Harsche Kritik an Scheuer
Rücktrittsforderungen nach Ende des Maut-Ausschusses
(dpa) - Die Oppositionsfraktionen von FDP, Linke und Grünen sehen schwere Versäumnisse von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei der gescheiterten Pkw-Maut als bestätigt an. „Was hier an Verfehlungen vorliegt, das geht weit über das Maß hinaus, was ohne politische Konsequenzen bleiben darf. Das würde eigentlich für drei Ministerrücktritte reichen“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer am Dienstag zur Bilanz des Untersuchungsausschusses.
Es sei ein Unding, dass Scheuer noch immer im Amt sei. Der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic betonte, es sei mehrfach Recht gebrochen worden.
Die Pkw-Maut – ein CSU-Prestigeprojekt – war im Juni 2019 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als rechtswidrig gestoppt worden. Die vorgesehenen Betreiber fordern 560 Millionen Euro Schadenersatz vom Bund. Scheuer weist alle Vorwürfe zurück.
- Wunder geschehen: Der Beschluss des Verfassungsgerichts, der die Bundesregierung zwingt, mehr gegen die Erderwärmung zu tun, löste einen regelrechten TurboKlimawandel im politischen Berlin aus. Wie in zwei Wochen gelang, was zuvor unmöglich schien – und was im neuen Klimaschutzgesetz steht.
Waren CDU und CSU in der klimapolitischen Rallye der großen Koalition bisher fürs Bremspedal zuständig, überschlagen sie sich nun mit Ideen, wie sich das Karlsruher Diktum realisieren ließe. Die Sozialdemokraten werfen der Union angesichts dieses Wandels „Bigotterie“vor. Dennoch einigten sich die Koalitionspartner in rekordverdächtiger Zeit auf neue Regeln. Eigentlich hatte Karlsruhe dafür Zeit bis Ende 2022 gegeben. Diese Flanke wollte man den Grünen im Wahlkampf allerdings nicht anbieten, sodass das Kabinett wohl schon am Mittwoch den Entwurf von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) verabschiedet.
Und der hat es in sich. Schon 2045, nicht erst 2050 soll Deutschland klimaneutral werden. Mit dem ebenfalls ehrgeizigen Großbritannien würde man sich damit an die KlimaSpeerspitze der größeren Volkswirtschaften stellen. Aber auch für die Zeit davor soll es ehrgeizigere Ziele geben. Bis 2030 sollen 65 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden als 1990 – zehn Prozent weniger als ursprünglich geplant. Diese Verschärfung hat aber mehr mit Brüssel als mit Karlsruhe zu tun, leitet sie sich ja aus dem unionsweiten Klimaziel ab, das sich die EU unlängst gegeben hat.
Bei diesen Zahlen, merken Kritiker allerdings zu Recht an, handelt es sich bisher nur um Wunschvorstellungen. Darüber, wie sie Realität werden sollen, wird die große Koalition aus CDU und SPD sich bis zur Bundestagswahl nicht mehr einigen können. Wer wissen will warum, muss sich eine aktuelle Studie der Umwelt-Denkfabriken „Agora Energiewende“, ihrer Schwester „Agora Verkehrswende“und der „Stiftung Klimaneutralität“anschauen. Die haben zufälligerweise drei Tage vor dem Beschluss der Verfassungsrichter durchgerechnet, welche Anstrengungen für eine Klimaneutralität bis 2045 nötig sein würden.
So müssen im Gebäudebereich spätestens ab 2030 jährlich fast doppelt so viele Häuser saniert werden wie momentan. In sechs Millionen Häuser müssen bis dahin Wärmepumpen verbaut werden, sechsmal mehr als jetzt. Im Verkehr müssten bis 2030 rund 14 Millionen Elektroautos unterwegs sein, eine Verzehnfachung des aktuellen Werts. Ab 2032 dürften Autos mit Verbrennungsmotor überhaupt nicht mehr zugelassen werden, so die Autoren. Die Industrie soll durch den Einsatz von Wasserstoff schon 2040 weitgehend klimaneutral sein.
Kann das gelingen? „Die Antwort ist ein klares Ja“, sagt Rainer Baake, Chef der Stiftung Klimaneutralität. Baake ist kein Unbekannter in der Klimapolitik, jahrelang war er Staatssekretär im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium. Der Schlüssel zum Erreichen dieser Ziele sei ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien.
Ohne ausreichend Ökostrom sind E-Autos und Wärmepumpen nur wenig sinnvoll. Damit die Ökostromversorgung mit der zunehmenden Elektrifizierung Schritt hält, muss der Ausbau der Erneuerbaren massiv forciert werden: Allein an Land sind 1200 neue Windräder pro Jahr nötig – drei Mal so viele wie 2020 errichtet wurden. Auch die Leistung der Solarenergie muss sich bis 2030 verdreifachen.
Vor allem aber lässt sich das Ausstiegsdatum für die Kohleverstromung wohl nicht halten. „Wer glaubt, Kohlekraftwerke könnten noch bis 2038 laufen, macht sich Illusionen“, so Baake. Die Stiftung schlägt vor, einen Mindestpreis von 50 Euro die Tonne für den CO2-Ausstoß im Energiebereich festzulegen, der jährlich um drei Euro steigt. Mit diesem, so ist sich Baake sicher, wäre die Kohleverstromung bereits 2030 erledigt. In weiten Teilen von SPD und CDU will man den Kumpeln aber einen solchen Schlag nicht zumuten, erst Recht nicht im Wahlkampf (die CSU schon). Übernehmen könnte diesen Todesstoß allerdings die Realität, nämlich jene des EU-Emissionshandels. In diesem kostet der Ausstoß einer Tonne CO2 schon jetzt rund 50 Euro. Dass dieser Wert noch mal sinken wird, halten Experten für unwahrscheinlich. Erwartet wird das Gegenteil.