Aalener Nachrichten

Der letzte Patriarch

Heinz Hermann Thiele galt als leidenscha­ftlicher Unternehme­r – Nun ist der Knorr-Bremse-Chef gestorben

- Von Brigitte Scholtes

- Heinz Hermann Thiele galt als einer der großen Unternehme­rpersönlic­hkeiten Deutschlan­ds. Am Dienstag ist er überrasche­nd kurz vor seinem 80. Geburtstag gestorben. Thiele war Mehrheitse­igentümer des Münchner Bremsenher­stellers KnorrBrems­e. Einer größeren Öffentlich­keit wurde er durch den Einstieg bei der Deutschen Lufthansa im vergangene­n Frühjahr bekannt.

Bei Knorr-Bremse, dem damals noch mittelstän­dischen Hersteller von Bremsen für schwere Nutzfahrze­uge und Eisenbahne­n, hatte der gebürtige Mainzer nach einem Jurastudiu­m 1969 als Sachbearbe­iter in der Patentabte­ilung angefangen. Zehn Jahre später wurde er Vertriebsc­hef, 1985 übernahm er das Unternehme­n, als das in einer tiefen Krise steckte. Er habe etwas Großes schaffen wollen, erklärte er einmal in einem Gespräch mit der Alfred-Herrhausen­Gesellscha­ft der Deutschen Bank. Er habe den Erfolg gesucht, ums Geld sei es ihm nicht gegangen. Das besaß er zu der Zeit auch kaum, nach dem Krieg sei er in „äußerst bescheiden­en finanziell­en Verhältnis­sen“aufgewachs­en, heißt es im Nachruf des Unternehme­ns. Die Übernahme von Knorr-Bremse finanziert­e Thiele auf Kredit, doch das Risiko rentierte sich.

Denn aus dem kriselnden Mittelstän­dler formte der Jurist mit einem globalen Expansions­kurs einen Weltmarktf­ührer für Bremssyste­me mit zuletzt etwa sieben Milliarden Euro Umsatz und fast 30 000 Beschäftig­ten. Knorr-Bremse sei ein „deutsches Leuchtturm-Unternehme­n“, meint Stefan Schöppner, Analyst der Commerzban­k. Im Juli 2018 brachte der Multimilli­ardär, dessen Vermögen die Nachrichte­nagentur Bloomberg auf etwa 17 Milliarden Dollar schätzt, Knorr-Bremse an die Börse, blieb aber noch Mehrheitsa­ktionär. Er wolle sein Erbe regeln, hieß es damals. Thiele, der „sein ganzes Leben in den Dienst der Firma“gestellt habe, wie es im Nachruf von Knorr-Bremse heißt, übergab 2007 zwar das operative Geschäft an externe Manager. Doch er mischte sich als Aufsichtsr­atschef immer noch stark ein. So gab 2019 Klaus Deller, zur Zeit des Börsengang­s noch Chef, den Vorstandsv­orsitz auf, 2020 musste dann Bernd Eulitz gehen, nachdem Thiele sich nach längerer Pause im vergangene­n Sommer wieder in den Aufsichtsr­at hatte wählen lassen, dem er bis zu seinem Tod angehörte. „Das Management muss sich von dem alten Patriarche­n freischwim­men, auch wenn wir in letzter Zeit viele Management­wechsel gesehen haben“, sagt Analyst Schöppner.

Knorr-Bremse war nicht das einzige Unternehme­n, in dem Thiele mitregiert­e. So kaufte er sich mit einem großen Paket beim Bahntechni­kherstelle­r Vossloh ein. Und auch am Bremsenher­steller Haldex beteiligte er sich 2016 – sehr zum Ärger des Autozulief­erers ZF mit Sitz in Friedrichs­hafen, der die Bieterschl­acht damals verloren hatte. Knorr-Bremse hatte damals mehr geboten als das Unternehme­n vom Bodensee, hatte aber im Gegensatz zu ZF noch nicht die Zusagen der Kartellbeh­örden. ZF warb bei den Aktionären für sich, dass der Deal so schnell abgeschlos­sen werden könne, und hoffte so, dass die Anteilseig­ner sich trotz der etwas niedrigere­n Offerte für das Traditions­unternehme­n aus Friedrichs­hafen entscheide­n.

Immer noch hält das Münchner Unternehme­n knapp zehn Prozent an dem schwedisch­en Unternehme­n Haldex, das zwischenze­itlich versucht hatte, den Konkurrent­en durch eine Beschwerde bei den EU-Wettbewerb­shütern zum Rückzug zu zwingen. Das Argument: Dass einer der größten Wettbewerb­er zugleich der größte Aktionär sei, behindere

Haldex sowohl am Markt als auch bei Investoren.

In seinen Unternehme­n galt Thiele als strenger, fordernder Chef, der ein hartes Regiment führte, wie Gewerkscha­ften berichten: Für die Mitarbeite­r gilt die 42-Stunden-Woche.

Der breiteren Öffentlich­keit aber ist der Patriarch wohl erst seit dem vergangene­n Frühjahr bekannt, als Thiele den coronabedi­ngten Aktienkurs­verfall der Deutschen Lufthansa nutzte, um sich einzukaufe­n. Fast hätte er den Einstieg des Staats bei der Kranichlin­ie verhindert, schwenkte aber im letzten Moment noch ein. Im Sommer besaß er gut 15 Prozent der Aktien, inzwischen ist der auf 12,42 Prozent gesunken. Damit war Thiele nach dem Staat größter Aktionär. Dieser Anteil bleibt zwar zunächst in der Familie. Doch ob die auch ein unternehme­risches Interesse an der Lufthansa hat, daran hat Analyst Schöppner Zweifel, denn das Engagement bei der Fluggesell­schaft sei eher das Privatverg­nügen von Thiele gewesen, glaubt er. Perspektiv­isch müsse man vielleicht mit einem Verkauf der Anteile rechnen.

Dass die Erben sich in der Familienho­lding genauso engagieren, ist weniger wahrschein­lich. Denn Thieles Tochter Julia Thiele-Schürhoff zeigt bisher keine großen unternehme­rischen Ambitionen. Sie ist zwar Mitglied im Aufsichtsr­at, engagiert sich aber ansonsten eher sozial-karitativ. Sein Sohn Henrik hat 2017 die Familienho­lding verlassen, nachdem er schon zwei Jahre zuvor im Streit mit dem Vater aus der Geschäftsf­ührung von Knorr-Bremse ausgeschie­den war.

 ?? FOTO: KNORR-BREMSE AG ?? Heinz Hermann Thiele, Mehrheitsa­ktionär und Ehrenvorsi­tzender des Aufsichtsr­ats der Knorr-Bremse ist im Alter von 79 Jahren gestorben, wie sein Unternehme­n am Dienstagab­end mitteilte. Bei dem Bremsenher­steller stieg er vom Sachbearbe­iter bis zum Konzernche­f auf.
FOTO: KNORR-BREMSE AG Heinz Hermann Thiele, Mehrheitsa­ktionär und Ehrenvorsi­tzender des Aufsichtsr­ats der Knorr-Bremse ist im Alter von 79 Jahren gestorben, wie sein Unternehme­n am Dienstagab­end mitteilte. Bei dem Bremsenher­steller stieg er vom Sachbearbe­iter bis zum Konzernche­f auf.

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