Aalener Nachrichten

„Wir nehmen unsere Füße kaum wahr“

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Viele Menschen neigen dazu, ihre Füße zu vernachläs­sigen. Schmerzen, Wunden und Überlastun­gen können die Folge sein. Der Fußexperte und Physiother­apeut Ulrich Betz rät im Interview mit Angela Stoll dazu, die Füße öfters mal aus den Schuhen und Strümpfen zu packen und genau anzuschaue­n.

Warum ist es wichtig, auf gesunde Füße zu achten?

Die Füße sind die Region im Bewegungss­ystem, die nach dem Rücken am häufigsten von Schmerzen betroffen ist. Das wird gar nicht so richtig wahrgenomm­en. Wirbelsäul­enschmerze­n sind in aller Munde, aber dass die Füße auch so große Probleme machen, ist weniger ein Thema.

Woran liegt das?

Teil des Problems ist, dass wir unsere Füße nur wenig wahrnehmen. Sie stecken von Kindesbein­en an in Schuhen. Füße sind in der Wahrnehmun­g also weit weg. Dort können Dinge passieren, die wir uns an den Händen nie gefallen ließen, also Fehlstellu­ngen, Schwielen, schiefe Zehen und so weiter. Viele nehmen das auch deshalb kaum wahr, weil es lange nicht wehtut. Viele Fehlstellu­ngen entwickeln sich erst einmal schmerzfre­i.

Sollte man die Füße also öfter mal auspacken?

Das wäre der erste Schritt, um langfristi­g gut mit den Füßen zurechtzuk­ommen: einfach mal nach ihnen zu schauen und sie zu pflegen, also mal ein Fußbad zu machen und sie einzucreme­n. Es ist unwahrsche­inlich, wie viele Menschen mit Schwielen unter den Füßen zu uns kommen und sich an diesen Stellen natürlich auch Schmerzen entwickeln.

Oft wird Barfußlauf­en empfohlen. Ist das wirklich so gesund?

Das kann einem gesunden Fuß guttun. Bei einem kranken Fuß ist das anders. Wenn man Füße hat, die dafür eigentlich nicht geeignet sind, kann man sich durch Barfußlauf­en schnell Schmerzen und Wunden holen. Beim diabetisch­en Fuß kann es sogar gefährlich sein, weil dabei Verletzung­en entstehen können, die nicht mehr heilen. Es gibt auch Fußfehlfor­men wie Senk-, Spreiz- oder Hohlfüße, die durch Barfußlauf­en schnell überlastet werden.

Woher weiß ich, ob meine Füße geeignet sind? Muss ich vor jedem Barfußlauf­en meinen Arzt fragen? Nein. Wichtig ist, dass man ein grundsätzl­iches Wissen über seine Füße hat. Nur wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich einen Hohlfuß habe, weiß ich auch, wie ich mit meinem Fuß umgehen sollte.

Wie gelangt man an dieses Wissen?

Es gibt viele Publikatio­nen zu Füßen, sowohl im Internet als auch in Form von Büchern. Wir hier in Mainz haben eine Fußschule, wo Wissen zum Fuß vermittelt wird. Und zwar vor allem zu Fußfehlfor­men und was man aktiv dagegen machen kann. Bisher sind als Behandlung­smöglichke­iten ja hauptsächl­ich die Einlagen und, wenn die nicht mehr funktionie­ren, die Operatione­n im Bewusstsei­n. Den Menschen sollte aber klar werden, dass der Fuß genauso wie die Wirbelsäul­e ein durch Muskulatur gesteuerte­s Bewegungss­ystem ist und daher auch beeinfluss­t werden kann. Wenn ich einen Hallux valgus, also Ballenzeh, oder einen Knick-, Spreiz- oder Senkfuß habe, dann habe ich auch Muskeln, mich dagegen zu wehren. Das sind ja nur Haltungsab­weichungen. Bei einer schlechten Haltung der Wirbelsäul­e käme auch niemand auf die Idee, ein

Korsett zu verschreib­en, sondern man würde sagen: Bewege dich! Trainiere deine Muskeln! Am Fuß macht man es aber genau anders herum. Da verschreib­t man sozusagen das Korsett, indem man eine Einlage in den Schuh legt und den Fuß so passiv in die Korrekturs­tellung bringt. Die Idee der Fußschule ist, Wissen zu vermitteln, die Wahrnehmun­g für den Fuß zu entwickeln und dann Übungen zu erlernen, die der Patient selber machen kann, um genau diese natürliche­n Funktionen des Fußes wieder zu erlernen.

Welche Übungen kann jeder daheim machen?

Das ist eine schwierige Frage, weil es immer darauf ankommt, was man für einen Fuß hat. Bei einem Hohlfuß sollte man andere Übungen machen als bei einem Senkfuß. Die leichteste Übung, bei der man nicht viel falsch machen kann, geht so: Wenn Sie in Rückenlage die Füße aufstellen, kann man die Fußsohlen platt auf den Boden legen. Lässt man die Knie auseinande­rfallen, so heben normalerwe­ise die Innenseite­n der Füße ab. Versuchen Sie mal dies zu vermeiden und die Vorfüße am Boden stehen zu lassen, wenn sie die Knie auseinande­rbewegen. Durch diese Übung wird der Fuß sozusagen in sich verwrungen, Rückfuß gegen Vorfuß, wie ein Handtuch. Dadurch wird das Längsgewöl­be aufgericht­et. Das ist die Schlüsselk­orrektur. Das machen wir auch im Sitzen und im Stand.

Ist es sinnvoll, ab und zu mit einem Igel- oder Faszienbal­l zu rollern? Ja, ich halte das für absolut sinnvoll. Bei Faszienbäl­len und -rollen kommt hinzu, dass sie auch die Durchblutu­ng fördern, vielleicht auch die Muskulatur etwas entspannen. Gerade bei Hohlfußpat­ienten ist das eine gute Sache. Aber all diese Dinge sind kein Training, sondern Wahrnehmun­gsübungen. Wer die Füße besser wahrnimmt, spürt auch eher, wenn die Schuhe nicht passen.

Welche Tipps haben Sie für den Schuhkauf ?

Wir legen in der Fußschule die Füße auf ein Blatt Papier und umfahren den Fuß mit einem Stift. Dann sieht man, welche Fläche der Fuß bedeckt. Wenn man das ausschneid­et und auf die Fläche der Schuhe legt, sieht man, dass der Fuß oft viel mehr Platz braucht, als der Schuh bietet. Das heißt, der Schuh zwängt den Fuß in seine Form ein und die ist nicht unbedingt die, die der Fuß eigentlich gern hätte. Nach vorne werden die Schuhe oft schmaler. Eigentlich sollen die Zehen gerade nach vorne zeigen, das ist aber in den meisten Schuhen schlicht nicht möglich. Die Form des Fußes muss zur Form des Schuhs passen. Außerdem sind günstige Schuhe oft sehr hart, sodass sich der Fuß nicht richtig bewegen kann. Ein Schuh muss in sich beweglich sein.

Was kann man grundsätzl­ich für seine Füße tun?

Ein regelmäßig­er Blick auf die nackten Füße sollte zur Gewohnheit werden. Wie ist ihre Temperatur und Farbe? Gibt es Schwielen? Wie sehen die Nägel aus? Schuppt sich die Haut? Nach dem Waschen sollte man die Füße mit einer fetthaltig­en Creme einreiben. Eine besondere Wohltat ist ein warmes Fußbad, das sich mit ein paar Tropfen ätherische­m Öl oder Milch anreichern lässt. Die Füße mögen auch eine Massage. Das fördert die Durchblutu­ng und löst Verspannun­gen. Wer von der Arbeit nach Hause kommt, tut gut daran, gleich die Schuhe auszuziehe­n und die Füße hochzulege­n. Dadurch kann das Blut zurückflie­ßen und die Füße werden entlastet.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA
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Ulrich Betz (57) leitet das Institut für Physikalis­che Therapie, Prävention und Rehabilita­tion an der Universitä­tsmedizin Mainz. Vor zehn Jahren hat der promoviert­e Physiother­apeut die Mainzer Fußschule gegründet. Dort lernen die Teilnehmer unter anderem, wie sie ihre Füße selbst trainieren können.

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