Mit dem Schleicher Gelassenheit lernen
Laut nicht offiziell anerkanntem Lexikon der nervtötendsten Verkehrshindernisse ist der sogenannte Schleicher eine weitverbreitete Spezies. Meist schon von den Zwängen der Erwerbstätigkeit befreit, kann sich der Schleicher stets auf die schönen Dinge des Lebens konzentrieren. Und hat also auch die Muße, jedes Blümelein am Wegesrand zu bestaunen, gerne durchs heruntergelassene Fenster der Beifahrertür. Versonnen schlurft er mit seinem Vehikel milde lächelnd durch den dichten Morgenverkehr, während seinetwegen Berufspendler, die schlecht gefrühstückt haben, sein tiefenentspanntes Fahrverhalten eifrig mit Licht- und Tonhupe kommentieren.
Der Schleicher gehört aus philosophisch-historischer Sicht gewiss in die Reihe von stoischen Vordenkern wie Seneca, Epiktet oder Marc Aurel. Denn diese Herren vertraten die Meinung, dass es nicht lohne, sich über etwas zu erregen, was nicht in der eigenen Macht steht. Daraus leiten die Stoiker ab, dass es ihnen vollkommen wurst sein kann, was andere über ihren Fahrstil denken. Was umso erstaunlicher ist, weil in der Antike noch gar keine Autos fuhren.
Zurück zum Schleicher der Gegenwart. Der hat jedenfalls das Recht auf seiner Seite. Denn innerorts gibt es keine Mindestgeschwindigkeit, außerorts übrigens auch nicht. Und so lehrt er uns Ruhe – selbst an den Rändern des ausfransenden Nervenkostüms. Einen Gang herunterzuschalten, das Fenster herunterzukurbeln und den Blümelein am Wegesrand zuzusehen. Vor allem dort, wo Überholverbot herrscht.