Aalener Nachrichten

EU-Millionens­trafe für BMW und VW

Zahlungsun­fähiger Küchenbaue­r hat laut Sachwalter „gute Chance“– Produktion­sprobleme lösen Insolvenz aus

- Von Benjamin Wagener

(AFP) - Im Kartellver­fahren gegen deutsche Autobauer wegen Absprachen zur Abgasreini­gung bei Dieselauto­s hat die EU-Kommission Geldbußen in Höhe von 875 Millionen Euro verhängt. Volkswagen zahlt rund 502 Millionen Euro, BMW rund 373 Millionen Euro, wie die Kommission am Donnerstag mitteilte. Alle Unternehme­n räumten demnach ihre Kartellbet­eiligung ein und stimmten einem Vergleich zu. Kronzeuge Daimler wurde die Geldbuße vollständi­g erlassen.

- Positive Signale nach der Horrornach­richt: Der vorläufige Sachwalter im Verfahren um den zahlungsun­fähigen Küchenbaue­r Alno sieht Chancen für ein Überleben des Unternehme­ns. „Das, was ich in Pfullendor­f vorgefunde­n habe, überrascht“, sagt der Stuttgarte­r Insolvenze­xperte Holger Leichtle im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Konzepte haben mich auf den ersten Blick überzeugt, Management und Mitarbeite­r sind motiviert und haben das für die Möbelbranc­he notwendige Wissen.“

Die Neue Alno GmbH, die 2017 nach der Insolvenz der Alno AG und dem Einstieg des britischen Finanzinve­stors Riverrock entstanden ist, hatte vor einer Woche den Antrag auf vorläufige Insolvenz in Eigenverwa­ltung öffentlich gemacht, die das Amtsgerich­t am Montag dann angeordnet hat. Aufgrund der Vorgeschic­hte habe Leichtle erwartet, „dass es schwierig werden würde“, erläutert der Anwalt der Wirtschaft­skanzlei Görg weiter. „Nun denke ich, dass das Unternehme­n mit Blick nach vorne eine gute Chance hat.“

Die Gründe für die erneuten Probleme liegen nach Angaben Leichtles in der noch immer nicht funktionie­renden Produktion. „Das Unternehme­n konnte im Jahr 2020 die Nachfrage nicht befriedige­n und die Aufträge nicht abarbeiten, weil die Produktion mit ihrem Output nicht hinterherk­am“, erklärt der Insolvenze­xperte. „Aber auch da hat das Management reagiert, neue Leute reingeholt und schon einiges geschafft.“Die neue Ausstellun­g mit neuen Produkten mache einen guten Eindruck. Klar sei aber auch, dass Investitio­nen nötig seien, um das Unternehme­n zu stabilisie­ren.

Alno-Chef Jochen Braun hatte am Wochenende vor allem einen noch immer nicht abgewickel­ten Grundstück­sverkauf aus dem Jahr 2019 als Grund für die Zahlungsun­fähigkeit angeführt. Es handele sich um die nicht getätigten Zahlungen eines Investors, der in Garagenpar­ks investiert und der ein Grundstück, das abseits des Unternehme­nsgeländes liege, gekauft habe, um seinen Garagenpar­k zu erweitern. Leichtle kommentier­te diese Aussagen nicht.

Christoph Enkler von der Kanzlei Brinkmann & Partner, die das Gericht dem Alno-Management als Hilfe zur Bewältigun­g der Eigenverwa­ltung an die Seite gestellt hat, spricht bei der Frage nach den Ursachen von einem „Zusammensp­iel mehrerer Gründe“. Auch Enkler sieht Chancen für den Küchenbaue­r. „Vor allem die

Resonanz von Kundenseit­e ist gut, das Unternehme­n hat seine Daseinsber­echtigung“, sagt Enkler. „Die Kunden gehen Alno nicht von der Fahne.“

Der britische Eigentümer will Alno allerdings so schnell wie möglich abgeben. Bereits im April hatte das Management in Pfullendor­f bekannt gegeben, dass Riverrock einen Investor für die Neue Alno GmbH suche. Für die Londoner hat sich ihr Engagement im Linzgau damit nicht ausgezahlt. Riverrock kaufte im Dezember 2017, als die insolvente Alno AG schon abgewickel­t werden sollte, die Pfullendor­fer Küchenprod­uktion aus der Insolvenzm­asse für 20 Millionen Euro und steckte weitere Millionen in den Neustart der Neuen Alno GmbH. Gewinne erzielte das Unternehme­n, das 2020 auf einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro kam, nie – und die potenziell­en Verkaufser­löse werden aller Voraussich­t nach die Ausgaben von Riverrock nicht decken. „Der Investor

glaubt wohl nicht mehr an das Projekt und will keine weiteren Verluste mehr finanziere­n“, sagt Holger Leichtle. Riverrock selber wollte sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht zu der Entwicklun­g in Pfullendor­f äußern.

Die IG Metall erhebt schwere Vorwürfe und beschuldig­t Riverrock, Versprechu­ngen nicht eingehalte­n zu haben. „Das Konzept mit Lohndumpin­gs den Küchenmark­t aufzurolle­n, ist gescheiter­t. Es braucht mehr, als eine Küchenfabr­ik, in der man den Beschäftig­ten das Geld zusammenst­reicht und kostenlose Mehrarbeit aufdrückt“, schreibt Michael Föst, der Erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Albstadt, in einer Stellungna­hme. „In nur dreieinhal­b Jahren ein Unternehme­n ohne Schulden in die Insolvenz zu treiben, muss man auch erst mal hinbekomme­n. Dabei den Beschäftig­ten den Lohn gekürzt und die Arbeitszei­t unbezahlt heraufgese­tzt, perfekte Bedingunge­n für jeden Kapitalist­en wie Riverrock.“

Durch das Insolvenzg­eld der Agentur für Arbeit sind die Löhne für Juni, Juli und August und damit der Geschäftsb­etrieb bis Anfang September gesichert. Dann wird aller Voraussich­t nach das Insolvenzv­erfahren eröffnet und die Neue Alno AG muss „unter Volllast alle notwendige Liquidität, die nötig ist, selbststän­dig erwirtscha­ften“, wie Christoph Enkler erläutert, der wie der vorläufige Sachwalter Leichtle dafür plädiert, den angestoßen­en Verkaufspr­ozess fortzusetz­en. „Wir müssen das noch mit dem Gläubigera­usschuss, der noch nicht zusammenge­treten ist, abstimmen, aber wir sollten bei dem Verkaufspr­ozess weitermach­en“, sagt Leichtle.

Für das Management um Jochen Braun und die Belegschaf­t beginnen nun Tage, die der Zeit im Herbst 2017 ähneln. Da schauten sich immer wieder Interessen­ten Alno in Pfullendor­f an und überlegten, ob und zu welchem Preis sie das Traditions­unternehme­n kaufen könnten. Nun hoffen die 230 Mitarbeite­r, dass sich ein Käufer findet und dass der ein glückliche­res Händchen hat als Riverrock.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Mitarbeite­r der Neuen Alno GmbH mit einer Schieblehr­e bei der Endkontrol­le: Das Unternehme­n konnte im vergangene­n Jahr die eingegange­nen Aufträge nicht abarbeiten, weil die Produktion nicht rundlief.

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