Aalener Nachrichten

„Ganz Europa schaut auf dieses Spiel“

Weshalb Erfolgstra­iner Ottmar Hitzfeld im Klassiker Bayern gegen Dortmund auf die Münchner setzt

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- Ein Titelduell ist dieser deutsche Clásico nicht, die Brisanz trotzdem riesengroß. Auf dem Weg zur nächsten Meistersch­aft will Tabellenfü­hrer FC Bayern gerade gegen Borussia Dortmund als größten Rivalen des vergangene­n Jahrzehnts ein Zeichen der Stärke setzen. Doch auch für den BVB ist das Duell in der Allianz Arena (Samstag, 18.30 Uhr/ Sky) von enormer Bedeutung, schließlic­h wollen die Borussen eine verkorkste Saison retten und doch noch einen Champions-League-Platz ergattern. Kein anderer Trainer hat die erfolgreic­he Vergangenh­eit beider Clubs so geprägt wie Ottmar Hitzfeld. Im Interview mit Patrick Strasser spricht der ehemalige Erfolgstra­iner über die Bedeutung des ewigen Duells, bewertet die Trainerroc­hade in Dortmund und kommentier­t eine mögliche Rückkehr von Hummels, Müller und Boateng in die Nationalma­nnschaft.

Herr Hitzfeld, wie wichtig war das 1:0 der Dortmunder Borussia im DFB-Pokal-Viertelfin­ale in Mönchengla­dbach mit Blick auf den deutschen Clásico am Samstag? Wie viel Auftrieb gibt das den Dortmunder­n?

Dieser Sieg in Gladbach gegen eine Spitzenman­nschaft ist ein Motivation­sschub, setzt Kräfte frei. Dortmund hat Substanz in der Mannschaft, aber viele relativ junge Spieler. Da ist es wichtig, Erfolgserl­ebnisse zu haben. Denn in der Regel können junge Spieler Rückschläg­e nicht so gut wegstecken wie die Erfahrenen. Und das Duell mit den Bayern hat einen enormen Wert, es geht ums Prestige. Ganz Deutschlan­d, ganz Europa schaut auf dieses Spiel.

Die Dortmunder wollen zeigen, dass wieder mit ihnen zu rechnen ist. Dabei ist RB Leipzig doch momentan die zweite Kraft im deutschen Fußball, oder?

Zurzeit hat Leipzig den besseren Lauf, sie haben sehr gut eingekauft. Trainer Julian Nagelsmann macht einen guten Job, er kann die Mannschaft pushen. Außerdem haben sie weniger zu verlieren als Dortmund. Wenn Leipzig nicht oben mitspielt, dann kümmert das die Fans dort – aber interessie­rt nicht ganz Deutschlan­d. Der BVB hat wie Bayern eine riesige Fangemeind­e.

Könnten die Schwarz-Gelben mit einem Erfolg in München sogar noch in den Titelkampf eingreifen?

Nein, das glaube ich nicht, aber Dortmund könnte in München Boden gutmachen und die Fans etwas versöhnen, weil die Saison doch enttäusche­nd verlaufen ist. Für den BVB steht viel auf dem Spiel. Mit einem Schlag könnte man wieder Kraft schöpfen für die restliche Saison und doch noch einen Champions-League-Platz erreichen. Das ist ja finanziell enorm wichtig. Ich glaube aber nicht, dass Dortmund gewinnen wird. Dafür hat Bayern zu viel Substanz.

In den letzten Jahren gab es für den BVB in der Allianz Arena immer eine kräftige Abreibung – 4:0, 5:0, 6:0 hießen die letzten Ergebnisse.

Weil es auch für die Bayern-Profis spezielle Spiele sind. Jeder ist fokussiert, die Aufmerksam­keit gewaltig. Und dann ist Bayern eben einfach Bayern.

Was denken Sie über den Wechsel von Gladbachs Trainer Marco Rose zum BVB?

Die Verantwort­lichen haben beschlosse­n, dass sie einen Trainer brauchen, der schon eine gewisse Erfahrung hat, und Rose war auf dem Markt. Den Transfer an sich verstehe ich aus Dortmunder Sicht. Rose ist eine Trainerper­sönlichkei­t, ein guter Typ. Ich halte ihn wegen seiner Fachkompet­enz, seines Auftretens und seiner Spielphilo­sophie für eine gute Lösung. Ich denke auch, dass er die Saison in Gladbach im Guten beenden kann, das Umfeld ist ruhig. Sportdirek­tor Max Eberl und Vizepräsid­ent Rainer Bonhof haben viel Erfahrung, schützen ihn.

Der Wechsel kam nur zustande dank der Ausstiegsk­lausel in Roses Vertrag.

Ich finde diese Klauseln nicht gut. Ich selbst hatte nie welche. Meine Philosophi­e war immer: Wenn man einen Vertrag unterschre­ibt, dann sollte man dazu stehen. Ein Trainer ist ja auch ein Vorbild. Falls man ein Jahr vor Ende gehen möchte, kann man das ja besprechen. Bei Spielern möchte man das ja auch nicht. Wenn schon, dann verbunden mit einer sehr hohen Ablösesumm­e.

Interimstr­ainer Edin Terzic, zuvor Assistent von Lucien Favre, bekommt von den Spielern um Mats Hummels viel Lob. Denken Sie, dass Terzic wirklich klaglos als Co-Trainer von Rose ins zweite Glied rücken wird?

Die Verantwort­lichen werden ihm in Aussicht gestellt haben, dass er langfristi­g bleiben kann, weil er für den Verein wichtig ist. Terzic wird auch in der Gehaltshie­rarchie aufsteigen.

Und wenn Angebote anderer Vereine kommen, die ihn mit einem Cheftraine­r-Posten locken?

Dann muss er überlegen: Wohin führt mein Weg? Er ist noch relativ jung, angenehm im Auftreten, hat ein gutes, enges Verhältnis mit der Mannschaft. Man darf aber nicht zu eng verbündet sein. Wenn man CoTrainer ist, hat man einen anderen Bezug, ist auch Freund der Spieler, hat immer ein offenes Tor für sie. Der Cheftraine­r trifft die Entscheidu­ngen, stößt die Spieler vor den Kopf, die nicht spielen. Der Assistent beruhigt sie dann wieder (lacht).

Damit sind wir bei Hansi Flick und dessen Aufstieg vom Co-Trainer zum Chefcoach, der sechs Titel gewann. Steigen nun der Druck und die Erwartunge­n?

Hansi Flick hat Sensatione­lles geleistet, das Triple war unglaublic­h. Man hat ja nicht glücklich gewonnen, sondern überlegen. Das zu bestätigen und das Level hochzuhalt­en, ist schwierig für einen Trainer, weil die Spieler so viel erreicht haben und nun etwas zufriedene­r sind. Also ist es normal, dass es Rückschläg­e gibt wie etwa das Aus im DFB-Pokal in Kiel. Solche Sensatione­n habe ich auch durchmache­n müssen.

Haben Sie sich gefreut, dass sich Jamal Musiala, der am Freitag seinen ersten Profivertr­ag gleich bis 2026 beim FC Bayern unterschri­eb, für die deutsche und gegen die englische Nationalma­nnschaft entschiede­n hat?

Natürlich. Er ist ein Gewinn für den DFB, ein Verspreche­n für die Zukunft. Ich muss der sportliche­n Leitung um Hasan Salihamidz­ic ein Riesenkomp­liment machen für die guten Transfers zuletzt – nicht nur Musiala, auch Alphonso Davies gehört dazu. Das sind mental und physisch starke, technisch sehr gute, schnelle Spieler. Man muss diese Talente erst mal entdecken, Brazzo hat da ein gutes Auge. Flick ist dann der Architekt, der die Mannschaft zusammenst­ellt. Musiala hat in seiner Spielweise eine gewisse Ähnlichkei­t mit Mehmet Scholl, der auch ein Filigrante­chniker war.

Wie bewerten Sie die Aussagen von Bundestrai­ner Joachim Löw, der nun die Tür wieder aufgemacht hat für eine Rückkehr von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng, die er im Zuge des Umbruchs im März 2019 aussortier­t hatte?

Müller ist wieder total über sich hinausgewa­chsen, hat Weltklasse gespielt, entscheide­nde Pässe gegeben und Tore geschossen – so wie man ihn kannte. Er hatte ja einmal ein Leistungst­ief. Löw hat diese Entscheidu­ng vielleicht zu früh getroffen. Zu dem Zeitpunkt hatte Müller eben nicht so überragend gespielt, Hummels und Boateng auch nicht.

Glauben Sie, dass Löw die Rolle rückwärts macht?

Es geht in meinen Augen auch darum, was Löw vorhat: Will er nur noch diese EM coachen oder will er danach weiterarbe­iten? Dann müsste er zu seiner Entscheidu­ng des angefangen­en Umbruchs stehen. Wenn er sagt, ich will jetzt das Beste bei diesem Turnier heraushole­n und dann aufhören, dann fällt er womöglich eine andere Entscheidu­ng.

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