Kirchen verteidigen Ostergottesdienste
Verweis auf stimmige Hygienekonzepte – Kretschmann sucht Gespräch mit Bischöfen
Von Ludger Möllers und Agenturen
- Die beiden großen Kirchen wollen ihre Gottesdienste an den Kar- und Ostertagen unter Corona-Bedingungen und unter Einhaltung aller Hygieneregeln feiern: Nach dem Ausfall aller Präsenz-Gottesdienste an Ostern 2020 werde man Gespräche mit dem Bund und Land mit dem Ziel führen, das wichtigste Fest der Christenheit in gewohnter Form zu feiern, hieß es am Mittwoch von katholischer wie von evangelischer Seite. Bisher waren die Kirchen davon ausgegangen, an Ostern Gottesdienste unter Einhaltung der Corona-Regeln abhalten zu können.
Doch hatten die Regierungschefs von Bund und Ländern in der Nacht zu Dienstag beschlossen, „auf die Religionsgemeinschaften zuzugehen, mit der Bitte, religiöse Versammlungen in dieser Zeit nur virtuell durchzuführen“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zwar nach den Beratungen betont, dass es sich um eine Bitte handele. Das Ziel: so wenige Kontakte wie möglich, um die dritte Welle der Pandemie zu brechen.
Unterstützung erhält Merkel durch den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne). Der praktizierende Katholik sucht den Konsens: „Im letzten Frühjahr sind wir aus verfassungsrechtlichen Erwägungen von Verboten abgerückt. Im Nachgang konnten wir uns immer mit den Kirchen einigen. Davon gehe ich jetzt auch aus.“
Doch in diesem Jahr wollen die beiden großen Kirchen das Osterfest 2021 nicht ohne Weiteres aufgeben. 2020 hatte es massive Kritik an ihrer regierungskonformen Haltung gegeben. Viele leitende Geistliche hatten anschließend betont, eine solche Situation solle es nicht wieder geben. Sehr zum Ärger der Oberhirten hatten einzelne Theologen wie der katholische Berliner Propst Gerald Gösche 2020 trotz aller Verbote Gottesdienste gefeiert und Applaus erhalten.
Weiter zeigt sich immer stärker, dass digitale Formate die wirkliche Gemeinschaft nicht ersetzen können, wie Vertreter beider Kirchen betonen. Der Augsburger Bischof Bertram Meier bringt es auf den Punkt: „Die Kirche ist keine virtuelle Organisation, sondern eine lebendige Gemeinschaft.“Auch der evangelische Dekan in Biberach, Matthias Krack, beobachtet das Bedürfnis bei den Menschen, zu den Gottesdiensten gehen zu können: „Das zeigt sich deutlich daran, wie gut die Gottesdienste seit Weihnachten besucht werden. Die Menschen suchen Antworten, Trost und Hoffnung.“
Noch vor einigen Tagen war der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, davon überzeugt, dass Ostern traditionell gefeiert werden könne. Jetzt muss er zurückrudern: „Der Beschluss des Corona-Gipfels hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der Christen betroffen wäre.“
Auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, fühlt sich am Dienstagmorgen überrumpelt: „Wir sind überrascht worden. Ostern ist das wichtigste Fest für uns, Gottesdienste sind kein Beiwerk“, sagt der Bischof von Limburg. „Zu Weihnachten haben wir gezeigt, wie wir mit Vorsicht Messe feiern können. Darauf wollen wir Ostern nicht verzichten.“
Schärfer äußert sich der Augsburger katholische Bischof Bertram Meier: „Diese Initiative hat mich überrascht wie eine kalte Dusche.“Der für seine deutliche Ansprache bekannte Schwabe kritisiert: „Wie vor Weihnachten, so jetzt für Ostern. Die Drehbücher ähneln sich.“Immer kurz vor den Festen werde an die Kirchen appelliert, sich auf virtuelle Angebote zu konzentrieren. Die Kirchen seien aber keine Corona-Hotspots: „Unsere ausgefeilten Hygienekonzepte haben dazu beigetragen, dass mir kein Fall im Bistum bekannt ist, der als Corona-Infektionsherd identifiziert wurde.“
Ein paar Stunden brauchen die Bischöfe, bis am frühen Nachmittag aus Stuttgart klare Ansagen kommen: Ostern findet statt – nach dem Willen der Bischöfe in Gottesdiensten, in den Kirchen. Oliver Hoesch, der Sprecher der evangelischen Landeskirche in Württemberg, erklärt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehen wir keine Notwendigkeit, unsere strengen, bewährten und nachhaltigen Regelungen für Präsenzgottesdienste zu ändern.“Diese Regeln orientieren sich nach Hoeschs Angaben jeweils an den regionalen Inzidenzen und sehen eine verpflichtende Absage von Präsenzgottesdiensten ab einer Inzidenz von 300/100 000 Einwohner vor. Ansonsten gebe es die Empfehlung, die digitale Feier von Gottesdiensten zu prüfen. Hoesch betont: „Bereits Weihnachten sind unsere Gemeinden sehr verantwortlich mit der Frage umgegangen, ob sie Präsenzgottesdienste oder digitale Formate anbieten.“
Ein Sprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart ergänzt: „Die bewährten und eingeübten Regelungen der Diözese orientieren sich an den regionalen Inzidenzen und beinhalten Abstandsregelungen, das Tragen einer FFP2- oder medizinischen Maske, vorherige Anmeldung, eine Anwesenheitsliste und weitere umfangreichen Maßnahmen beispielsweise zur Desinfektion.“
Auch auf der lokalen Ebene wird deutlich: Die Auflagen sind erfüllt, also soll gefeiert werden. Gottfried Claß, Codekan im evangelischen Dekanat Ravensburg, sagt: „Kein Gottesdienst der Landeskirche hat irgendwelche Pandemie-Ansteckungen hervorgerufen – weil man so gute Konzepte hat.“Sein katholischer Kollege Bernd Herbinger, Dekan des katholischen Dekanats Friedrichshafen, sieht das ähnlich. Die Kirchen seien groß und hoch gebaut, eine Gefährdung durch Aerosole dadurch sehr gering. „Im Gottesdienst tragen die Besucher Masken. Sie sprechen kaum und sie singen nicht. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sich da jemand ansteckt.“
Nun sind Gespräche auf Bundesund auf Landesebene geplant. „Wir setzen darauf, dass einerseits die Religionsfreiheit gewahrt bleibt und die Religionsausübung an diesem höchsten Festtag der Christenheit möglich ist“, sagt der Vertreter der katholischen Bischofskonferenz beim Bund, Karl Jüsten. „Zugleich wird die Kirche alles tun, um die notwendigen Hygieneregeln einzuhalten.“Viel Zeit bleibt nicht, um aus dem Überraschungsei ein Osterei werden zu lassen.