Zehn Hinweise auf Missbrauch
Diözese Rottenburg-Stuttgart untersucht Vorwürfe
(lsw) - Im Zuge der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche geht eine Kommission der Diözese Rottenburg-Stuttgart aktuell zehn Hinweisen nach. Unter den Beschuldigten befinden sich Kleriker und Laien, wie eine Sprecherin am Freitag mitteilte. Kleriker sind beispielsweise Priester und Diakone. Ein Hinweis sei aktuell. Die anderen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren.
Zwischen 1947 und Anfang März dieses Jahres wurden 168 Beschuldigte ausfindig gemacht, die in den sexuellen Missbrauch verwickelt gewesen sein sollen. Darunter befinden sich 97 Priester, Diakone und männliche Ordensleute. „Insgesamt leben in unserer Diözese noch 19 Priester, die zu Tätern geworden sind.“
Auch im Erzbistum Köln soll eine unabhängige Kommission die Missbrauchs-Aufarbeitung übernehmen, hieß es am Donnerstag.
Von Ludger Möllers und Agenturen
- Nach der Vorstellung des Kölner Missbrauchsgutachtens am Donnerstag hat ein weiterer ranghoher Geistlicher die persönlichen Konsequenzen gezogen: Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff lässt sein Amt vorläufig ruhen. Er habe Erzbischof Rainer Maria Woelki um diesen Schritt gebeten, erklärte das Erzbistum am Freitag. Die Beurlaubung sei vorläufig, bis die Vorwürfe gegen Puff geklärt seien. Die Gutachter hatten Puff eine einzige Pflichtverletzung während seiner Zeit als Personalchef des rheinischen Erzbistums von Mai 2012 bis August 2013 nachgewiesen.
Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke hatten am Donnerstag ein Gutachten zum Thema Missbrauch im Erzbistum Köln vorgestellt. Die Untersuchung sollte auch aufzeigen, ob Bistumsverantwortliche Täter geschützt und Verbrechen vertuscht haben. In 75 der 236 ausgewerteten Aktenvorgänge stellten Gercke und sein Team Pflichtverletzungen von Amtsträgern fest.
Am Freitag, dem Tag eins nach der Vorstellung des Gutachtens, bleiben viele offene Fragen. Beispielsweise die nach der Rolle des heutigen Erzbischofs: Woelki diente seinem Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, von 1990 bis 1997 als Bischöflicher Geheimsekretär, war somit der engste Mitarbeiter des Erzbischofs. „Nichts geahnt, nichts geahnt!“, hatte Meisner 2015 in einem Interview auf die Frage geantwortet, wie er 2010 über das Bekanntwerden des flächendeckenden Missbrauchs in Reihen der Kirche gedacht habe. Es war eine dreiste Lüge, wie sich jetzt herausstellte. Meisner führt einen separaten Aktenordner mit dem Titel „Brüder im Nebel“, so Gutachter Gercke. Darin bewahrte er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen über Missbrauchstäter auf. Allein Meisner ist demnach für 24 und damit fast ein Drittel aller festgestellten Pflichtverletzungen verantwortlich. Woelki wird erklären müssen, ob er etwas über diese Akten und deren brisanten Inhalt wusste, selbst wenn die Klärung dieses Sachverhalts weder Auftrag der Gutachter noch Inhalt ihres Gutachtens war.
Die Pressestelle des Erzbistums äußerte sich am Freitag auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht.
Ebenso brisant ist die Frage, ob Papst Franziskus die AmtsverzichtsGesuche der beiden Bischöfe annimmt, die am Donnerstag ihr Amt zur Verfügung gestellt hatten. Der frühere Kölner Generalvikar und heutige Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (53) und der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) sind die ersten deutschen Bischöfe, die mit einem Rücktrittsangebot persönliche Konsequenzen im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche ziehen wollen. Heße war früher Personalchef und Generalvikar in Köln. Über die Amtsverzichts-Gesuche
von Bischöfen entscheidet allein der Papst. In den aktuellen Fällen aus Deutschland ist denkbar, dass Franziskus die Rücktrittsangebote zügig annimmt, „auch als Signal nach außen“, wie Kurienkreise vermuten.
Nach seinem Rücktrittsgesuch erläuterte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße weitere Gründe für diesen Schritt. „Wesentlich ist für mich, dass ich mich der Verantwortung für mein damaliges Handeln stelle“, schrieb der 54-Jährige in einem am Freitag veröffentlichten Brief: „Ich übernehme meine Verantwortung für damalige Fehler und das Versagen des Systems.“
Wie sich die berufliche Zukunft des Weihbischofs Ansgar Puff gestaltet, ist ebenso offen: Im Gegensatz zu Schwaderlapp und Heße hat er bisher nur um seine vorläufige Beurlaubung gebeten, nicht aber seinen Amtsverzicht angeboten. Das Gutachten berichtet von einem Betroffenen, der etwa im Zeitraum zwischen 1963 und 1966 von einem Priester missbraucht wurde. Über den Bruder des Betroffenen wurde der Verdacht bekannt. Weil es keinen direkten Kontakt zu dem Mann gab, verzichtete Personalchef Puff darauf, den beschuldigten Geistlichen zu befragen. Ein Fehler, wie die Gutachter feststellen. Puff hätte mit dem Beschuldigten sprechen müssen. Was die Pflichtverletzung aus dem Gutachten angeht, entschuldigte sich Puff in einer persönlichen Videobotschaft auf Facebook.
Dagegen ist die weitere Aufarbeitung von Missbrauch in Köln in Sicht: Er werde diese Aufgabe unabhängigen Stellen überlassen und sich selbst heraushalten, sagte Kardinal Woelki am Donnerstag. Künftig solle es eine unabhängige Kommission geben, „die dann auch von außen die Aufarbeitung begleiten und leiten wird“. Zudem wolle das Erzbistum in der kommenden Woche seinen Beraterstab zum sexuellen Missbrauch um eine unabhängige Gruppe erweitern. Künftig solle die Kommission und nicht er als Erzbischof sagen, wie Aufarbeitung zu erfolgen habe und weitergehen solle.