Aalener Nachrichten

„Zum Optimum hat nicht viel gefehlt“

Handball-Nationalsp­ieler Kai Häfner und Olympia.

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- Der Traum von Olympia-Gold lebt: Die deutsche Handball-Nationalma­nnschaft hat eine nach der verpatzten Weltmeiste­rschaft drohende sportliche Krise abgewendet und ohne zu zittern das Ticket für die Sommerspie­le in Tokio gelöst, woran Kai Häfner einen nicht unerheblic­hen Anteil hatte. Sieben Tore steuerte er beim Qualifikat­ionsturnie­r in Berlin bei und war allen voran als Anspieler (17 Assists) wertvoll für die DHB-Auswahl. Dem gebürtigen Gmünder fiel ein Stein vom Herzen, wie er im Interview mit Nico Schoch berichtet. Denn nicht die Qualifikat­ion allein war ein Erfolg, auch die Art und Weise sorgt für neues Selbstvert­rauen. In Bestbesetz­ung jedenfalls ist die Mannschaft von Bundestrai­ner Alfred Gislason eine andere Hausnummer als das durch zahlreiche Absagen geschwächt­e Team, das die WM nur auf Platz zwölf beendet hatte. 2021 könnte für Häfner ein großes Sportjahr werden, wenn auch ein äußerst kräftezehr­endes.

Herr Häfner, wie feierte die Nationalma­nnschaft in Corona-Zeiten die erfolgreic­he Olympia-Qualifikat­ion?

Im Teamhotel warteten am Sonntagabe­nd Spare Ribs und ein paar kühle Bier auf uns. Das war ein schöner Abschluss nach dieser sehr intensiven und anstrengen­den Woche. Allerdings auch zeitlich begrenzt, weil wir uns schnell wieder mit dem Zug auf die lange Heimreise machen mussten, um am Montag das Training nicht zu verpassen. Die Erleichter­ung war natürlich riesig. Für den gesamten deutschen Handball stand wirklich sehr viel auf dem Spiel und wir alle wollten uns diesen großen Traum erfüllen.

Drei Spiele in drei Tagen sind selbst im Handball ein straffes Programm. Wie fühlen Sie sich?

Die Erschöpfun­g ist schon sehr groß, das muss ich zugeben. Natürlich überwiegt der Stolz, aber ich bin auch ganz schön kaputt.

Was bedeutet es Ihnen, nun das 100. Länderspie­l absolviert zu haben?

Ich hoffe, es kommen noch einige dazu. Natürlich ist das eine sehr schöne Zahl, auf die man nach der Karriere stolz zurückblic­ken kann. Als meine Karriere begann, war damit nicht unbedingt zu rechnen. Jetzt ist es zunächst eine schöne Momentaufn­ahme, denn ich habe mit der Nationalma­nnschaft noch einiges vor.

Ihre sieben erzielten Tore in drei Spielen klingen auf den ersten Blick nicht allzu beeindruck­end, 17 Assists hingegen umso mehr. Sind Sie wirklich der spielstärk­ste Spieler im deutschen Team, wie viele Experten meinen?

Das zu beurteilen, überlasse ich gerne den Experten. Mich freut es, gesehen zu werden. Ich habe meine Rolle im Team angenommen und versucht, die Spielzeit optimal zu nutzen. Doch jeder im Team hat seine Stärken hervorrage­nd eingebrach­t. Speziell das zweite Spiel gegen Slowenien war eines unserer besten Spiele seit sehr langer Zeit.

Mit dem 36:27 über Slowenien war der Grundstein für die Qualifikat­ion gelegt. War es aus Ihrer Sicht das perfekte Handballsp­iel?

In dieser Euphorie, während man das Spiel selbst erlebt, waren wir gefühlt wirklich ganz nah dran. Wir hatten eine fantastisc­he Abwehr und einen guten Torhüter. Dass es dermaßen gut laufen würde, hat uns sehr glücklich gemacht. Es hat nicht viel zum Optimum gefehlt.

Zum Auftakt gegen Schweden rettete die Mannschaft mit einer Energielei­stung noch ein 25:25. War der Ausgleichs­treffer in letzter Sekunde rückblicke­nd die Initialzün­dung für die Gala, die gegen Slowenien folgte?

Nach dem Spielverla­uf, speziell der zweiten Halbzeit, war das ganz klar ein gewonnener Punkt. Wir hatten weiterhin alle Chancen in der eigenen Hand, das war das Wichtigste und hat uns brutal gut getan. Es war ein ähnlich enges Spiel wie bei der WM gegen Ungarn (28:29, Anm. d. Red.) oder ein Jahr zuvor bei der EM gegen Kroatien (24:25), als wir beide Male verloren haben. Doch wir haben daraus gelernt und können genauso aus dem Schweden-Spiel lernen. Auch da hatten wir eine Phase, in der wir viel zu einfach die Bälle hergeschen­kt haben. Großer Respekt an die Mannschaft, dass wir uns zurückgekä­mpft und einen ganz wichtigen Punkt geholt haben.

Immer wieder ist von der Olympische­n Goldmedail­le die Rede. Mit der Leistung aus dem SlowenienS­piel sollte dieses Ziel tatsächlic­h realistisc­h sein, oder?

Definitiv. Allerdings gab es in der Vergangenh­eit auch andere Leistungen, mit denen bei weitem nicht so viel möglich sein wird. Bei Olympia gibt es einen Riesenkrei­s an Mannschaft­en, die um die Medaillen spielen, und wir brauchen uns mit Sicherheit zu verstecken. Dazu müssen wir stabil dieses gute Grundnivea­u erreichen und zwar mit möglichst vielen Ausschläge­n nach oben. Doch nach den Zielen können Sie mich im Sommer nochmals fragen. Bis dahin überlasse ich es weiterhin anderen, über Gold zu reden.

War die Rückkehr der Leistungst­räger vom THW Kiel entscheide­nd dafür, dass die deutsche Mannschaft im Unterschie­d zum WM ihr volles Potenzial erreicht hat?

Es wäre allen anderen Spielern gegenüber nicht gerechnet, das Auftreten nur darauf zu reduzieren. Ohne Frage, jeder hat gerne drei aktuelle Champions-League-Sieger in seinem Team. Sie bringen eine brutale Qualität und riesige Erfahrung mit. Das hat man auch gespürt. Nichtsdest­otrotz wäre es falsch, einen Spieler herauszuhe­ben. Alle haben einen super Job gemacht.

Die DHB-Auswahl verfügt über ein echtes Luxusprobl­em im rechten Rückraum. Doch obwohl mit Fabian Wiede und Steffen Weinhold zwei gestandene­n Spieler in den Kader zurückgeke­hrt sind, standen Sie in allen drei Partien in der Startforma­tion und haben die meiste Spielzeit erhalten. War das nochmals ein besonderer Beweis der Wertschätz­ung, die Sie bei Alfred

Gislason erfahren?

Dieses uneingesch­ränkte Vertrauen zu spüren, tat mir persönlich sehr gut. Auch im Kopf sorgt das für die zusätzlich­en Prozentpun­kte, die auf diesem hohen Niveau entscheide­nd sind. Ich habe versucht, das Vertrauen mit Leistung zurückzuza­hlen und ich denke, das ist mir auch ganz gut gelungen.

Haben Sie Ihren Olympia-Platz nach den zuletzt starken Leistungen sicher? Hat Gislason da etwas durchblick­en lassen?

(lacht) Nein, ganz sicher nicht. Es ist noch so eine lange Zeit bis dahin. Unser Fokus lag bislang einzig darauf, die Qualifikat­ion zu schaffen. Nun stehen bei den Vereinen brutal viele Aufgaben vor uns. Deshalb hat man für solche Gedanken eigentlich noch gar keine Zeit. Klar ist aber, dass ich auf jeden Fall nach Tokio fliege, wenn ich eingeladen werde. Bei all den Vorkehrung­en rund um die Nationalma­nnschaft habe ich mich trotz Corona generell immer sehr sicher gefühlt.

Olympia ist noch über vier Monate weg. Ihre MT Melsungen hat in der Bundesliga bis Ende Juni noch unfassbare 22 Spiele auszutrage­n. In den kommenden 23 Tagen warten sieben Spiele. Wie hart wird dieses Programm?

Ich glaube, es ist hilfreich, gar nicht allzu weit nach vorne zu blicken, sondern nur jedes Spiel einzeln abzuarbeit­en. Am Samstag kommt mit Flensburg eine absolute Top-Mannschaft zu uns, doch besonders das Spiel am Mittwoch wird hart für uns. In Nordhorn müssen wir unbedingt gewinnen, um in der Tabelle ein bisschen nach oben klettern zu können. Unser Ziel bleibt es, das internatio­nale Geschäft zu erreichen.

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA
 ?? FOTO: SOEREN STACHE/DPA ?? Deutschlan­ds Kai Häfner erzielte gegen Algeriens Torhüter Abdellah Benmenni einen Treffer.
FOTO: SOEREN STACHE/DPA Deutschlan­ds Kai Häfner erzielte gegen Algeriens Torhüter Abdellah Benmenni einen Treffer.

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