Mafia-Razzia im Südwesten
Erfolg am Bodensee im Kampf gegen Kokainhandel
(dpa/dg) Rund 800 Polizisten und Steuerfahnder aus Deutschland und Italien im Anti-Mafia-Einsatz, 33 Haftbefehle und Dutzende Durchsuchungen vor allem in der Bodenseeregion – das ist die Bilanz eines spektakulären Schlags gegen den Kokainhandel durch die kalabresische Mafia-Organisation 'Ndrangheta. Zugleich deckten die Ermittler am Mittwoch in Deutschland ein Netzwerk auf, bei dem italienische Lokale und Lebensmittelläden
genutzt wurden, um – so der Vorwurf – Steuerbetrug zu betreiben. Bei den Razzien unter dem Namen „Operation Platinum“waren gut 800 Ermittler im Einsatz.
„Heute ist ein schöner Tag für die Strafverfolgung und ein schlechter Tag für die dunkle Seite der Macht“, sagte Johannes-Georg Roth, der Leitende Oberstaatsanwalt aus Konstanz, bei der Pressekonferenz mit seinen italienischen Kollegen am Mittwoch in Turin.
RAVENSBURG - Im Schutz des anbrechendes Tages klettern Spezialeinheiten über den Zaun einer Villa. Im Inneren entdecken sie Wandverstecke mit Bargeld und Waffen. Polizeihunde durchschnüffeln Autos nach Drogen, Hundertschaften der Polizei ziehen sich zusammen. Eine Luftaufnahme zeigt Überlingen am Bodensee. Die Bilder sind zumeist am Mittwochmorgen entstanden und werden wenige Stunden später auf einer Videopressekonferenz aus Turin gezeigt, zu der Kripobeamte aus Friedrichshafen und Ravensburg sowie die Staatsanwaltschaft Konstanz zugeschaltet sind. Es geht um die „Operation Platinum“, mit der den italienischen und deutschen Behörden ein in dieser Dimension ungewöhnlicher Schlag gegen die kalabresische ’Ndrangheta gelungen ist.
„Mit dieser Operation haben wir viel über ein Verbrechen gelernt, von dem viele nicht glauben, dass es in Deutschland existiert“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Johannes-Georg Roth aus Konstanz bei der Pressekonferenz. „Heute ist ein schöner Tag für die Strafverfolgung und ein schlechter Tag für die dunkle Seite der Macht.“Ein Schwerpunkt der Ermittlungen lag in der Bodenseeregion.
Drei Jahre dauerte die länderübergreifende Strafverfolgung, die an diesem Mittwochmorgen ihren Höhepunkt fand. 800 Beamte, davon alleine 500 in Deutschland waren im Einsatz in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen, sowie Rumänien, Spanien und an 41 Orten in Italien. Dabei wurden 80 Objekte durchsucht und 33 Haftbefehle vollstreckt, darunter bei einem Hauptverdächtigen am Bodensee. „Der Mann ließ sich widerstandslos festnehmen“, erklärt auf Nachfrage Hauptkommissar Oliver Weißflog vom Polizeipräsidium Ravensburg.
Den Verdächtigen wird internationaler Drogenhandel vorgeworfen, die Rede ist von mehreren 100 Kilo Kokain. Die Ermittler stießen auf Kontakte zu kolumbianischen Drogenhändlern in den Niederlanden und Spanien, was die große Menge des Kokains erklärt. Der Stoff sei weiter nach Italien transportiert und dort in den Handel gebracht worden. Damit aber nicht genug. „Ein zweites ,Geschäftsmodell’ der Gruppierung in Deutschland – so der Tatvorwurf – ist die Umsatzsteuerhinterziehung in großem Stil“, sagt die Staatsanwaltschaft.
Dabei werden Lebensmittel aus Italien eingeführt und an italienische Restaurants und Lebensmittelhändler in ganz Deutschland direkt oder über Zwischenhändler geliefert, wie es weiter heißt. „Dieser Handel hat einen erheblichen Umfang; Umsatzsteuern werden nicht entrichtet und die illegalen Gewinne offenbar nach Italien transferiert.“Deshalb ist die Steuerfahndung des Finanzamtes Ulm an dem Verfahren beteiligt.
Zu dem „Geschäftsmodell“gehört auch, „die Ausübung von Druck, die Waren zu bestimmten Konditionen von den Tätern abzunehmen“. Anders: Italienischen Pizzeriabesitzern wird Salami, Olivenöl und Wein zu Niedrigpreisen aufgedrängt. Wer sich widersetzt, dem droht Gewalt. Beschlagnahmt wurden am Mittwoch außer Drogen auch Datenträger, Handys, Bargeld, Uhren, Autos und Gemälde. „Wir haben 'Ndrangheta, Cosa Nostra und Konsorten fest im Blick“, lobte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) den Zugriff. Die Operation hat schon vor langer Zeit begonnen, berichtete die Turiner Staatsanwältin Anna Maria Loreto. Auch die europäischen Behörden Europol und Eurojust waren beteiligt. Die Ermittlungen zeigen laut Polizei ein systematisches, professionelles und konspiratives Vorgehen der Banden. Doch so spektakulär die „Operation Platinum“sein mag, die Zutaten bei dem Fall sind genauso wenig neu wie die schon traditionelle Verbindung der ’Ndrangheta nach Süddeutschland.
Schon vor Jahren machte die Festnahme von Mario L. Schlagzeilen, einem Wirt aus Stuttgart, bei dem Baden-Württembergs früherer Ministerpräsident Günther Oettinger zu den Stammgästen gehört haben soll, auch die CDU, hieß es, habe dort gerne „kalabresische Abende“verbracht. Solche Anekdoten halten sich lange, sie werden jedoch regelmäßig durch aktuelle Fahndungserfolge gegen die 'Ndrangheta angereichert; in Stuttgart, aber vor allem in ländlicheren Gegenden wie Donaueschingen, VillingenSchwenningen, dem Rems-MurrKreis, auch in Oberschwaben und am Bodensee gab es schon früher Verfahren.
So konnte die Polizei erst vor rund einem Jahr im Bodenseekreis einen per internationalem Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen Mafioso festnehmen, der 38-Jährige war bereits in Italien wegen Drogenhandels zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Aufsehen erregte ein Fall, der seinen brutalen Höhepunkt in der Schwarzwaldgemeinde Hüfingen hatte, als aus einem fahrenden Auto Schüsse auf die hell erleuchteten Fenster einer Gaststätte abgefeuert wurden. „Konflikte unter Konkurrenten“hieß es später von Seiten der Kripo, der Schütze landete wegen versuchten Mordes vor Gericht. Und mit ihm gleich zehn weitere Männer wegen Drogenhandels in Verbindung mit Cosa Nostra und 'Ndrangheta. Das Verfahren in Karlsruhe und Konstanz erstreckte sich über viele Monate und endete mit teils hohen Gefängnisstrafen.
Auch dieser Fall zeigt, dass die Clans Deutschland als dauerhaften Standort für Geldwäsche, Immobilienund Drogengeschäfte nutzen. Zumal viele aus den nachfolgenden Mafiagenerationen hierzulande geboren sind, aber Kontakte zu ihrer ursprünglichen Heimat pflegen. Die hiesigen Regionen gelten den Mafiosi dabei als ideale Zufluchtsorte, weil ländlich gelegen und gleichzeitig nur unweit der italienischen Geschäftspartner.
Entsprechend stellte Innenminister Strobl jetzt fest: „Bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist die nationale wie internationale Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg.“Auf den positiven Erfahrungen der „Operation Platinum“gelte es aufzubauen, um „schlussendlich der Organisierten Kriminalität ihre Rückzugsräume zu nehmen“, womit der Innenminister vor allem den Südwesten meinen dürfte.
Auch Italiens Innenministerin Luciana Lamorgese lobte die Aktion als ein Signal, um das Unterwandern der legalen Wirtschaft zu stoppen. Aus Italien ist bekannt, dass organisierte Kriminelle in der Corona-Krise die Geldnot von Bars und Pizzerien ausnutzten. Sie übernahmen zum Teil verschuldete Läden in die eigene Regie.
Die 'Ndrangheta gehört dabei zu den mächtigsten Mafiaorganisationen der Welt. Sie dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffen, Geldwäsche, im Bausektor und in anderen Wirtschaftszweigen. In Italien gehen die Behörden fast jede Woche mehrmals in größeren Aktionen gegen Mafiabanden vor. Seit Januar läuft zudem in der süditalienischen Stadt Lamezia Terme ein Großprozess gegen mehr als 300 mutmaßliche 'Ndrangheta-Mitglieder und ihre Helfer.
Auch der Name „Operation Platinum“kommt nicht von ungefähr. Er wurde gewählt in Anlehnung des südkalabresischen Dorfes Platì. Das zählt nicht einmal 4000 Einwohner und gilt trotzdem als Keimzelle der 'Ndrangheta. Die „Neue Züricher Zeitung“übertitelte einmal einen Artikel über Platì mit den Worten: „Wo fast jeder mit einem Kriminellen verwandt ist“.
Angeblich soll es in dem Dorf unterirdische Gänge und Kammern geben mit versteckten Türen, damit die Mafiosi bei anrückender Polizei verschwinden können. Die führenden Köpfe mögen mit ihren illegalen Geschäften zwar astronomische Summen verdienen, in der Region herrscht trotzdem teils tiefe Armut, die Menschen leben von ihrem Vieh und den Olivenbäumen. Und wer sich gegen das organisierte Verbrechen stellt, dem droht der Tod, das Amt des Bürgermeisters kann lebensgefährlich sein. Der Staat stellt die Gemeinde daher immer wieder unter Zwangsverwaltung und geht massiv gegen die Verbrecher vor. Zahlreiche Mafiabosse wurden auch schon verurteilt und Vermögen im Wert von Milliarden beschlagnahmt. Von Platì wird trotzdem wieder zu hören sein. Auch am Bodensee, auch im Südwesten, wenn es wieder zu einem Einsatz kommt der Kategorie: „Operation Platinum“.
„Heute ist ein schöner Tag für die Strafverfolgung und ein schlechter Tag für die dunkle Seite der Macht.“Johannes-Georg Roth, Leitender Oberstaatsanwalt aus Konstanz
„Wir haben 'Ndrangheta, Cosa Nostra und Konsorten fest im Blick.“Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU)