein auf das Wesentliche. Stefan Horngacher ist kein PRAgent, erst recht kein Lautsprecher. Sein Part ist das Gut-springen-Lassen.
Da schenken sich sein – extrem erfolgreicher – Vorgänger und er wenig. Eine Saison und zehn Weltcup-Wettbewerbe ist Stefan Horngacher jetzt im Amt; zehn erste, 13 zweite und drei dritte Plätze ersprangen seine Athleten bislang. Dazu kommt ein kompletter Medaillensatz bei besagter WM in Planica (Gold: Karl Geiger; Silber: Team; Bronze: Markus Eisenbichler), kommen Karl Geigers zweiter Gesamtweltcup-Rang und der Sieg in der Nationenwertung jeweils 2019/20. Resultate, die für sich sprechen. Und für Stefan Horngachers Expertise.
Die muss nicht verwundern bei einem, der feinste Voraussetzungen mitbrachte, als er 2002 auf den Trainerturm wechselte: Fünf WM-Teilnahmen (mit den Team-Titeln 1991 und 2001) zeugen – wie Olympia in Lillehammer, Nagano (jeweils Mannschaftsbronze) und Salt Lake City (Fünfter von der Großschanze) – davon, dass auch Stefan Horngacher meistens gut sprang. 228-mal übrigens im Weltcup (zwei Siege). Nur konsequent also, dass Österreichs Verband ihn in die Nachwuchsförderung einband. Polens B-Kader war nächste Station, 2006 übernahm Stefan Horngacher auf Werben des Deutschen Skiverbandes
den Stützpunkt Hinterzarten, half fortan auch Martin Schmitt, dem viermaligen Weltmeister, aus manch zäher Schwächephase.
2011 bis 2016 arbeitete er als CoTrainer direkt mit Werner Schuster (und dem Gros seiner aktuellen Mannschaft) zusammen. Das Lob aus Schuster’schem Mund – „Der ,Steff‘ kann alles: Material, Technik, Menschenführung“– verhallte nicht ungehört. Adam Malysz, einst Skisprungidol, mittlerweile Sportdirektor, holte den Mann aus Wörgl mit Wohnsitz Titisee-Neustadt als Nationaltrainer nach Polen zurück. Drei Jahre währte das Miteinander. Erfolgsjahre: Kamil Stochs Anfahrtshocke korrigierte Stefan Horngacher entscheidend, seinen oft bremsenden Ehrgeiz kanalisierte er so, dass er antrieb. Die Folge: Medaillen, Titel, VierschanzentourneeTriumphe ... und dieser Stoch-Satz zum Abschied: „Er ist wahrscheinlich der beste Trainer für diesen Sport, den man sich vorstellen kann.“
Den Satz zum Willkommen in Deutschland sprach, nach einem halben Jahr gemeinsamer Saisonvorbereitung, im Spätherbst 2019 Karl Geiger. Man habe, sagte er, „am Anfang viel geredet – aber wir reden vom Gleichen“. Im Fall des absprungkräftigen Oberstdorfers war die möglichst exakte Anfahrtsposition Thema, der Instinkt für den Druckpunkt auch. Detailtüftelei und Aufwand scheuten weder Sportler noch Bundestrainer. Erntezeit? Ist spätestens jetzt. Bei Markus Eisenbichler ebenfalls. Für den Siegsdorfer – kein Stoiker wie Karl Geiger – nicht unwichtig: „Er lässt mich leben.“Doch auch „Gefühlsspringer“(Eisenbichler über Eisenbichler) brauchen Leitplanken. Die setzen Stefan Horngacher und sein Assistenten-Quartett Jens Deimel, Bernhard Metzler, Christian Heim und Andreas Wank offenbar punktgenau. Für jeden der Ihren. Markus Eisenbichler: „Ich hab’ mit den Trainern gesprochen und weiß, was ich für die Tournee zu tun habe.“
Da gibt es eine klare Idee vom Sprung, gibt es einen Bundestrainer, der versucht, „straight zu bleiben im Training und die Dinge, die ich weiß, einzusetzen“(wenige sind das nicht). Der sich doch stets hinterfragt („ob alles richtig ist“), die leisen Töne bevorzugt. Jetzt, vor Oberstdorf, hat genau dieser Stefan Horngacher gesagt: „Warum soll’s heuer nicht mal ein ausgezeichneter, außergewöhnlicher deutscher Skispringer sein, der über den anderen steht? Das ist unser Ziel. Und wir haben zwei Leute, die das definitiv können.“
Ja, warum eigentlich nicht? (lin)