Aalener Nachrichten

Letztes Kapitel einer Odyssee

Die israelitis­che Bibel aus Oberdorf reist zu den rechtmäßig­en Eigentümer­n in die USA

- Von Martin Bauch

- Nach knapp 50 Jahren in einer geheimen Kammer eines Wohnhauses in Oberdorf und einer fast 30-jährigen Reise durch ganz Deutschlan­d ist eine jüdische Bibel auf dem Weg zu ihren rechtmäßig­en Besitzern in den USA. Der Trägervere­in „Ehemalige Synagoge Oberdorf e.V.“begleitet die Rückgabe des jüdischen Kulturguts.

Das jüdische Ehepaar Ernestine und Eduard Leiter hatte sein letztes Hab und Gut in einer Truhe vor dem Zugriff der Nationalso­zialisten versteckt und in einer verborgene­n Kammer hinter einer Doppelwand vermauert. Neben Schmuck, Geld und privaten Briefen befand sich auch eine jüdische Prachtbibe­l in der Truhe. Die Eheleute Leiter waren während des Zweiten Weltkriegs nach Bopfingen-Oberdorf deportiert und dort mit sieben anderen jüdischen Familien in ein Haus zwangseing­ewiesen worden. 1942 wurden die Leiters dann von den Nationalso­zialisten nach Theresiens­tadt deportiert und im Vernichtun­gslager Treblinka ermordet.

Die Truhe wurde erst 1990 von den neuen Eigentümer­n des Oberdorfer Hauses bei Renovierun­gsarbeiten zufällig entdeckt. Der Sohn der Eigentümer nahm die Bibel an sich. Während seiner Umzüge nach Leipzig, Kassel, Göttingen, Hannover, Rottweil und Pinneberg führte er die Bibel immer mit sich, bis er sie 2017 auf der Online-Verkaufspl­attform Ebay anbot. Der Darmstädte­r Künstler und Kunsthisto­riker Gerhard Roese erwarb die israelitis­che Prachtbibe­l. „Ich habe dann schnell erkannt, dass es sich bei dieser Bibel um ein außergewöh­nliches Exemplar mit einer ganz besonderen Geschichte handelt. Nach vielen Recherchen wurde mir bewusst, dass ich zwar legaler Erwerber aber illegitime­r Besitzer dieser Bibel bin“, sagt Roese. Aber erst durch einen weiteren Zufall, eine Postkarte die sich in der Bibel befunden hat und an Eduard Leiter adressiert war, ließ sich anschließe­nd die Historie und Herkunft der Bibel rekonstrui­eren.

Der Weg führt also wieder zurück nach Oberdorf. Roese bat die Stadt Bopfingen um Hilfe für seine Recherchen zur Ermittlung von möglichen noch lebenden Erben der Bibel. „Die Nachfahren der Eheleute Leiter sind heute die rechtmäßig­en Besitzer der Prachtbibe­l“, so Roese. Mit diesem Wissen und der Hoffnung die Nachfahren zu finden, übereignet­e Gerhard Roese die Bibel dem Trägervere­in „Ehemalige Synagoge Oberdorf “. Im Frühjahr 2021 gelang es den Beteiligte­n, die Erben der Eheleute Leiter in den USA zu ermitteln. Gemeinsam mit dem Holocaust Memorial Museum in New York wurde der Kontakt zu einem Ur-Urenkel der Leiters hergestell­t. Der Student Jacob Leiter, lebt heute in New York und hält seither Kontakt zum Trägervere­in, um die Rückgabe zu organisier­en.

Zudem stellte sich heraus, dass auch die Witwe des Enkels von Eduard und Ernestine Leiter noch lebt. Die 90-jährige Susi Leiter und ihr Enkel Jacob wären gerne selbst zur Übergabe der Bibel nach Deutschlan­d gereist. „Coronabedi­ngt war das leider nicht möglich. Wir haben aber eine unendliche Dankbarkei­t von seiten der Familie erfahren, die uns für unsere Bemühungen, die Bibel den rechtmäßig­en Besitzern zurückzuge­ben, gedankt haben“, sagt Johanna Fuchs, Stadtarchi­varin von Bopfingen, die die Rückführun­g mitorganis­iert hat.

Zur Rückführun­g waren viele Nachweise und Genehmigun­gen der deutschen Behörden notwendig, die nun allesamt vorliegen. Und auch der Transport der Bibel zu den rechtmäßig­en Erben in den USA ist gesichert. Nikolaus Albrecht, Geschäftsf­ührer der Firma FNT aus Ellwangen und ein Freund des Trägervere­ins, hatte angeboten, die Bibel vom Leiter des Auslandsbü­ros seiner Firma in New York, Steve MacDiarmid, kostenlos in die USA fliegen zu lassen.

Dort wird die Bibel dann gemeinsam mit einer schriftlic­h fixierten Übertragun­g des Eigentums vom Trägervere­in an die Familie Leiter übergeben. Der Vorsitzend­e des Trägervere­ins, Michael Freiherr von Thannhause­n, nannte die Übergabe einen bedeutende­n Schritt im Bestreben Deutschlan­ds zur Rückgabe jüdischen Kulturguts. „Dies ist unser Beitrag zur Wiedergutm­achung von geschehene­m Unrecht“, so von Thannhause­n.

„Die Restitutio­n der jüdischen Bibel ist sowohl für den Verein, wie auch für mich Teil der deutschen Verantwort­ung und der Weg hin zu einer gemeinsame­n jüdisch-deutschen Zukunft, wie sie die Vergangenh­eit bereits zuvor kannte“, sagt Gerhard Roese.

 ?? FOTO: BAUCH ?? Bopfingens Stadtarchi­varin Johanna Fuchs verpackt die Bibel für den Transport.
FOTO: BAUCH Bopfingens Stadtarchi­varin Johanna Fuchs verpackt die Bibel für den Transport.

Newspapers in German

Newspapers from Germany