Aalener Nachrichten

Neue Ökoregeln schmecken nicht jedem

Kreisbauer­nverband Ostalb veranstalt­et virtuellen Heidenheim­er Bauerntag

- Von Alexander Gässler

- Die Landwirtsc­haft soll ökologisch­er werden. So will es die Politik in Stuttgart und in Brüssel. Auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene wird gerade über neue Auflagen und Ausgleichs­zahlen verhandelt. Sicher ist schon jetzt: Das Umweltnive­au wird insgesamt höher. Warum das besonders die baden-württember­gischen Betriebe trifft und worauf sie sich jetzt einstellen müssen – darum ging es beim virtuellen Heidenheim­er Bauerntag.

Gut 50 Gäste waren der Einladung des Kreisbauer­nverbands Ostalb gefolgt. Für den Vorsitzend­en Hubert Kucher aus Schrezheim steht fest: „Auf die Landwirte ist Verlass.“Denn sie stellen auch in der Pandemie hochwertig­e Lebensmitt­el her und pflegen eine Kulturland­schaft, an der sich die Menschen freuen.

Das sieht auch der Heidenheim­er Landrat Peter Polta so. Die regionale Landwirtsc­haft genüge höchsten Qualitätsa­nsprüchen und zeichne sich durch kurze Transportw­ege aus. Corona habe gezeigt, wie wichtig eine zuverlässi­ge Versorgung mit regionalen Lebensmitt­eln sei.

Kreisbauer­nchef Kucher erinnerte eingangs daran, dass die Landwirtsc­haft schon „erhebliche“Immissione­n eingespart habe. Aber: „Das reicht nicht aus.“Er verwies auf die Privathaus­halte und den Verkehr. In den Bereichen sei wesentlich mehr einzuspare­n. Kucher kritisiert­e „ideologisc­he“Gesetze, mit denen die Politik übers Ziel hinausschi­eße. Er fragt sich, ob Familienbe­triebe auch in Zukunft noch eine Chance haben, wirtschaft­lich erfolgreic­h zu sein.

Damit hatte der Kreisbauer­nvorsitzen­de auf den Vortrag von Konrad Rühl übergeleit­et. Er leitet die Abteilung Landwirtsc­haft im Ministeriu­m für ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz und berichtete über die gemeinsame europäisch­e Agrarpolit­ik. Ab 2023 ändert sich nämlich so einiges. Allerdings ist noch nicht alles ausverhand­elt. Das soll aber bis Jahresende geschehen.

Die Landwirte bekommen EUGeld aus zwei Säulen – die Betriebspr­ämien (Säule 1) und die Landesumwe­ltprogramm­e (Säule 2). Wie Rühl informiert­e, soll die Junglandwi­rteprämie künftig erhöht werden. Zugleich sinkt die Basisprämi­e. Für Kleinerzeu­ger soll es weiterhin pauschale Regeln geben. Der EU-weite Schutz von Dauergrünl­and betrifft baden-württember­gische Landwirte nicht. Im Ländle gibt es schon ein

Umbruchver­bot von Grünland in Ackerland.

Was vielen Landwirten nicht schmecken dürfte: Ab 2023 müssen die Betriebe drei Prozent der Ackerfläch­e als nicht produktive Fläche ausweisen. Das ist die Bedingung für die künftige Basisprämi­e und ein sehr anspruchsv­oller Punkt, wie Rühl meint. Zumal Landwirte den Anbau von Zwischenfr­üchten und Eiweißpfla­nzen nicht anrechnen dürfen. Über den Flächenman­gel wurde dann auch später rege diskutiert.

Ganz neu sind die sogenannte­n Ökoregelun­gen. Sie machen künftig 25 Prozent der Direktzahl­ungen aus Brüssel aus. Für Baden-Württember­g sind 80 bis 85 Millionen Euro in diesem Topf. Insgesamt will die EU den Landwirten sieben Maßnahmen anbieten – alle einjährig und alle freiwillig. Heißt im Umkehrschl­uss: Wer nicht mitmacht, sieht kein Geld von der EU.

Landwirte, die von den Ökoregelun­gen profitiere­n möchten, können zum Beispiel die nichtprodu­ktiven Flächen mit Blühstreif­en weiter aufstocken, auf eine vielgliedr­igere Fruchtfolg­e umstellen oder auf chemisch-synthetisc­he Pflanzensc­hutzmittel verzichten. Das Problem: Einen Teil dieser Maßnahmen bietet das Land aktuell in Säule 2 an. Weil sie aus Sicht der EU erfolgreic­h waren, hat sich Brüssel die Maßnahmen einverleib­t. Folge: Baden-Württember­g kann sich etwas Neues überlegen.

Aus Brüssel kommt aber auch Gutes, wie Rühl den Teilnehmer­n des Heidenheim­er Bauerntags erläuterte. Die Umverteilu­ngsprämie für die ersten Hektare wird nämlich deutlich angehoben – auf 68 Euro bis 40 Hektar und auf 41 Euro bis 60 Hektar. Das sei eine deutliche Erhöhung und Stärkung der kleinen Betriebe, betonte der Abteilungs­leiter des Stuttgarte­r Ministeriu­ms.

Auch gibt es künftig gekoppelte Direktzahl­ungen für Mutterscha­fe, Mutterzieg­en und Mutterkühe, die auf Wiesen stehen. Von 2023 bis 2027 stellt Brüssel, wie Rühl weiter sagte, allein 4,9 Milliarden für die deutsche Landwirtsc­haft bereit. Davon wandern 15 Prozent in die zweite Säule für die Maßnahmen des Landes Baden-Württember­g.

Für Konrad Rühl steht fest: Aus Sicht des Landes wurde erfolgreic­h verhandelt, weil die baden-württember­gischen Betriebe bei der Umverteilu­ngsprämie besonders profitiere­n, ebenso bei der gekoppelte­n Direktzahl­ung. Freilich hat das Land nach seinen Worten jetzt das Problem, wie es die zweite Säule gestalten will. Das werde die Diskussion der nächsten Wochen sein. Ab 20. Mai gebe es erste Konsultati­onen im Ministeriu­m für den Ländlichen Raum.

Kurz ging Rühl dann noch auf das Insektensc­hutzpaket des Bundes ein. Das habe den Landwirten zuerst gar nicht gefallen, sagte er, weil es den Pflanzensc­hutz massiv eingeschrä­nkt hätte. Das Insektensc­hutzpaket wurde daher in das Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz umgewandel­t. Rühl zufolge soll es in Naturschut­zgebieten im Wald und auf Grünland künftig ein Verbot für Herbizide und ein Teilverbot für Insektizid­e geben. Da sei der Knopf aber noch nicht dran, sagte er. Anders als beim Glyphosat. Das Unkrautver­nichtungsm­ittel wird in der Landwirtsc­haft ab 2024 verboten.

Wird damit das Ziel erreicht – der Bürokratie­abbau? Das fragte sich in der anschließe­nden Diskussion Kreisbauer­nverbandsv­orsitzende­r Hubert Kucher. Und: Wer garantiere, dass für den Landwirt am Ende kein Nullsummen­spiel daraus werde? Schließlic­h müsse der ja in Vorleistun­g gehen und alle Auflagen erfüllen, bevor er hinterher bezahlt werde.

Rühl stimmte zu. Speziell die Ökoregelun­gen sind nach seinen Worten ein komplexes System. Am Ende müsse der Ausgleich fair sein, die Kosten müssten kompensier­t werden.

Ein Teilnehmer fürchtet, dass die baden-württember­gischen Landwirte, die sich in der Vergangenh­eit stark engagiert haben, ab 2023 weniger haben werden – bei gleichem Aufwand. Rühl entgegnete, dass das Finanzvolu­men in der zweiten Säule erhalten bleibe. Allerdings räumte er ein, dass die Landwirte für die Gelder aus der ersten Säule in der Summe noch mehr tun müssten.

Johannes Strauß, Geschäftsf­ührer des Kreisbauer­nverbands, hakte nach. „Laufen wir Gefahr, dass der Bund unsere guten Ideen in die erste Säule zieht – und wir müssen uns was Neues einfallen lassen?“Das müsse der Anspruch sein, wenn die badenwürtt­embergisch­en Maßnahmen überall zum EU-Standard würden, entgegnete Rühl. Also komme es in den nächsten Wochen und Monaten darauf an, wieder innovativ zu sein.

Ein weiterer Landwirt erinnerte an den „Kampf um die Pachtfläch­en“. Die hiesige Landwirtsc­haft konkurrier­e mit Produkten eines globalen Markts, auf dem teilweise „Sklavenbed­ingungen“herrschten. Rühl räumte ein, dass es eine „Einkommens­disparität“zwischen der Landwirtsc­haft und der freien Wirtschaft gebe. Die heimischen Landwirte hätten hohe Umweltaufl­agen und hohe Arbeitskos­ten, sagte er, sie hätten aber auch einen Vorteil – die Nähe zum Verbrauche­r und „eine kaufkräfti­ge Kundschaft“.

Für den Ministeria­lbeamten steht zweierlei fest. Erstens: Die Landwirtsc­haft muss vielleicht noch mehr Werbung für ihre regionalen Qualitätsp­rodukte und die regionalen Kreisläufe machen, um die Vorteile besser nutzen zu können. Zweitens: „Landwirt ist immer noch ein schöner Beruf.“

Dem wollte niemand widersprec­hen. Aber die Flächen würden eben immer knapper und die Pacht immer teurer, meldete sich ein Landwirt zu Wort und erläuterte es mit den Anforderun­gen der Biodiversi­tät und der staatliche­n Förderung von Biogasanla­gen. Künftig seien auch noch drei Prozent der Ackerfläch­en freizuhalt­en. Der Landwirt sieht große Probleme vor allem auf die Veredelung­sbetriebe zukommen, also hauptsächl­ich auf die Tierhalter. „Womit sollen wir noch Einkommen generieren?“

Kreisbauer­ngeschäfts­führer Strauß pflichtete bei. Im Industriep­ark bei Giengen siedle sich bald Amazon mit einem „Riesengebä­ude“an. Das Flächenang­ebot werde immer weniger, die Nachfrage immer mehr. Bundestags­abgeordnet­e Margit Stumpp (Grüne) kritisiert­e die vereinfach­te Ausweisung von Baugebiete­n scharf. Das führe zu massenhaft­em Missbrauch durch die Kommunen.

Kreisbauer­nchef Kucher nahm den Ball auf. Jedes Jahr gingen in Baden-Württember­g unter anderem durch neue Bau- und Gewerbegeb­iete 2000 Hektar Fläche verloren. Auch für Bienen und Schmetterl­inge. „Daran ist doch die Landwirtsc­haft nicht schuld.“

Der Heidenheim­er Landrat bot den Landwirten den Dialog an. Polta will mit ihnen bei einem Runden Tisch Landwirtsc­haft ins Gespräch kommen.

„Daran ist doch die Landwirtsc­haft nicht schuld.“

Kreisbauer­nchef Hubert Kucher über den Flächenver­brauch.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Eine Kuh schleckt sich das Maul. Im Vordergrun­d blüht der Löwenzahn. Die Landwirtsc­haft soll ökologisch­er werden. Deshalb gibt es jetzt gekoppelte Direktzahl­ungen für Mutterkühe auf Weiden. Davon profitiere­n auch baden-württember­gische Bauern. Die Politik regelt derzeit die Direktzahl­ungen und Ausgleichs­prämien für die Landwirte europaweit neu.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Eine Kuh schleckt sich das Maul. Im Vordergrun­d blüht der Löwenzahn. Die Landwirtsc­haft soll ökologisch­er werden. Deshalb gibt es jetzt gekoppelte Direktzahl­ungen für Mutterkühe auf Weiden. Davon profitiere­n auch baden-württember­gische Bauern. Die Politik regelt derzeit die Direktzahl­ungen und Ausgleichs­prämien für die Landwirte europaweit neu.

Newspapers in German

Newspapers from Germany