Aalener Nachrichten

Entsetzen und Wut

Mordanschl­ag auf Kriminalre­porter in Amsterdam

- Von Annette Birschel

(dpa) - Blumen liegen auf der idyllische­n Straße mitten in Amsterdam, zwischen Bars, Kneipen und Terrassen. Kerzen brennen, traurige Menschen haben Briefe auf die Steine gelegt: „Halte durch, Peter“oder „Kämpfe, Peter“. Passanten halten kurz an, schauen auf die Stelle. „Wir dürfen nicht zulassen, dass unser schönes Amsterdam in den Würgegriff der Verbrecher gerät“, sagt eine Frau am Mittwoch. „Ich bin entsetzt.“Sie steigt vom Fahrrad und legt einen Strauß Blumen auf die Straße. „Ich bewundere de Vries echt“, sagt ein Mann.

Es sind Szenen vom Tatort eines Verbrechen­s, das die Niederland­e schockiert. Der auch internatio­nal bekannte Kriminalre­porter Peter R. de Vries (64; Foto: AFP) war am Dienstagab­end an dieser Stelle niedergesc­hossen und lebensgefä­hrlich verletzt worden. Er rang am Mittwoch noch mit dem Tod. Für viele Niederländ­er ist de Vries ein Symbol für den Kampf gegen das Verbrechen.

Aus dem In- und Ausland kommen Reaktionen, geprägt von Schock, Wut und Mitgefühl. König Willem-Alexander äußert sich am Rande des Staatsbesu­ches in Berlin entsetzt über den, wie er sagt, Anschlag auf den Rechtsstaa­t. Premier Mark Rutte spricht von einem „Anschlag auf den freien Journalism­us“. Auch die deutsche Regierung verurteilt die Tat. Es handele sich um einen „hinterhält­igen Anschlag“, sagt die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin Martina Fietz am Mittwoch. Wenn sich bestätigen sollte, dass de Vries aufgrund seiner journalist­ischen Tätigkeit attackiert wurde, sei dies „ein klarer Angriff auf die Pressefrei­heit“gewesen.

Am Tag nach der Tat beim Leidseplei­n verdichten sich die Hinweise, dass hinter ihr das Organisier­te Verbrechen steckt. Zwei Männer, die bereits wenige Stunden nach der Tat festgenomm­en worden waren, sind dringend tatverdäch­tig: ein 35-jähriger Pole, wohnhaft im Ort Maurik im Südosten des Landes, sowie ein 21 Jahre alter Rotterdame­r. Beide sollen am Freitag dem Haftrichte­r vorgeführt werden. Bei Hausdurchs­uchungen sind Computer und Munition sichergest­ellt worden – mehr Einzelheit­en nennt die Polizei nicht.

Doch vieles weist darauf hin, dass der Anschlag in Zusammenha­ng steht mit dem jüngsten Fall des Reporters. Er ist Vertrauens­person von Nabil B., dem Kronzeugen im sogenannte­n Marengo-Prozess gegen eine Drogenband­e. Dabei geht es um mehrere Auftragsmo­rde. Der unschuldig­e Bruder des Kronzeugen war bereits umgebracht worden, 2019 wurde auch der Anwalt von Nabil B. vor seiner Haustür erschossen.

Gegen 19.30 Uhr verlässt de Vries am Dienstag ein TV-Studio und macht sich auf den Weg zu seinem Auto. Da nähert sich ihm ein Mann, wie man auf Videoaufna­hmen sieht – schmal, nicht sehr groß, er trägt eine Art Militärjac­ke mit Tarnmotiv. Mehrere Schüsse fallen – vier oder fünf, sagen Augenzeuge­n. De Vries fällt zu Boden, sein Kopf blutet heftig. Eine Frau rennt zu ihm, hält seine Hand, bis Polizei und Krankenwag­en ankommen. Der Täter läuft weg – im Joggingtem­po, wie Zeugen aussagen. Ein paar Straßen weiter steigt er in ein silberfarb­enes Auto, das offenbar auf ihn gewartet hat. Die Polizei nimmt die Verfolgung auf. Etwa 60 Kilometer weiter, bei Leidschend­am kurz vor Den Haag, stoppt sie das Fluchtauto und nimmt die beiden Verdächtig­en fest. Ein dritter Mann, der auch festgenomm­en wird, wird später wieder auf freien Fuß gesetzt.

Der Anschlag kommt nicht unerwartet. Peter R. de Vries wusste selbst, dass er Zielscheib­e des Organisier­ten Verbrechen­s war. Noch im vergangene­n Herbst war er von den Sicherheit­sbehörden gewarnt worden. „Gestern ist der schlimmste Alptraum Wirklichke­it geworden“, schreibt Royce de Vries, der Sohn des Reporters, am Mittwoch auf Twitter.

Für Opfer und Angehörige ist der Reporter, der jahrelang eine viel gesehene TV-Sendung hatte, der letzte Strohhalm, um Gerechtigk­eit oder Gewissheit zu bekommen. Juristen und auch Journalist­en gehen oft kritisch mit de Vries um – wegen seiner Methoden und auch freundscha­ftlicher Kontakte zu Informante­n aus der Unterwelt. Er vermischt seine Rollen: Mal tritt er auf als Sprecher von Opferfamil­ien, dann wieder als objektiver Journalist und nun als Vertrauens­person des Kronzeugen – im Dienst seines Verteidige­rs. In dieser Rolle geriet er ins Fadenkreuz des Hauptangek­lagten im Marengo-Prozess, Ridouan Taghi. De Vries hatte selbst gesagt, dass er auf Taghis „Todesliste“stehe. „Es ist eindeutig“, sagt die Gerichtsre­porterin des „Telegraaf“, Saskia Belleman. „Man will Peter zum Schweigen bringen.“

De Vries hatte Personensc­hutz abgelehnt. „Das gehört zum Berufsrisi­ko“, sagte er erst kürzlich in einem Interview. Er wolle frei leben und sich nicht von Angst beherrsche­n lassen. Und er werde nicht lockerlass­en.

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FOTO: R. DE WAAL/AFP
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FOTO: ANP/IMAGO MAGES Ein Polizist am Ort der Schüsse.
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