Lieber den Blick nach vorne richten als zurückschauen
Jahresrückblicke gehören in diesen Tagen zum journalistischen Geschäft, auch was das Schreiben über Kulinarisches und Gastronomisches angeht. Und es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Bilanz mal durchwachsen ausfällt. Doch so schmerzhaft wie heuer war der Blick zurück noch nie.
Dabei gibt es schon seit Jahrzehnten Tendenzen, die es der Gastronomie schwer machen, ihren Platz in der Zukunft zu wahren oder zu finden. Stichworte sind das Wirtshaussterben oder der Personalmangel. Aber auch die Spaltung der Küchenlandschaft in Häuser, die nach der Spitze streben und Betriebe, die glauben, ihre kulinarische Daseinsberechtigung durch das Zusammenrühren von Fertig- und Halbfertigprodukten zu haben.
Der solide Mittelbau ehrlicher Handwerksküche ist inzwischen immer stärker auf dem Rückzug. Das kulinarische Rückgrat wird schwächer.
Und dann Corona: Eine Seuche, die in der Branche wie ein Brandbeschleuniger all der beschriebenen Probleme wirkt. Die mutige Unternehmer, die trotz der durchwachsenen Aussichten fleißig investiert haben, jetzt darum ringen lässt, ihre Kredite bedienen zu können. Sie bekommen nun von vielen Banken keinen Spielraum mehr, weil betriebswirtschaftliche Zahlen aus der Vergangenheit heute kaum mehr etwas wert sind. Zumal die Zukunft unsicher bleibt. Die Schwierigkeiten bei der Auszahlung von Nothilfen kommen noch dazu – es ist selbst jetzt im Januar 2021 noch so, dass manche Gastgeber auf die finanziellen Novemberhilfen warten. Es gibt aber auch einen Aderlass unter den Lokalen, die zu den schwarzen Schafen gehören. Die in den Büchern Zahlen stehen haben, die viel kleiner sind als in Realität. Geld also, das an Fiskus und Sozialkassen vorbeigelenkt wird. Wie gesagt: schwarze Schafe, nicht die Regel. Diese bringt jetzt ihre eigene Unehrlichkeit zu Fall, weil Hilfen nur auf Basis tatsächlich in der Bilanz stehender Zahlen beantragt werden können. Sehr bitter für Mitarbeiter, die in den Büchern als 450-Euro-Kraft geführt werden und den Rest bar auf die Hand bekommen. Ihr Kurzarbeitergeld bemisst sich ebenfalls nur an dem, was der Chef offiziell in der Buchhaltung stehen hat. Für einige darunter bedeutet das nun Hartz IV.
Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung. Viele Gastronomen berichten von der überwältigenden Solidarität, die sie durch ihre Gäste erfahren. Da werden Aufenthalte für den kommenden Sommer gebucht und inklusive der Mahlzeiten jetzt lange im Voraus bezahlt, damit der Gastgeber flüssig bleibt. Da gibt es Verpächter, die die Pacht freiwillig reduzieren und stunden. Da dürfen sich Küchenchefs darüber freuen, dass ihr ausgefallenes Weihnachtsgeschäft durch den Verkauf von Gutscheinen teilweise aufgefangen wird. Und manche berichten davon, dass sie an bestimmten Tagen mit ihrem aus der Not geborenen Liefer- und Abholangebot mehr Essen verkaufen als zu normalen Zeiten – was sich auf Dauer aber wirtschaftlich nicht trägt, weil der Konsum von Getränken im Lokal als entscheidender Faktor fehlt.
Und was bleibt nun als Ausblick für 2021? Die Hoffnung. Dass die aus den Fugen geratene Welt wieder Halt findet. Und damit die unverzichtbare Kultur des Gastgewerbes. Als echter Begegnungsort für echte Menschen – der Rückzug ins Virtuelle jedenfalls ist keine gute Alternative für unsere Debattenkultur. Hoffentlich hat das schlimme Jahr 2020 uns auch gelehrt, dass es nicht ausreicht, Gastronomie nur prinzipiell gut zu finden, sondern auch regelmäßig hinzugehen. Denn dort findet das echte Sozialleben statt. Nicht im Internet.