Klimaschutz bringt Härten mit sich
Südwest-Regierungschef Kretschmann spricht von Zumutungen und Chancen zugleich
- Bei seiner ersten Regierungserklärung nach der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg hat Winfried Kretschmann (Grüne) die Bürger auf schmerzliche Veränderungen eingeschworen. „Ohne Zumutungen wird es beim Klimaschutz nicht gehen“, sagte er am Mittwoch im Stuttgarter Landtag. „Wir werden verändern, was anders werden muss.“Als Beispiele nannte er eine Solardachpflicht für Neubauten, 1000 neue Windräder und eine Nahverkehrsabgabe,
durch die der öffentliche Nahverkehr mitfinanziert werden soll.
Der Regierungschef schlug aber auch hoffnungsvolle Töne an. „Ökologie ist keine Wohlstandsbremse. Ökologie selbst ist ein Geschäftsmodell“, betonte Kretschmann in seiner gut einstündigen Rede und sagte mit Blick auf Elektromobilität und synthetische Kraftstoffe: „Jetzt erfinden wir das Auto noch einmal neu.“Zunächst gelte es aber, die Folgen der Corona-Pandemie für Schüler, Gastronomen, Einzelhändler und Kulturschaffende abzufedern. Wie viel Geld er für die politischen Ziele seiner erneut grün-schwarzen Koalition einplant, sagte er indes nicht.
Die Opposition wirft der KiwiKoalition vor, zwar viele, zum Teil ambitionierte Vorhaben im Koalitionsvertrag zu benennen – allerdings ohne jegliche Preisschilder. Alles stehe unter Haushaltsvorbehalt, betonen Grüne und CDU derweil mit Verweis auf die Lücken, die perspektivisch im Landeshaushalt klaffen.
Am Dienstag hatte Winfried Kretschmann allerdings bereits angedeutet, wie es doch noch zu finanziellen Spielräumen kommen könnte. Zwar pochen Grüne und CDU auf die Schuldenbremse in der Landesverfassung. Diese könne aber „weiterentwickelt“werden, wie Kretschmann sagte. Sie könne ja so gestaltet werden, dass für zwingende Investitionen, etwa in die Infrastruktur, keine Schuldenbremse gilt.
Vor seiner Regierungserklärung sprach Kretschmann den Nahostkonflikt an, der auch im Südwesten zu Protesten mit teils antisemitischen Ausschreitungen geführt hat. „Gegen Judenhass werden wir immer entschlossen und mit der ganzen Stärke des Rechtsstaats vorgehen.“
- Eine Woche nach Beginn seiner dritten Amtszeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat Winfried Kretschmann (Grüne) die Ziele seiner Kiwi-Koalition für die kommenden fünf Jahre vorgestellt. Wenig überraschend stellte er den Klimaschutz ins Zentrum seiner Regierungserklärung, die er am Mittwoch im Stuttgarter Landtag vorgetragen hat. Zunächst gehe es aber darum, die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern.
Die Welt stehe am Beginn eines Jahrzehnts der Entscheidungen. „Corona hat uns die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschert“, sagte Kretschmann und bezeichnete den Schutz des Klimas als „Menschheitsaufgabe Nummer 1“. Schon heute litten die Wälder im Südwesten unter Dürre und Hitze, in Sibirien und an den Polkappen schmelze das Eis. Daraus erwachse ein politischer Auftrag: Klimaneutralität im Land bis spätestens 2040. Als konkrete Maßnahmen auf dem Weg dorthin nannte er 1000 neue Windräder im Staatswald und auf Landesflächen, ein Ende des Kohlestroms bis 2030 statt wie bisher geplant 2038, eine Solarpflicht für alle Dächer auf Neubauten sowie ein höherer CO2-Preis.
Es brauche zudem eine Verkehrswende, so Kretschmann. „Unsere Mobilität basiert derzeit noch zum größten Teil auf der Nutzung von Erdöl.“Das müsse sich ändern. Es brauche mehr öffentlichen Nahverkehr, die Menschen müssten zudem mehr Rad fahren. „Wir werden eine Garantie für einen verlässlichen öffentlichen Nahverkehr umsetzen: Alle Orte in BadenWürttemberg sollen künftig gut erreichbar sein – von früh bis spät, in Stadt und Land, in einem regelmäßigen Takt.“Das alles sei nicht zum Nulltarif zu haben und sei mitunter auch schmerzhaft, so Kretschmann. „Ohne Zumutungen wird es beim Klimaschutz nicht gehen.“
Den Strukturwandel in der Wirtschaft und den Zusammenhalt der Gesellschaft nannte er als zentrale Aufgaben der kommenden fünf Jahre. Eine Krise biete ja auch eine Chance für Erneuerung. Strukturbrüche wolle seine Regierung verhindern. Aber: „Wir werden verändern, was anders werden muss.“Kretschmann plädierte für ein Umdenken: Klimaneutralität sei eben gerade nicht wirtschaftsfeindlich. „Ökologie ist keine Wohlstandsbremse. Ökologie selbst ist ein Geschäftsmodell.“Nur mit grünen Ideen sei es in Zukunft noch möglich, schwarze Zahlen zu schreiben. „Wir haben es mit einer Idee zu tun, deren Zeit gekommen ist.“Nämlich die Idee, Green Tech als zentrales Geschäftsmodell zu verstehen. Die grün-schwarze Regierung starte eine Bildungsoffensive für grüne Technologien, kündigte Kretschmann an. Als ein Beispiel nannte er grünen Wasserstoff.
Vor 150 Jahren sei im Land das Auto erfunden worden. „Jetzt erfinden wir das Auto noch einmal neu.“Dabei verwies der Ministerpräsident auf Elektromobilität, bei der BadenWürttemberg eine Technologieführerschaft übernehmen solle, aber neben der Batterieforschung auch auf Brennstoffzellentechnologie und synthetische Kraftstoffe. Gründer und Start-ups wolle seine Regierung unterstützen – etwa durch einen Schub bei der Digitalisierung. „Ich denke dabei etwa an die öffentliche Verwaltung.“Diese solle serviceorientierter werden und dadurch Unternehmen entlasten.
Einen weiteren Fokus richtete Kretschmann auf die Gesundheitswirtschaft. In der Medizintechnik sei Baden-Württemberg heute schon führend – in dem Bereich arbeiteten eine Million Menschen. „Deshalb entwickeln wir unseren Strategiedialog ,Forum Gesundheitsstandort‘ weiter und machen ihn zur Basis der Medizin und der Versorgung der Zukunft.“So wie es bereits einen Innovationscampus für Künstliche Intelligenz
in Tübingen gebe, sollen nun zwei weitere hinzukommen: einer zu Gesundheits- und Lebenswissenschaften im Rhein-Neckar-Raum sowie einer zu Produktion und Mobilität in Stuttgart und Karlsruhe.
Bei all diesen Vorhaben sei es wesentlich, die Gesellschaft zusammenzuhalten und die Demokratie zu stärken, betonte Kretschmann und verband dies mit einem Appell an die Abgeordneten vor ihm sowie an die Bürger. Oberstes Ziel müsse es sein: „Die bestmögliche Bildung für alle Kinder ermöglichen.“Gerade bei der Digitalisierung der Schulen gebe es weiterhin Defizite, die für Ungerechtigkeit sorgten, wie die Corona-Pandemie zeige. Er erinnerte an die Versprechen, die seine grün-schwarze Koalition bereits im Sondierungspapier und zuletzt auch im Koalitionsvertrag festgehalten hat: Schulen in schwierigen Lagen und mit vielen benachteiligten Kindern sollen künftig mehr Geld für gezielte Förderung bekommen, in manchen Grundschulen sollen neben Lehrern auch Experten wie Sozialarbeiter in multiprofessionellen Teams eingebunden werden.
Zunächst aber sollen coronabedingte Bildungslücken durch ein „ambitioniertes Lernlückenprogramm“abgefedert werden. Dies sei die drängendste Aufgabe, hatte Kretschmann bereits am Dienstag erklärt. Das Angebot ist Teil eines Neustart-Programms raus aus der Pandemie: Der Einzelhandel und die Gastronomie können sich ebenso auf Hilfen freuen wie der Kulturbereich. Dass es im Kultusministerium unter grüner Führung auch einen CDUStaatssekretär geben soll, sei kein Zeichen von Misstrauen, widersprach Kretschmann entsprechenden Mutmaßungen. „Wir haben den unbedingten Willen, in diesem für unsere Kinder so zentralen Feld in größtmöglicher Einigkeit zu handeln“, erklärte er.
In einem Punkt würdigte Kretschmann die oppositionelle SPD, die gemeinsam mit der FDP sehr gerne mit den Grünen regiert hätte. Im Land soll ein Mindestlohn bei der Vergabe von Arbeiten eingeführt werden, der „der untersten Entgeltgruppe des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes entspricht“, wie er sagte. Diesen Vorschlag der SPD greife die Koalition nun auf.
Als eine der drängendsten sozialen Fragen der Zeit bezeichnete Kretschmann die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Mit dem neu eingerichteten Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen und einem Strategiedialog unter Führung seines eigenen Hauses mit allen relevanten Akteuren solle es schneller vorangehen, so der Regierungschef. Die drei zentralen Fragen dabei: Wie kann schneller bezahlbarer Wohnraum entstehen? Wie kann das Bauen ökologischer werden? Und wie kann die Bauwirtschaft digitaler werden?
Baden-Württemberg sei stark, weil hier nicht nur Städte stark seien, sondern gerade auch der ländliche Raum, so Kretschmann. Damit das so bleibe, sollen künftig mehr Mittel in besonders strukturschwache Gegenden fließen. Dorfläden und Zentren, an denen Arztpraxen und Banken gebündelt werden, sollen stärker gefördert werden. Der öffentliche Nahverkehr soll gestärkt und das schnelle Internet zügiger ausgebaut werden. „So sorgen wir dafür, dass der ländliche Raum das Rückgrat unseres Landes bleibt“, so der Regierungschef.
Übers Geld hat Kretschmann nicht gesprochen. An dieser Stelle wird die Opposition wohl bei der Aussprache zur Regierungserklärung am Donnerstag im Landtag ansetzen. Ambitioniert sei das Regierungsprogramm schon, sagt etwa die SPD. Nur mit Ge- und Verboten, die nichts kosten, sei es aber nicht getan. Geld müsse investiert werden. Angesichts knapper Kassen hatten Grüne und CDU aber alle Vorhaben, die im Koalitionsvertrag verankert sind, unter Haushaltsvorbehalt gestellt.